OCR
Richard Wall Verspätet erfuhr ich erst, in abgelegten Zeitungen lesend, dass Seamus Heaney gestorben war. Ich las, ungläubig und betroffen, die Schlagzeile zweimal. Am Freitag, dem 30. August, da er starb, 74 Jahre alt, weilte ich auf der Insel Cres. Jener Tag, an dem seine Frau Marie seinen Tod bekanntgab, war ein schöner Tag für mich und M. Wir überquerten den Berg Osorslica von Nerezine nach Osor, dabei wanderten wir etwa eine Stunde lang auf einem Grat von der Kapelle Sveti Mikula zum Gipfel der Televrina, nahezu 600 Meter über dem tiefblauen Meer mit Blick auf smaragdene Buchten, auf die verkarstete Küste Dalmatiens, auf das Ucka-Massiv Istriens im Norden und auf den Archipel der Inseln Losinj im Süden. Wir beobachteten einen Adler, kreisend über einer senkrechten Felswand, der sich immer wieder, als liebte er das Spiel, vom Aufwind in die Höhe treiben ließ; sein breitgefächerter Schatten huschte manchmal blitzschnell über das besonnte Hellgrau der Felsen und das vielfältige Grün der Macchia und Garigue. Es war kein Zufall, dass wir eine zweisprachige Ausgabe seiner Gedichte, von Michael Krüger zusammengestellt, im Gepäck hatten, Die Amsel von Glanmore. Der Titel ist ident mit jenem eines Gedichtes aus dem Band District and Circle (2006), das sich auf sein Haus in den Wicklow Mountains bezieht, wo ihn stets bei seiner Ankunft eine Amsel mit ihrem Gesang begrüßte — und beglückte. Es endet mit folgenden Versen: „Heckenhüpfer, ich bin ganz/ Dein, sprungbereiter Antwortgeber,/ Deine stets hochnäsige Rückkehr, / Dein nervös pickender Goldschnabel —/ Auf dem Rasen, wenn ich ankomm.// Im Efeu, wenn ich geh.“ Ich erinnere mich noch an die Zeit, da kein einziger deutschsprachiger Gedichtband von ihm, dem späteren Nobelpreisträger (1995), Christel Wollmann-Fiedler greifbar war. Der erste Gedichtband, North/ Norden, war in der DDR erschienen, übersetzt von Richard Pietraß, und schon vergriffen, als ich diese Pioniertat bemerkte. Aber man soll seine Gedichte ohnehin auf Englisch lesen (oder noch besser: anhören, wie er sie liest, es gibt eine CD-Edition seiner Gedichtbände), um ihre Klangqualitäten zu erfahren, um seine Meisterschaft in der Merrik, im unaufdringlichen Reim und Binnenreim, im nuancenreichen Spektrum der Assonanzen hörend erleben zu können. Ich korrespondierte einmal mit ihm, Anfang der 90er Jahre (jedenfalls noch bevor er durch die Nobelpreisauszeichnung internationale Aufmerksamkeit erfuhr), als ich ihn zu einer Lesung nach Linz einladen wollte, im Rahmen der von mir betreuten Reihe „Ihe Road West/Tage Irischer Dichtung“ im StifterHaus. Es wurde aus Termingründen nichts daraus, doch für ein paar Wochen war er später dann doch anwesend durch eine großformatige Porträtfotografie in einer Ausstellung des irischen Fotografen Fergus Bourke, der dieses Bild dann auch, nach dem Abbauen der Ausstellung, dem Literaturhaus zum Geschenk machte. Getroffen habe ich Seamus Heaney nur einmal, im Herbst des Jahres 2009 in der Villa des irischen Botschafters in Wien, der gab ihm zu Ehren einen Empfang, zu dem unerwarteter-, aber erfreulicherweise auch ich geladen war. Heaney erinnerte im Aussehen eher an einen irischen Farmer als an einen Dichter und Akademiker. Sein gekraustes Haar loderte schlohweiß über seiner Stirn, und sein schwarzer Anzug war abgetragen, an den Ellbogen, Rocktaschen und Knien ausgebeult, das Kleidungsstück und seine mittelgroße, untersetzte Gestalt bildeten eine organische Einheit. Trotz der rund hundert Gäste ergab sich die Gelegenheit, mit ihm zu sprechen — nicht in der Form des Small-Talk, sondern ich nahm, nachdem ich mich vorgestellt, Bezug auf seine Biographie Stepping Stones, gestaltet in Form von Interviews durch den Dichter und Freund Dennis O’ Driscoll, die ich ein paar Wochen zuvor in Connemara gelesen hatte. „Oh!“, rief er aus, „du wirst doch nicht das dicke Buch gelesen haben!“ Gegen Ende des Abends - ich weiß nicht mehr, ob er vom Botschafter gebeten wurde oder ob es überhaupt einen Grund gab - deklamierte er auswendig 7he Cure at Troy aus seiner Bearbeitung des Stücks „Philoktet“ von Sophokles, mit den tröstlichen wie unvergesslichen Versen „History says, don’t hope/ on this side of the grave./ But then, once in a lifetime/ the longed-for tidal wave/ of justice can rise up,/ and hope and history rhyme“. Ja, er stand nicht außerhalb seiner Zeit und der Geschichte, auch die „Troubles“ in Nordirland hielt er nicht heraus aus seiner Dichtung. In der erwähnten Biographie finden sich Sätze wie: » What attracts you to a poet? A sense that youre in safe hands, artistically speaking, and that the work embodies knowledge of life.“ Oder: „What is poetry which does not save nations or people?“ Der Dichter ist tot, was bleibt sind seine Verse — und seine werden bleiben wie jene von Gerard Manley Hopkins, W-B. Yeats und Patrick Kavanagh. Nun hole ich mir ein Glas und trinke einen Schluck ,,Blackbush“ auf ihn, aus einer Distillery im Norden Irlands, wo er als erstes von neun Kinder geboren wurde — und begonnen hat, Verse ans Licht zu heben mit seiner „grabenden Feder“: Digging. Släinte! Au, Engerwitzdorf, am 4. September 2013 Das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland bekam Hedwig Brenner im März 2012 vom Deutschen Botschafter in Israel überreicht. Drei Wochen später erhielt sie das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst vom Österreichischen Botschafter in Israel. Die Auszeichnungen wurden ihr für ihre vier Lexika „Jüdische Frauen in der Bildenden Kunst“ zuteil. Sie nahm diese Medaillen mit Adlern und bunten Schleifen als Ansporn. Ohne zu zögern machte sie sich mit ihren dreiundneunzig Lebensjahren erneut daran, die Arbeit jüdischer Künstlerinnen aus vielen Ländern zu würdigen und zu dokumentieren. Aufgenommen in den fünften Band sind Malerinnen, Designerinnen, Illustratorinnen, Weberinnen, Bildhauerinnen, 72 ZWISCHENWELT Töpferinnen, Gold- und Silberschmiedinnen, Fotografinnen und erstmals Architektinnen, Stadtplanerinnen und Landschaftsarchitektinnen. Die Anregung dazu erfuhr sie 2011 im Bauhaus Dessau bei der 21. Tagung der Arbeitsgemeinschaft „Frauen im Exil“, zu der sie als Ehrengast geladen war und vom Schicksal der Architektin Zsusanna Klara Banki aus Györ in Ungarn hörte, die 1944 in Auschwitz ermordet wurde. Andere Namen kamen hinzu. Bereits in den 1920er-Jahren absolvierten diese Frauen Technische Hochschulen und Akademien in Europa. Die Architektin und Stadtplanerin Genia Awerbuch aus Russland war eine von ihnen; in den 1930er-Jahren entstand in Tel Aviv unter ihrer Planung der „Zina Dizengoff Platz“ im Stil des Bauhauses inmitten der „Weißen Stadt“. Die Landschaftsarchitektin Ruth Enis wiederum wurde 1928 in Czernowitz geboren und kam bereits als Kind nach Palästina. Sie studierte am Technion in Haifa Architektur und Stadtplanung. In Amsterdam setzte sie das Studium fort und machte ihr Diplom, als Professorin arbeitet sie bis heute am Technion in Haifa. Ihre Publikationsliste ist beachtlich. Und es sind 42 weitere hochinteressante Biografien von Architektinnen, Stadtplanerinnen und Landschaftsarchitektinnen in Brenners Lexikon nun aufgenommen. Das zweite Kapitel versammelt 40 Biografien von „Bildhauerinnen, Töpferinnen, Goldund Silberschmiedinnen“. Eine davon ist Vera