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ob von Saar — der durch seinen Beruf ja völlig ausgelastet war und viel Zeit im Ausland verbringen mußte, der Sache dann tatsächlich nachgegangen ist. Zeit dafür wäre ja noch heute, zumindest was die Urheberrechte nach Herzmanovsky-Orlando betrifft, die erst im Jahre 2024 auslaufen werden. In Erinnerung ist mir auch ein Zirkusbesuch in Salvador geblieben: neben einem bereits recht zerschlissenen Zirkuszelt war ein Kuriositätenkabinett aufgebaut, das ich zusammen mit den Saars besichtigte. Neben den üblichen Monstrositäten waren in einer Ecke die Wachsfiguren zweier historischer Persönlichkeiten aufgestellt: der brasilianische Präsident Getülio Vargas, im Frack und übertrieben großer Schußwunde im Kopf in einem Glassarg; und gleich neben ihm, naturgetreu mit Schnurrbart, braunem Hemd und Hakenkreuzbinde am Arm, „Gustavo Adolfo Hitler“, wie ihn ein angeschriebenes Schildchen identifizierte. Ein paar junge Burschen, die sich an den Absonderlichkeiten ergötzten, hatten keine Ahnung, um wen es sich da handelte und waren auch nicht daran interessiert, es zu erfahren... Exil Wenn ich österreichische oder deutsche Emigranten in Brasilien traf, war es höchst selten, daß sie über die Vergangenheit sprechen wollten, bevor sie in das neue Land gekommen waren, in dem sie sich längst integriert hatten. In Rio lernte ich Marc Barkowitz kennen, einen angesehenen Kunstkritiker, der mich zu Ausstellungen neuer brasilianischer Bildender Kunst mitnahm, die für ihn zu den interessantesten in aller Welt zählten. Ein ehemaliger Österreicher, Otto Maria Carpeaux, Literaturexperte und Kritiker für angesehene Zeitungen, war als extrem „links“ bekannt und verfemt — es war ja die Zeit der Militärdiktatur in Brasilien, die eine strenge Zensur ausübte —, und man riet mir ab, Kontakte zu ihm zu pflegen. Natürlich besuchte ich ihn erst recht und fand ihn in recht bedrückter Stimmung vor. Ein Gespräch mit ihm erwies sich allerdings als fast unmöglich: Er litt an einem schweren Sprechdefekt, der es ihm unmöglich machte, einen angefangenen Satz zu Ende zu führen; es gab eine Barriere, die trotz mehrmaligem mühsamsten Anlauf nicht zu überwinden war. Ich wollte herausfinden, ob er verwandt (oder vielleicht sogar identisch?) mit dem ersten Biographen Egon Schicles sei, der Fritz Karpfen hieß, doch eine Antwort kam nicht zustande. Seinen Andeutungen konnte ich entnehmen, daß seine Sprechstörung erst in der Emigration aufgetreten war und erst seit der erzwungenen Umstellung auf eine neue Sprache. Auch in Säo Paulo war es ein zum Brasilianer gewordener (früherer deutscher) Kunstkritiker, Anatol Rosenfeld, dem ich interessante Begegnungen verdanke. Als ich ihn in seiner Wohnung besuchte, fiel mir inmitten seiner Sammlung brasilianischer Maler ein Selbstportrat Egon Schieles auf, das isoliert an der Wand hing. Ich zeigte mein Erstaunen, hier ein Schiele-Aquarell zu finden, umso mehr, als der Kunstkritiker sich über Bedeutung und materiellen Wert des Bildes offensichtlich nicht im klaren war. Es gehöre einer deutschen Emigrantin, Käte Schwarz, die ebenfalls in Säo Paulo lebe und dieses Porträt so abstoßend und obszön fände, daß sie es nicht in ihrem Haus dulden wolle! Rosenfeld hatte sich also bereit erklärt, diesen unerwünschten Gegenstand bei sich aufzubewahren. Ich sagte ihm natürlich, daß dieses Bild — sollte es echt sein — recht wertvoll sei und auf dem Kunstmarkt Höchstpreise erzielen könne. Wir fotografierten das Bild 66 _ZWISCHENWELT und ich sollte — wieder nach Wien zurückgekehrt — die Echtheit des Bildes von Experten bestätigen lassen. Ich zeigte das Foto also dem Schriftsteller Wolfgang Georg Fischer, den ich über den PE.N.-Club kannte, welcher in London eine auf Klimt und Schiele spezialisierte Galerie — Fischer Fine Arts — leitete. Der setzte sofort alle Hebel in Bewegung, um des Bildes habhaft zu werden, das er für echt hielt. Doch es war zu spät: Frau Schwarz war inzwischen verstorben und ihr Sohn ließ das Bild in einem Auktionshaus versteigern... Der gekidnappte Papst Ergaben sich meine Begegnungen mit Emigranten cher zufällig und sporadisch, so suchte ich aus eigenem Antrieb Kontakte zu jungen brasilianischen Künstlern, vor allem zu solchen aus der Theater- und Literaturszene. Junge Dramatiker wie Plinio Marcos, Antonio Bivar oder Mauro Rasi hatten mit ihren subversiven Stücken gegen eine restriktive Zensur anzukämpfen — was ihren Erfindungsreichtum aber nur beflügelte: Wurde ein Stück verboten, kam es in abgeänderter Form, meist unter Mitwirkung des Autors als Regisseur oder Darsteller, wieder in einer anderen Stadt zu Aufführung, bis es dort wieder verboten wurde und seinen Weg von einem Bundesstaat zum anderen fortsetzte. „O abajur liläs“ (Der lila Lampenschirm) von Plinio Marcos — es thematisiert den Kampf dreier Huren gegen ihren ausbeuterischen Zuhälter, Chiffren für den Zustand eines ganzen Landes, vielleicht sogar der gesamten sogenannten Dritten Welt — kursierte als hektographiertes Manuskript; geplante Auführungen mußten immer wieder abgebrochen oder verschoben werden. „A passagem da rainha“ (Die Königin zieht vorbei) von Antonio Bivar nimmt ein „historisches Ereignis“ zum Ihema, den Staatsbesuch der britischen Königin in Brasilien, und demonstriert, wie weit die soziale Wirklichkeit von dem ersprießlichen Bild abweicht, das dem hohen Besuch vorgeführt werden soll. Oder „A Massagem“ (Die Massage) von Mauro Rasi, dem jüngsten dieser Autoren, war eine erotische Selbstverwirklichungsphantasie, die vor keinem Tabu zurückschreckt. Im Jahre 1996, als die Theaterzensur längst abgeschafft und eine neue Schriftstellergeneration hervorgetreten war, lernte ich bei gemeinsamen Freunden Roberto Athayde kennen, der mit seinem ursprünglich auf Englisch geschriebenen Stück „Miss Margaridas Way“ (Auftritt Dona Margarida) Bühnen in aller Welt erobert hatte, eswurde auch in Wien am Volkstheater gespielt: ein großes Solo für eine Schauspielerin, die als „Lehrerin“ das Theaterpublikum maßregelt, beleidigt, dominiert, Herrschaftsstrukturen errichtet. Athayde war sicher ein besonders markanter Vertreter jener typisch brasilianischen Stilrichtung des „Tropismus“, die scheinbar Unvereinbares — das aus seinem Menschen- und Kulturgemisch entspringt — nebeneinandersetzt: sublimen Diskurs und vulgären Gassenhauer, humanes Anliegen und schlechten Geschmack, Ästhetisierung und grellen Kitsch, Wehleidigkeit und äußerste Brutalität. Einer höchst angesehenen Familie entstammend, die in der Politik des Landes eine beachtliche Rolle spielte, sah er sich immer als Außenseiter, der vor allem gegen seinen Vater, einen Wirtschafts-Tycoon, rebellierte und für Skandale sorgte. Als ich ihn in seiner Wohnung besuchte, erklangen in Überlautstärke Mozartarien vom Tonband — was aber nicht als Aufmerksamkeit gegeniiber einem Besuch aus Osterreich zu deuten war: Athayde war schwerhörig — was er im gesellschaftlichen Umgang gut zu