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wurden in Wohnzimmer und Küche eingesetzt, Adjektive wurden höflich gebeten, sich manchen Substantiven anzuschließen, Adverbia, wie sie genannt wurden, zu Verben komplimentiert, und einmal ertappte ich meine Eltern, wie sie ein Wort, dessen Gattung mir unbekannt war, versuchten, an die Wand über dem Sofa zu hängen. Sie hatten meine Anwesenheit nicht bemerkt. Mein Vater stand gerade breitbeinig mit jedem seiner abgetragenen Lederpantoffeln auf einer der Holzarmlehnen eines der beiden Fauteuils, und es war, als versuche er, das arme Wort mit beiden Händen zu justieren, bis meine Mutter, die es aus einiger Entfernung beobachtete, sagen würde, nun sei es gerade. Wenn ich anfangs vom „Schatten“ meiner Eltern sprach, so meinte ich aber auch „Schutz“: Schutz boten sie mir unter anderem vor zwei Dingen, vor denen ich immer gewarnt wurde: Mickey-Mouse-Hefte, und davor, fürs Fernsehen zu schreiben. Ich glaube nicht, dass ich sonst als Kind Gelegenheit gehabt hätte, fürs Fernsehen zu schreiben, aber ich wurde schon damals als Schriftsteller behandelt und ernst genommen, und wenn ich Mickey-Mouse-Hefte las, das durfte ich natürlich, weil meine Eltern jegliche Zensur ablehnten, so kam ich mir dabei vor, wie ein Literaturkritiker, der Triviales aus beruflichen Gründen liest, und zugleich genoss ich es, und nicht selten ging ich mit einer Phrase aus einer der Sprechblasen der Zeichenfiguren zu meinen Eltern, um auf die besondere „Blödheit“ der Wortwahl hinzuweisen, damit wir uns gemeinsam daran ergötzen konnten. Und vermutlich auch, damit ich ein braves Kind meiner Eltern war. Mein Vater hatte die ersten zehn Jahre meines Lebens, die die letzten zehn seines Lebens waren, dazu verwendet, mir ein sehr lebhaftes Bild seiner Person und seiner Werte zu vermitteln, das wie ein Abdruck auf der Netzhaut erhalten blieb, ich habe es wie ein violettes Nachbild des Sonnenballs in Erinnerung, das aber eines Tages natürlich doch verblasst war. Es war nun die Erinnerung an den Abdruck, durch die das Bild fortlebte. In solcher Weise begann er ab da, als toter Vater sein Erziehungswerk zu vollenden. Doch diese Erinnerung konnte mit den Anforderungen, die ich an diesen Abdruck stellte, nicht mithalten, als ich zwölf, dreizehn, fünfzehn, zwanzig wurde... Mein Vater hatte mich zwar zu seinen Lebzeiten so ernst genommen, dass er sich mir nicht bloß wie einem Kind präsentiert hatte, sondern wie einem heranwachsenden jungen Mann, doch einige Jahre nach seinem Tod hörte diese Reserve auf, meinem Alter (und auch den Umständen der Zeit) adäquat zu sein, und ich begann als Mann ihn zu vermissen, und ihm auch, wenn ich ehrlich bin, ziemlich übel zu nehmen, dass er so früh gegangen war. Nachdem ich etwa zwei, drei Jahrzehnte erwachsen war, und es mir niemals gelang, eine „richtige Geschichte“ zu schreiben, mit „richtigen Figuren“, deren Konstruktion mich allerdings nicht interessierte, weil ich dachte, dass die Art, wie ich schreiben wollte, noch nicht erfunden war, freundete ich mich mit meiner Erfolglosigkeit als Autor an, der sich weigert, die Worte in seinen Dienst zu stellen, weil er sie als gleichberechtigte Individuen ansicht. Die Kindheit im Gemeindebau mit dem Dienstpersonal kam mir nun geradezu als eine groteske Travestie vor, die zudem nicht zur politischen Einstellung meiner Eltern gepasst hatte. Einen Teil meiner pubertären Probleme hatten sich mit meiner Mutter auf der Ebene abgespielt, dass ich die Überzeugung sehr heftig vertrat, dass falsche Worte in einem Text den richtigen ebenbürtig seien, an Rechten und Würde, ihr Dasein zu führen. 20 ZWISCHENWELT Eines Tages fielen mir durch Zufall die Aufnahmebögen der Universität (damals noch „Hochschule“) für Musik und Darstellende Kunst, Abteilung Film und Fernsehen (!) in die Hände, genannt die Filmakademie. Vielleicht löste das Wort „Fernsehen“ ein spätes Aufbegehren aus, aber auch der Wunsch, von Leuten, die mich weder kannten, noch liebten, in meinen literarischen Fähigkeiten beurteilt zu werden, trieb mich dazu, in der kurzen, verbleibenden Zeit bis Anmeldeschluss alle gestellten Aufgaben bewältigen zu wollen. Unter anderem mussten drei Geschichten geschrieben werden, die, so stand es da, für einen Film von ca. zwanzig Minuten als Vorlage dienen könnten. — Drei Geschichten! Und ich hatte nie eine einzige zuwege gebracht, mit der ich zufrieden gewesen wäre! Ich wandte mich an meinen toten Vater: Du hast, so sagte ich zu ihm, seit ich zehn Jahre alt war, nie mehr etwas für mich getan. Jetzt musst du mir helfen, in die Filmakademie hineinzukommen! Ich fand das Manuskript einer Erzählung meines Vaters, das ich schon einige Jahre zum Lesen beiseite gelegt hatte und beschloss in einem Anfall von verwegenem Tatendrang, diese Geschichte, die ja niemals veröffentlicht worden war, einfach abzuschreiben und in die Aufnahmsprüfungsmappe zu legen. Wenn er nicht damit einverstanden war, würde mein Vater mir wohl irgendein Zeichen geben, und ich hätte zumindest endlich einmal eine Nachricht von ihm, aktuell, und nicht den Abdruck einer Erinnerung, für einen Zehnjährigen gemünzt. Ich war richtig wütend auf meinen Vater, wie ich es nur von Freunden kannte, die auf ihre von den Mütter geschiedenen Väter wütend waren, weil die nicht genügend Alimente zahlen wollten. Mein Vater sollte zahlen — Geld interessierte mich nicht, aber mit seinem Text. Heftig schlug ich die Pappdeckel der Mappe auf, in der sich das Manuskript befand. Die vergilbten Blätter hatten zuoberst ein Blatt, das sich von den anderen nur dadurch unterschied, dass es am Rand etwas verknittert war und mit schwarzem Kugelschreiber die Überschrift in der Handschrift meines Vaters trug: AN DIESEM ABEND Mein Vater begann seine Geschichte damit, das Muster zu beschreiben, das Männer bilden, wenn sie im Konzentrationslager auf dem Appellplatz stehen und alle den Kopf in dieselbe Richtung gewandt haben. Dann war da ein erleuchtetes Fenster in einer der Baracken geschildert, das eine Heimeligkeit in die eisblaue Dämmerung ausstrahlte, die sich aus einer Welt hierher verirrt zu haben schien, wie mein Vater schrieb, in der es Frauen und Kinder gab, und ein alltägliches Heimkommen der Männer am Abend. Ich blickte auf von der Mappe und befand, dass das schon einmal brauchbare Elemente waren, für eine Geschichte, die für einen Film geeignet sein sollte: Ich stellte mir vor, solche grafische Beschreibungen wie das Muster der Männer und das Mischlicht von Dämmerung und Glühbirne schrien geradezu nach der Verfilmung, es war ja praktisch die Beschreibung eines Bildes, das einfacher als mit Sprache gleich mit Bildern darzustellen war. Ich lobte insgeheim meinen Vater in der Überheblichkeit des Filmstudenten in spe, als der ich mich dank seiner bereits sah. Aber auch im Vertrauen eines einst Zehnjährigen, der von seinem Vater so viel Alltägliches aus dem KZ geschildert bekommen hatte, dass er sich in jener Welt fast zuhause fühlte, mit allden Emotionen und Stimmungen, die mich von Kindheit an als erwas Wesentliches im Leben meines Vaters begleitet hatten. Die Geschichte las sich weiterhin schr bildlich, vielleicht lag es daran, dass mein Vater vor dem Krieg Maler gewesen war.