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konkurrenzfähige brasilianische Filmindustrie begründen wollten, lud ihn ein, der Schirmherr zu werden. So wurde Cavalcanti also Produzent der „Compania Cinematogräfica Vera Cruz“, ließ technisches Personal aus verschiedenen europäischen Ländern kommen und stellte einige bemerkenswerte Filme her. Nach vier Jahren war alles zu Ende; Konkurrenzneid, Enttäuschung darüber, dass das große Geld nicht sofort eingespielt werden konnte, und persönliche Aversionen gegen Cavalcanti, dem man vorwarf, kommunistische Tendenzen zu propagieren, trugen dazu bei, ihn aus Brasilien wieder zu vertreiben. Als Kommunist verschrien, empfingen ihn sympathisierende Kreise in Europa mit offenen Armen. 1955 verpflichtete ihn die von den Russen kontrollierte Wien-Film für die Verfilmung des Brecht-Stückes „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ - es sollte die einzige Filmversion eines seiner Stücke bleiben, gegen die Bertolt Brecht nicht Einspruch erhob oder gar Prozesse anstrengte. Ein Jahr später, bei der ost-deutschen DEFA, versammelte Cavalcanti — der einer florentinischen Adelsfamilie entstammte, die im 15. Jahrhundert nach Brasilien ausgewandert und dort reich geworden war für den Film „Die Windrose“ alles, was es an linksorientierten Schauspielern in Deutschland und Frankreich gab. Ich lernte Cavalcanti Mitte der Sechzigerjahre in Paris kennen, wo er wieder seinen Lebensmittelpunkt gefunden hatte. Ein befreundeter Schauspieler, Rene Lamar, der als sein Assistent bei diversen Projekten fungierte, hatte mich mit ihm bekannt gemacht. Er bereitete damals einen Dokumentarfilm über die Gründung des Staates Israel vor, „Ihus spoke Theodor Herzl“, der im Auftrag der Filmabteilung im „Prime Minister's Office“ in Jerusalem entstand. Da er in den „Israel Motion Picture Studios“ in Herzlya Tonaufnahmen durchführte, schrieb ich ihm von einem Filmprojekt, das die Eigentümerin des Studios seit längerem plante aber nicht vom Fleck brachte. Margot Klausner, eine resolute Berlinerin, Erbin der Leiser-Schuhgeschäfte, die alles Geld in ihre Filmambitionen steckte, hatte schon vor längerer Zeit einen Roman über die griechische Dichterin Sappho geschrieben und den berühmten G.W. Pabst engagiert, ein Filmtreatment danach zu erstellen. Roman und Treatment zeigen eine antike Sappho, wie wir sie bei Grillparzer kennen, also eine etwas abgehobene nicht mehr junge Frau, die in hoffnungsloser Leidenschaft zu einem jüngeren Mann entbrennt. Ich hatte im Auftrag von Margot Klausner, die ich schon von früher aus Berlin kannte, ein neues Filmskript verfasst, das die Figur der Sappho in die Gegenwart transponiert und auch ihre lesbischen Liebschaften, für die sie ja bekannt geworden ist, zur Geltung kommen lässt. Es kam zu einem längeren Briefwechsel mit „Cav“ — wie wir ihn nannten — über dieses Projekt, aber zu keiner Realisierung. Im Mai 1967 hatte der Film „Ainsi parlait Theodor Herzl“ seine Premiere in Paris. Ich war bei der Aufführung im Kino Le Marais dabei, und Cavalcanti, der seinen Film in mehreren europäischen Städten persönlich präsentierte, war voll Zuversicht und sprach von neuen Projekten, die er in Italien und Spanien verwirklichen wollte. Zehn Jahre später, in Rio de Janeiro, sah ich einen etwas müde und gebrechlich gewordenen Cavalcanti wieder. Die große Retrospektive seiner Filme — die zugleich so etwas wie seine „Rehabilitierung“ in Brasilien bedeutete — war vor allem einer außergewöhnlichen Frau zu verdanken: Yolanda Penteado, einer Mäzenin der Künste, Angehörige der internationalen High Society, aus einer millionenschweren Kaffeepflanzerfamilie — die Familie hatte auch einen Sitz in Säo Paulo, die „Villa Penteado“, 1907 im Wiener Secessionsstil erbaut und später als letztes Relikt inmitten einer Landschaft von Wolkenkratzern erhalten geblieben —, Mitbegründerin der ersten Kunst-Biennale in Säo Paulo und Veranstalterin von Filmfestivals in ihrer Fazenda „Empyreo“ in Leme. Yolanda Penteado hatte Cavalcanti, den sie seit ihrer Jugend kannte, nach Brasilien kommen lassen und ihn im Hotel Sheraton einquartiert, wo sie selber eine Suite bewohnte. Dort trafich die beiden, bereits etwas hektisch, weil die Zeit drängte, mit der Organisierung der für „Un homem e o cinema“ benötigten Filmausschnitte beschäftigt. Ein wichtiger Film fehlte noch - der österreichische „Puntila“. Da ich kurz vor der Heimreise nach Wien stand, bat man mich, der Sache nachzugehen. Ein glücklicher Zufall. Das österreichische Filmarchiv, bei dem sich der Film befand, war sofort bereit, eine Kopie des von Cavalcanti gewünschten Ausschnittes nach Rio zu schicken, wo er auch rechtzeitig ankam. Bei der Leipziger Kurz- und Dokumentarfilmwoche — bei der Cavalcanti oft zu Gast war und in der Jury sa — erfuhr ich 1982, dass er im selben Jahr in Paris gestorben war. Streiflichter Es sind nur Momentaufnahmen und Streiflichter, die ich in diesem Bericht — schon aus Platzgriinden — geben konnte. Genaue Daten und Lebensläufe der genannten Personen lassen sich im Internet abrufen. Es ging mir darum, aus rein persönlicher Sicht einige Menschen in Erinnerung zu rufen, die als Emigranten — aus welchen Gründen auch immer - in dieses wunderbare Brasilien kamen oder wieder weggingen. Vor allem aber sind es die einfachen Menschen, die Namenlosen, die Armen auf den Stränden und in den Favelas, die mir, dem Fremden, mit liebenswürdiger Zuwendung und großzügiger Gastfreundschaft begegneten. Über sie zu schreiben würde den Rahmen dieses Berichts bei weitem sprengen. Adolf Opel, geb. 1935 in Wien, studierte 1953-59 an der Universität Wien und der State University of Iowa (USA) Psychologie, Literaturund Theaterwissenschaft sowie Film. Arbeit als Dramatiker, Dokumentarfilmer, Journalist und kulturpublizistischer Sachbuchautor. Verfasser von Drehbüchern, Musicals, Herausgeber der Schriften von Adolf Loos und Lina Loos, der Romane von Else Feldmann, sowie der autobiographischen Erinnerungen von Elsie Altmann-Loos und Claire Loos. Mitte der 1960er in Verbindung mit Ingeborg Bachmann. Veröffentlichte zuletzt „Gesammelte Schriften“ von Lina Loos (Wien, Klosterneuburg 2003) und „Wo mir das Lachen zurückgekommen ist... “Auf Reisen mit Ingeborg Bachmann“ (München 2001). Schrieb in ZW u.a. über Viktor Matejka und über Martin Buber. Dezember 2013 69