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Konstantin Kaiser Über Richard Wall Natürlich — Richard Wall geht vom Bild aus. Ich erinnere mich an eines seiner Gedichte, in denen er von Amseln im Schnee spricht. Dunkel heben sie sich von der gleißenden Oberfläche ab. Das Bild, die Bilder entwirft er souverän. Wie von Zauberhand sind sie vor die Augen der Leserin gestellt. Aber das ist es nicht allein, noch lange nicht. Die Amseln sicht er ja durch das Fensterglas seines Ateliers, d.h., er sieht sie in Zusammenhang mit dem Bauwerk, von Menschenhand errichtet, und dem eigenen Tagwerk. Es ist keine Urlandschaft, die er in den Blick faßt, es ist Kulturlandschaft, von Menschen jahrhundertelang gerodet, umgegraben und -geackert, entwässert, verschandelt und verschönt. Aber was bedeutet Kulturlandschaft - mag sein, selbst ein häßliches Wort? Bleiben wir bei den Amseln. Eine Nachbarin ist gestorben, auf ihrem Grundstück befanden sich alte Obstbäume, die Baumhöhlen boten sich als Nistplätze für Vögel an. Vielleicht waren die Amseln nur deshalb im Winter dageblieben. Jetzt, da das Bauernhaus nebenan niedergerissen ist, sind sie möglicherweise im Winter nicht mehr da. Also: Was Richard Wall sieht, hat immer eine Geschichte — Kulturlandschaft ist Landschaft mit Geschichte. Wer die Geschichte und die Geschichten nicht kennt, sieht bloß die Landschaft — diese kann dann idyllisch oder öde sein, je nach Gemiitsverfassung dessen, der in ihr innehält oder sie durcheilt. Wall scheut sich nicht, seine Gedichte aufs äußerste mit dem Dinglichen zu belasten, als wollte er immerzu dem Sinnspruch Genüge tun: Scheint erst die Welt in dein Gedicht, die immer ist, und du bist nie, dann wirst du, was du bist, dann bricht die Poesie in deine Poesie. Hierin scheint Wall dem israelischen Dichter Tuvia (Tobias) Rübner verwandt, welcher ganz bewußt das Prosaische ins Gedicht strömen, hereinbrechen läßt, und an dieser Bruchlinie zwischen dem Lyrischen und Prosaischen entsteht Poesie — Poesie der Dinge, die wir gebrauchen, der Bewegungen, die wir tagtäglich ausführen, des Mitgefühls, das uns nicht losläßt — jenseits des trivialen Konventionell-Lyrischen und des banalen Mitteilens zufälliger Befindlichkeiten. Die Welt aber, die da hereinscheint, stellt sich in ungeheurer Fülle von Ausdrücken ein. Sie schreit nach sachkundiger Benennung, treffender Beschreibung, kenntnisreicher Formulierung. Und Richard Walls Lyrik und Prosa zeichnen sich durch eine Überfülle von Wörtern aus, auch gerade dort, wo er nicht unnötig allzu viele Worte um etwas macht. Diese Wörter, den verschiedensten Sphären menschlicher Tätigkeit, etlichen Sprachen, nahen und entlegenen Gegenden entstammend, haben ihren Eigensinn, sind oft sperrig, wehren sich gegen Rhythmus und Gleichklang. Dennoch bittet sie Wall mit anscheinend gleichgültiger Miene herein in sein Gedicht. Und hier ereignet sich das, was wohl Walls Geheimnis ist: Das Gedicht wahrt immer seine Balance, behält seine luftige Leichtigkeit, ein Aquarell, das pastose Materien in zarte Pinselstriche zu verwandeln versteht. „Gedichte schreiben ist absichtsloses Denken ... In einer Hochstimmung des Innehaltens.“ So Richard Wall. Vielleicht findet man das künstlerische Geheimnis also darin, daß Wall dem Gedicht einfach seinen Lauf läßt — und seine Arbeit vor allem darin besteht, das Hemmende beiseite zu schaffen, dem Iyrischen Gedanken durch all die widerstrebenden Wörter Wege und Leitern zu bauen. Wie von selbst meldet sich vielfach die Nahe zu Wort — die Saatkrähen, Birnbäume, Mühlviertler Weidegänse, das Feuerwehrfest, Getreidekästen, Bulldozzer und Lehmziegel. Auch die Mägde und Knechte von einst haben Spuren hinterlassen, die es zu beachten gilt. Wall kann sie nicht mehr schildern, aber er kann an sie erinnern: die Kronzeugen einer Ausbeutung, die nicht aufgehört hat, auf uns zu lasten. „Unterwegs in einem anderen Europa“ lernen wir Wall als den Reisenden, Vagabundierenden kennen, der sich unersättlich neue Kulturlandschaft erschließt. Zu bewundern ist hier, in Walls Reisebildern, die selbstverständliche Belesenheit, der Kenntnisreichtum, die sprachliche Offenheit — die glauben läßt, die Sprachen gingen ohnehin alle ineinander über. Man liest, staunt und lernt. Die Ferne ist ihm nie bloß faszinierende Spiegelung, in der er sich satt sieht, sondern ebenso umkämpft, durchfurcht wie die Nähe des österreichischen Mühlviertels, in dem er lebt. Wall ist ein Autor, bei dem die Bauernkriege, die 1848er-Revolution, der Februar 1934, das in der NS-Zeit Geschehene präsentsind, auch wenn er nicht direkt darüber schreibt. Durchwandert er Sardinien, spürt er die vielfältigen Bedrückungen der Bewohner gleichsam unter seinen Füßen, erklettert er einen Inselfelsen an der irischen Küste, sind in ihm die Hungerkatastrophen und Aufstände der Iren gegen die britische Gewaltherrschaft präsent. In seinen Reisebildern zeigt sich Wall — wie in den Gedichten auch - als einer, der sich anzufreunden versteht: mit Menschen und Gegebenheiten, besonders in seinem mit zahllosen Fäden hingebungsvoller Liebe umsponnenen Irland. Wall ist kein Bewunderer der Ferne, weil sie eben anders ist, sondern ein Archäologe der Ferne, der keine Mühe, weder körperlich noch geistig, scheut, den Dingen auf den Grund zu gehen, die wirklichen Unterschiede zu fassen und auch das, was man so die sozialen Verhältnisse nennt, zu benennen. Richard Wall, geb. 1953 in Engerwitzdorf (Oberösterreich), studierte Bildende Kunst; Ausstellungen seit 1981. Veröffentlichte Gedichte, Essays, Rezensionen, Reiseskizzen, so u.a. ein Buch über „Mühlen Mägde und Rebellen“. Lebt im Mühl- und Waldviertel. — Verfasser wichtiger Beiträge in MdZ und ZW, so über Bruno Schulz, Wolf Suschitzky, Robert Menasse. Richard Wall: Ausgewählte Gedichte. Mit einem Vorwort von Christian Teissl. Wien: PODIUM 2013. 64 S. (Podium Porträt 37). Richard Wall: Kleines Gepäck. Unterwegs in einem anderen Europa. Prosa. Klagenfurt, Wien: Kitab-Verlag 2013. 278 S. Dezember 20138 31