OCR
Schweiz, dann nach Paris. Im Herbst 1938 erhielten sie und ihr Mann Eric Gravé eine Aufenthaltsgenehmigung fiir Lyon. Mit Unterstiitzung des Emergency Rescue Committees konnten beide über Marseille, Madrid und Lissabon schließlich nach New York gelangen. Kurz nach ihrer Ankunft am 23. Juni 1941 bekamen Körber und Grave mit Hilfe amerikanischer Hilfskomitees ein Zimmer im obersten, billigsten Stockwerk eines Mietshauses. Zunächst arbeitete sie als Näherin in einem Textilbetrieb, schließlich ließ sich Lili Körber zur Krankenschwester ausbilden. Körber war dreisprachig aufgewachsen und hatte erfolgreich in russischer, deutscher und französischer Sprache publiziert. Sie hatte aber nur geringe Englischkenntnisse und konnte sich mit dem Amerikanischen auch nur schwer anfreunden. Ihre Versuche, Lili Körber Gedichte Den Frauen Haß! Lüge. Krampf. Die Seele tot. Und immer Kampf Um Kleid und Brot. Gedankenlos Und liebesleer. Arm. Müde. Bloß — Ich kann nicht mehr! Dumpfe Träume Von kleinen Sorgen. Ein Regenmorgen. Graue Bäume. Zur Bahn gehetzt Mit bleichem Munde. Alles besetzt. Stehn. Eine Stunde. Am trock’nen Brot Mit Mühe kauen. Auf Ziffern schauen Maschinentot. Hübsch sein. Frau sein — Das ist vergessen. Oh! Ruhen! Essen! Wer wird befrei’n? Arbeiter-Zeitung, 5.4.1927, S. 8 18 _ ZWISCHENWELT mit englischsprachigen Texten auf den amerikanischen Markt zu kommen, waren nicht sehr erfolgreich. Nur noch gelegentlich veröffentlichte sie Erzählungen, Gedichte und Rezensionen in einigen Zeitungen. Ihr letzter Roman, „Call me nurse“, vermutlich 1959 geschrieben, in dem sie ihre Erfahrungen als amerikanische Krankenschwester verarbeitete, blieb unveröffentlicht. Einsamkeit, Isolation und das Gefühl des Vergessenseins im Exil machten ihr zu schaffen. Die brieflichen Kontakte mit den europäischen FreundInnen wurden seltener, mühsamer oder brachen ab. Lili Körber empfand sich als „Strandgut“, entwurzelt, keine Amerikanerin, aber auch keine Europäerin mehr. Sie starb am 11. Oktober 1982 in New York. Kreuzigt die Schönheit! Kreuzigt die Schönheit, sie sei verflucht! Spuckt jedes Lächeln tot, Solange ein Mensch in Abfällen sucht Nach einer Rinde Brot. Solange die Erde, geduldig und zahm, In blutigen Dünsten dampft! Haut alle spielenden Tänzer lahm, Die Blumen zerstampft! Zerreißt eure Kleider! Zerstört eure Ruh! Werdet zu brennendem Schrei; Zermalmt euer Ich! Erwürgt euer Du! Wir sind noch nicht frei! Arbeiter-Zeitung, 18.12.1927, S. 20 März Es war im achtundvierziger Jahr, Der Metternich saß oben, Da hat sich eine kleine Schar Von mutigen Wienern erhoben. Bürgertum und Proletariat, Sie wurden Bundesgenossen; Die Polizei ihre Schuldigkeit tat: Sie hat auf beide geschossen. Jedoch der Menschenverlust war gering, Die Aufständischen blieben Sieger, Das Proletariat nach Hause ging, Das Bürgertum war klüger.