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überspielen wußte — und nahm Gesangsunterricht, da er mit dem Gedanken spielte, als Sänger in Mozart-Opern zu brillieren. Eine konträre Seite seiner Persönlichkeit erfuhr ich, als er mich einlud, ihn auf einem seiner allnächtlichen Streifzüge durch die „Unterwelt“ von Rio zu begleiten. In seinem eleganten zweisitzigen Cabriolet fuhren wir dann in jene Viertel der Stadt, wo Prostituierte jeden Geschlechts ihre Dienste zu Spottpreisen anboten und in dunklen Winkeln oder auch mitten auf der Straße ihr Geschäft ausübten. Überall winkte man uns einladend zu, mein Begleiter war hier offenbar ein bekannter Gast, er wurde auch in den unsäglichen Bars, in die er mich führte, freudig begrüßt. Er muß den hier ihr Leben fristenden bedauernswerten Existenzen wie ein messianischer Sendbote aus einer anderen, unerreichbaren Welt erschienen sein. Nach Wien zurückgekehrt, übernahm ich auf Anregung des Instituts für Theaterwissenschaft die Aufgabe, für den „Schauspielführer“ von Gregor/Dietrich, der den „Inhalt der wichtigsten zeitgenössischen Theaterstücke aus aller Welt“ sammelte und veröffentlichte, Stücke aus dem portugiesischen und spanischen Sprachraum vorzustellen. Diese Arbeit erstreckte sich über fast zwanzig Jahre und zehn Bände des Schauspielführers, der in den Dramaturgien aller größeren Bühnen Deutschlands und Österreichs bekannt war. So konnte ich den mir bekannten Autoren — später kamen auch andere dazu, die von dem Unternehmen erfahren hatten und ihre Stücke schickten - einen bescheidenen Dienst erweisen. Ob es dadurch tatsächlich zu Übersetzungen oder Aufführungen der besprochenen Stücke gekommen ist, konnte ich nicht feststellen. Zwei der Autoren, über deren Stücke ich im Schauspielführer berichtete, waren zu Brasilianern gewordene Emigranten: Stefan Wohl, in Wien geboren und in Rio als Geschäftsmann höchst erfolgreich, hatte sich als Filmregisseur und unabhängiger Produzent mit seinem Film „O Donzelo“ (Die männliche Jungfrau) — nach eigenem Drehbuch und mit den brasilianischen Superstars Marilia Péra und Leila Diniz — in der Branche nachdrücklich durchgesetzt. Er schrieb seine Stiicke — so wie Athayde — gleich auf Englisch, um so das — von allen brasilianischen Dramatikern erhoffte — krönende Debut am Broadway, das erst den wahren Ruhm verhieß — ohne längere Umwege zu erreichen. Einer der wenigen, dem das tatsächlich gelungen ist, war Joäo Bethencourt, ein gebiirtiger Ungar, der ursprünglich Janos Horvath hieß. Mit seinem Theaterstück „O Dia em que raptaram o Papa“ (Der Tag, an dem der Papst gekidnappt wurde), das weltweit in mehr als dreißig Ländern aufgeführt und in den USA verfilmt wurde, kann er als bis heute erfolgreichster Theaterautor Brasiliens gelten. Er war meist sein eigener Regisseur und Produzent und hat mehr als vierzig Stücke verfasst — der große Erfolg des PapstStückes (es wurde in Wien von Publikumslieblingen wie Paul Hörbiger und später Fritz Muliar in der Hauptrolle verkörpert) hat sich aber nicht mehr wiederholt. Ich lernte Joäo Bethencourt bereits 1971 kennen, bei meinem ersten Aufenthalt in Rio und unser freundschaftlicher Kontakt erstreckte sich fast über ein Vierteljahrhundert. Nie hätte ich seine ungarische Herkunft erraten, so schr war er zum Brasilianer geworden. Einmal nahm er mich zu seinen allwöchentlichen Zusammenkünften in dem kleinen ungarischen Restaurant „Lukas“ in der Avenida Atlantica mit, das von ungarischen Emigranten frequentiert wurde, die alle in irgend einer Weise im Theaterbusiness tätig waren. Dort hörte ich ihn auch zum ersten und einzigen Mal ungarisch sprechen. Man könnte ihn vielleicht als brasilianischen ED Adolf Opel in den Redaktionsräumen der Lokalzeitung von Belo Horizonte, bei der Auswahl der Fotos der verhafteten Mitgliedern des „Living Theatre“, 20. Juli 1971 Molnär oder Kishon bezeichnen — auch sie gebürtige Ungarn und Meister der Komödie. Er schlug mir vor, zwei seiner Stücke zu übersetzen und zu adaptieren, was ich auch gerne übernahm. Der Bühnenverlag, dem wir die Stücke „O Padre assalante“ (Der Pater mit dem Colt) und „Sigilo Bancärio“ (Das Bankgeheimnis) anvertrauten, erwartete sich glanzvolle Aufführungsserien — doch leider griffen nur kleine Theater in Österreich zu und die Stücke harren immer noch ihrer Entdeckung durch ein Publikum, das gehobene Unterhaltung mit Tiefgang zu schätzen weiß. Die Befreiung des Living Theatre Um in Brasilien zu reisen, benützte ich meist den Autobus — bei den endlos langen Strecken zwar mühsam, aber preiswert und die beste Art, um Land und Leute näher kennenzulernen. 1971 fuhr ich so nach Brasilia, der artifiziellen, mitten ins Nichts gestellten Hauptstadt, die für ihre modernistische Architektur berühmt geworden ist. Aufdem Weg dorthin machte ich Halt in Ouro Preto, der ehemaligen Goldgräberstadt, in der Zeit des Gold-Booms zu Reichtum gelangt und heute ein barockes Kulturdenkmal. Ein willkommener Anlaß auch, Elizabeth Bishop aufzusuchen, die amerikanische Dichterin, die dort mit einer Freundin lebte. W.H. Auden und Chester Kalman hatten mir in Kirchstetten, wo sie einen Großteil des Jahres verbrachten, von ihr — die sie aus einer gemeinsamen in New York erlebten Zeit kannten - erzählt und mich an sie empfohlen. Es gab in Ouro Preto eine amerikanische Kolonie — wohl nicht nur wegen der Besonderheit dieser Stadt, sondern auch in Hinblick auf die ungezwungenere Lebensart und die im Vergleich zu den USA beträchtlich niedrigeren Lebenshaltungskosten. Als ich ihr Haus betrat, herrschte dort größte Aufregung und das aus gutem Grund: Die gerade in Brasilien gastierende amerikanische Theatergruppe „Living Theater“ war vor wenigen Tagen mitsamt ihren Hauptprotagonisten Julian Beck und Judith Malina verhaftet und in der nahen Bezirkshauptstadt Belo Horizonte in den Kerker geworfen worden - angeblich wegen provozierendem und unmoralischem Verhalten. Elizabeth Bishop Dezember 2013 6/