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Thassilo Hazod Nacht Fluss Feld Nacht bewegt in die garausvolle Nacht als ob ich wollte wie der Falter leicht hin zum Licht Fluss der Fluss ereilt sich an mir im Morgen wund den er mit sich nahm im Bleichgrün tauchender Weiden das er in sich sog der Fluss spricht egal ich bin ihm Besorgter bezeichneter Stein Yasmin Hafedh Wo kommst du her? 1. Wo kommst du her? Aus Wien. Ja, aber wo kommst du wirklich her? Aus Wien. Zwischen Verlängertem und „Oida, Oida“, zwischen „Küss die Hand“ und „In a Krautfassl ghörst, damitst weißt, was sauer ist“, zwischen Gürtel und Ring und Häupl, dem letzten Kaiser Wiens, bin ich aufgewachsen. Zwischen bunt und bunter — a echte Wienerin geht ned unter. 2. In einer Bar, oder vielleicht doch eher einem Beisl, in dem nie Ruhe war, wo man sich seicht in Gespräche kleidet, stehen wir beide. Mit Smalltalkfragen im Repertoire: „Wie heißt du? Was machst du? Du magst Hiphop? Was geht ab?“ Wir kennen uns nicht, aber wollen das ändern. Regen uns aufüber Studiengebühren und über übermäßiges Gendern. Wir sind Student und Studentin, Biertrinker und Biertrinkerin, Kneipenrevolutionär und Kneipenrevolutionärin, Gesprächsbereiter und gesprächsbereiter in diesem abendlichen Austausch an Infos und vielleicht mehr. Und dann fragst du: „Wo kommst du her?“ „Aus Wien“, sage ich, Feld seiden sind Ähren darein Winde mustern das Feld ein Reh wundert heraus als betrete es die Welt und hörte das Mähen hörte Ährenköpfe, gold geflochtne Zöpfe segeln Thassilo Veit Hazod, geb. 1990 in Wien, seit 1996 in Oberösterreich aufgewachsen. Nach diversen Reisen und der Absolvierung des Zivildienstes begann er 2009 das Studium der Geschichte und später das Studium „Sprachkunst“ an der Universität für angewandte Kunst in Wien. du blickst wie ein Ungläubiger: „Ja, aber wo kommst du wirklich her?“ Ich komme aus dem Bauch einer Frau, die viel auf Reisen war. Ich komme vielleicht auch aus einem Haus, in dem es immer internationale Speisen gab. Ich komm aus Wien, was dir nicht viel zu verheißen mag. Ich komm aus Wien, was ich mir mit meinem deutschen Akzent zu sagen eigentlich nicht leisten darf. Du denkst, ich hab dich nicht verstanden. Du möchtest eine andere Information. Du möchtest Grenzen ziehen, in einem Land landen, du möchtest den Namen einer Nation. Das ist mir schon klar — aber zu beantworten ist das schwer. Also fragst du: „Ja ok, aber wo kommen denn deine Eltern her?“ Gut. Das ist von Wien schon etwas weiter entfernt, aber wie gern würd ich sagen: „Ich hab Wienerisch zwar nicht gelernt, aber kann drei Melange vertragen und dabei unfreundlich sein.“ Aber das reicht dir nicht als Antwort, also sag ich dir ein: „Tunesien und Deutschland“ Wie ein Mantra, das ich schon so oft wiederholte, » lunesien und Deutschland, Tunesien und Deutschland“, obwohl ich dort niemals wohnte. Und mir war klar, was als nächstes kam, weil ich es schon so oft erlebt hab: „Ja, in Deutschland war ich schon mal und in Tunesien auch mal im Urlaub.“ Und dann, klar, die Frage ob ich dort schon mal gelebt hab. Nein, hab ich nicht, Dezember 2013 27