OCR
8/5 1943 Es ist Frühling ach! der Frühling Wie glücklich nun die Sonne strahlt Und der einst so graue Himmel Wie schön er sich ins Blaue mahlt Zwei blühende Akazienbäume Mit so herrlich feinem Duft Wiegen mich in Heimatsträume. Wie frisch und klar ist doch die Luft Es jauchzt die Wiese und das Tal Der Wind umweht mich kühl und mild Doch immer ärger wird meine Qual Bei diesem blühenden Naturbild Die Vöglein zwitschern so lustig und frei Was wissen sie von Seelenschmerzen Es ist blühend schöner Mai Und ich fühl keinen Frühling im Herzen Wenn ich die Natur betrachte Mein Herz nicht jubelt und nicht lacht Ich seh wie ich die Welt verachte Ich fühl wie in mir der Hass erwacht. Sind es nicht die selben Wiesen Die vor meinen Augen liegen Sind es nicht die selben Bäume Die sich in den Winden wiegen? Sind es nicht die selben Blumen Die ihre bunten Köpfchen recken Sind es nicht die selben Vöglein Die einen früh vom Schlafe wecken? Sind es nicht die selben Sterne Die am dunklen Himmel blinken Ist es nicht die selbe Sonne Die man sieht im Westen sinken? Auch die Winde sind die selben Wenn sie durch die Blätter rauschen Und wir still und atemlos Ihren Heimatsliedern lauschen Sind es nicht die selben Bienen Die beim Ohr vorübersummen Die Natur ---- wie in der Heimat Felder, Wiesen, Tiere, Blumen Anmerkungen 1 Mona Körte: Flaschenpost. Vom „Eigenleben“ jüdischer Erinnerungsarchive. In: Huml, Ariane/ Rappenecker, Monika (Hg.): Jüdische Intellektuelle im 20.Jahrhundert. Literatur- und kulturgeschichtliche Studien. Würzburg 2003, 275-296, hier 275. 2 Hirsch Glick (geboren 1922 in Wilna, Polen, gestorben 1944 in Estland) schrieb die „Partisanenhymne“ für die Wilnaer Vereinigte Jüdische Partisanenorganisation (FPO). Sie wurde nicht nur im Wilnaer Ghetto und unter den Wilnaer Partisanen gesungen, sie breitete sich auch in den Arbeits- und Konzentrationslagern und in anderen Partisaneneinheiten aus. Nach dem Krieg wurde das Lied zur Hymne bei Zeremonien am Holocaust-Gedenktag in Israel und in anderen Ländern. http://www.yadvashem.org/yv/de/exhibitions/music/vilna_partisans_zo g nit_keyn_mol.asp 3 Vgl.: M. Körte, wie Anm. 1, 292. 4 In dem heutigen Grenzgebiet zwischen der Republik Moldau und der Ukraine gelegen. 5 Sonja Jaslowitz’ Gedichte wurden weitestgehend unverändert übernommen, was Abweichungen in Orthographie und Interpunktion betrifft. Lediglich 16 _ ZWISCHENWELT Nur mein Herz hat sich verändert Ist ein harter Stein geworden Weiß nicht mehr von Güte, Liebe Kennt nur treiben, schlagen, morden. Mein Herz ist nicht wie in der Heimat Glücklich, fröhlich, froh und frei Mein Herz ist finster, voller Tränen Und ewig tot sein Lebensmai. Transnistria am Steinbruch „Kariera de piatra“ 25/7 1942 In dieser steinernen Natur Wird mein Herz zu Stein Ich bin eine Verbannte nur Verurteilt zu Qual und Pein In meinem Herzen ist eine Bucht So tief und breit ... Es ist die große Sehnsucht Und die Heimat ist so weit. Wenn ich an meine Heimat denke Dann fühl ich heiße Tränen fließen In mir tobt und kocht das Heimweh Mein Herzblut will vergießen Verjagt von seiner Heimatstätte Von seinen Lieben, Hab und Gut Mich drückt die schwere Verbannungskette Geknechtet ist mein Lebensmut. Und wenn mein Blick die Ferne streift Dann sch ich alles grau und schwer Und ach! Wie mich die Angst ergreift Mein Herz erstirbt, wird tot und leer Doch weit in dieser grauen Ferne Uns die Erlösung lammend winkt Es leuchtet auf ein Hoffnungsfeuer Das zu neuer Kraft uns zwingt Und diese spricht mit starker Stimme: Ertraget euer schweres Sein Denn nach jeden Sturm-Gewitter Kommt doch wieder Sonnenschein. grammatikalische Fehler wurden korrigiert. Anm. d. Übersetzerinnen. 6 Im Original lautend: „J’attendai“, keine eindeutige Tempus-Form, wir haben uns für das Imperfekt entschieden, da man das fehlende „s“ beim Lesen nicht hört, Anm. d. Übersetzerinnen. 7 Ein Teil der Czernowitzer Juden und Jüdinnen wurde vor der Verschleppung nach Transnistrien zur Zwangsarbeit ins südbukowinische Dorohoi deportiert. 8 Im Original lautend: „Et je suis tot ici“, ergibt für die Übersetzung Möglichkeiten aus allen drei Sprachen: „tot“ auf Deutsch, „bald, früh“ für das französische „töt“ und „ganz, alles“ für das rumänische „tot“, Anm. d. Übersetzerinnen. 9 Aus dem Original übernommen, Französisch „secours“, bedeutet „Hilfe“ oder „sicher“. 10 Im Original: „ciondärind“, es dürfte sich dabei um die Verbform „a se ciondäni“ handeln, ins Deutsche übersetzt: „sich streiten“, Anm. d. Übersetzerinnen. 11 Aus dem Original übernommene Abkürzung, deren Bedeutung nicht aufgeschlüsselt werden konnte. Anm. der Übersetzerinnen.