OCR
geheim gehalten werden musste, war, dass Theon Spanudis homosexuell bzw. bisexuell war. So wurde von jenen, die darüber Bescheid wussten, angenommen, dass die Ehe mit Linda Hödl als „eine Fassade sexueller ‚Normalität‘“ in einer homophoben und diskriminierenden Gesellschaft dienen sollte. Hans Füchtner fasst in seinem 2006 erschienen Aufsatz über Iheon Spanudis ein Interview, welches dieser 1976 in Brasilien über seine Homosexualität gegeben hatte, folgendermaßen zusammen: Er hat darin erläutert, dass er für sich beides akzeptiert habe, sowohl die manifeste Homosexualität als auch die Heterosexualität. Er sei also androgyn und so sei auch seine ganze Kreativität. Dies sei, manifest oder verborgen, typisch für Künstler und allgemein für kreative Menschen.“ Linda Hödl kehrte bald nach Wien zurück und wurde eine bekannte Goldschmiedin. Sie zog in einen Gemeindebau in die Alliogasse, wo ein Nachbar und guter Freund Alexander SacherMasoch war. In der Alliogasse sollte sie bis zu ihrem Tod 2011 leben. Adolf Opel, der Alexander Sacher-Masochs Wohnung nach dessen Tod übernommen hatte, erzählte sie noch, dass Theon Spanudis in Brasilien mit einer Samba-Schule Shakespeare aufführen wollte, doch sonst war ihr der Ex-Gatte in keiner guten Erinnerung geblieben. Linda Hödl liegt im selben Grab in Dornbach begraben, wie der 1947 mit 30 verstorbene Eftimios Eftimiadis, über den ich nur herausfinden konnte, dass er Grieche war und 1947 ein Kinderbuch von Steppa Nebehay im „Wiener Verlag“, dessen Leitung eben erst Julius Deutsch übernommen hatte, illustriert hat. Auch liegt Linda Hödls Schwester Ingeborg Scheuer in dem Grab, die mit einem „Monsieur Scheuer“ verheiratet war, einem französischen Arzt, der eine wichtige Rolle in der Resistance in Nizza gespielt haben soll.” Theon Spanudis hatte 1952 seinen Bruder Solon Spanoudis nach Säo Paulo nachgeholt. Dieser sollte ein paar Jahre später Psychiater und Begründer der Daseinsanalyse in Brasilien werden. 1955 waren auch die Eltern aus Griechenland nachgekommen. 1957 starb Georg Spanoudis und im selben Jahr beendete Theon Spanudis seine Tätigkeit als Psychoanalytiker, um endlich Dichter und Künstler sein zu können. Einige haben behauptet, dass seine Arbeit mit seiner Homosexualität nicht vereinbar gewesen und der Druck der KollegInnen immer größer geworden sei. Von Theon Spanudis selbst erfährt man, dass er einfach nur genügend Geld gebraucht habe, um seinen alten Traum, Dichter und Künstler zu sein, verwirklichen zu können. Der radikale Bruch mit seinem bisherigen Leben wird auch dahingehend interpretiert, dass der Psychoanalytiker erst nach dem Tod des strengen Vaters und der Befreiung von dessen Diktat endlich das tun hatte können, was ihm schon immer vorschwebte. Wie auch immer, als Autor und Übersetzer wurde Theon Spanudis plötzlich sehr aktiv und zog, um eine „Erzählung in deutscher Sprache zu beenden, die er einst in Wien begonnen hatte“, für ein Jahr nach Salvador da Bahia, der afrikanischsten Stadt Brasiliens und Weltmetropole der von Sklaven aus Nigeria und Benin mitgebrachten Yoruba-Religion. Erzählungen und Gedichte aus dieser Zeit werden 1975 im Münchner Ora-Verlag unter dem Titel „Skizzen und Klänge“ erscheinen. In den Geschichten tauchte er selbst als Pierrot auf, um neben dem „Trio der Harlekinade“ — Harlekin, Kolumbine und Putto — sein Unwesen zwischen der Mühsal des Alltags und dem Traum von einem dionysischen Sozialismus zu treiben. [Pierrot] ist ein nächtliches Wesen, ein nächtlicher Kobold, mit der dunklen Hälfte des Lebens und mit dem Totenreich verbunden. 58 _ ZWISCHENWELT Nicht umsonst beschmiert er tagaus, tagein mit mehlweifsem Puder sein Gesicht, ähnlich den Totengeistern primitiver Volker.’ Theon Spanudis übersetzte Konstantin Kavafıs Gedichte ins Portugiesische, schrieb selbst Gedichte und Erzählungen in drei Sprachen, publizierte sie in München, Säo Paulo und Athen. Er war nicht allein Sammler, sondern auch ein bedeutender Kunstkritiker, und wahrscheinlich war er nicht ganz unbeteiligt daran, dass Maria Biljan-Bilger 1953 und 1959 an der Biennale Säo Paulo teilnehmen konnte. 1957, als Theon Spanudis die Psychoanalyse aufgab, befand sich Brasilien in künstlerischer, politischer und gesellschaftlicher Aufbruchstimmung. Der eben gewählte Präsident Juscelino Kubitschek, ein Chirurg, welcher 1930 einige Monate in Wien zwecks Weiterbildung verbracht hatte und Enkelsohn eines tschechischen Rom war, hatte seine Präsidentschaft unter das Motto „Fünfzig Jahre Fortschritt in fünf Jahren“ und zwar im „sozioökonomischen und kulturellen“ Sinn gestellt. Die Bauarbeiten für die neue Haupstadt Brasilia wurden in Angriff genommen, die beiden anderen Metropolen Säo Paulo und Rio de Janeiro erlebten einen unglaublichen Wachstumsboom, und alles sah danach aus, als ob Stefan Zweigs Vision eines „Landes der Zukunft“ endlich verwirklicht würde. Auch bei den KünstlerInnen Brasiliens kam vieles in Bewegung, und vorne mit dabei war Iheon Spanudis. Im Katalog zu einer Ausstellung über den Neoconcretismo in der Akademie der Künste 2010 in Berlin kann man über diese Zeit lesen: „War es in der Musik der Bossa Nova, so war es in der bildenden Kunst der Neoconcretismo, der die größte kreative Sprengkraft entwickelte. “® Gemeinsam mit Amilcar de Castro (Bildhauer, Grafiker), Ferreira Gullar (Dichter), Franz Weissmann (Bildhauer, 1911 in Knittelfeld/Steiermark geboren und mit seiner Familie 1922 nach Brasilien ausgewandert), Lygia Clark (Malerin, Installationen), Lygia Pape (Malerin, Tänzerin und Performerin) und Reynaldo Jardim (Dichter, Journalist) verfasste Theon Spanudis 1959 ein Manifest, welches als Geburtsurkunde des Neoconcretismo gilt. Am 23. März 1959, als die erste Ausstellung der neuen Bewegung im Museum für Moderne Kunst in Rio eröffnet wurde, erschien in der größten Tageszeitung der Stadt, im „Jornal do Brasil“, zu dessen MitarbeiterInnen Amilcar de Castro und Reynaldo Jardim gehörten, dieses Manifest. Darin heißt es: Die neokonkrete Kunst gründet einen neuen Ausdrucksraum [...] Entstanden aus dem Bedürfnis, die komplexe Realität des modernen Menschen innerhalb der strukturbewussten Sprache der neuen Asthetik auszudrücken, lehnt die neokonkretistische Bewegung die Gültigkeit der wissenschaftlichen und positivistischen Einstellungen in der Kunst ab [...] Der Rationalismus nimmt der Kunst ihre Eigenständigkeit und ersetzt die unübertragbaren Qualitäten des Kunstwerks durch Vorstellungen von wissenschaftlicher Objektivität: So werden Begriffe wie Form, Raum, Zeit und Struktur — die in der Kunstsprache mit einer existenziellen, gefühlsbetonten und affektiven Bedeutung verbunden sind— mit ihrer theoretischen Anwendung in der Wissenschaft verwechselt. Wenn wir ein Ebenbild für das Kunstwerk suchen müssten, würden wir es also weder in der Maschine noch im- sachlich betrachteten — Objekt finden, sondern in den Lebewesen. Theon Spanudis wurde zu einer Instanz im Kunst- und Kulturleben Brasiliens. Dann putschten 1964 die Generäle. Sie sollten über 20 Jahre lang, bis 1985, das Land regieren. In Brasilien nennt man diese Zeit der Verschleppungen, der Todesschwadrone, die anos de chumbo, die bleiernen Jahre. Gegen die Militärdiktatur bildete sich bald Widerstand, der von StudentInnenrevolten bis zu Guerilla-Aktionen, angeführt von Joaquim Cämara Ferreira,