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Gellert, die 1929 in der Nähe von Budapest geboren wurde. Mit der Familie kam sie ins Ghetto, die Schwester wurde nach Dachau deportiert. Vera überlebte. Auf dem Umweg über Zypern erreichte sie später Israel, studierte in Jerusalem an der Kunstakademie, heiratete, bekam Kinder und arbeitete als Kunsttherapeutin. In verschiedenen Museen und Galerien wurden ihre Bildhauerwerke und Acrylbilder ausgestellt. In Tel Aviv ist ihr Zuhause. Groß ist die Anzahl der Fotografinnen-Biografien, über 119 Künstlerinnen hat Hedwig Brenner beschrieben. Rachel Hirsch wurde noch vor Kriegsbeginn 1937 als Tochter eines Arztes in Berlin geboren. Die Familie floh vor den Nazis mit dem letzten Schiff nach Bolivien. Rachel und ihre Geschwister besuchten dort Inge Hansen-Schaberg „Bis heute, mehr als 60 Jahre nachdem ich in meinem dritten erzwungenen Exil angekommen bin und mehr als ein Jahrzehnt nach meiner letzten Reise an einen meiner vielen gewählten Exilorte, begreife ich mich als ein Kind des Exils.“ (Hanna Papanek 2006, S. 290, Hervorhebung H.P) Die Autorin Hanna Papanek, geborene Kaiser, Jahrgang 1927, floh als Siebenjährige mit der Mutter Elly aus Berlin zunächst nach Prag, wo sie vier Jahre zusammen mit ihrem Vater Alexander Stein lebten, dann nach Paris 1938 und schließlich wieder auf der Flucht vor dem Zugriff des NS-Staates — nach einem Zwischenaufenthalt im Kinderheim Chäteau Montintin - im Herbst 1940 über die Pyrenäen nach Lissabon und mit dem Schiff nach New York. Dass diese Erfahrungen prägend für ein Kind sind, versteht sich von selbst, aber dass sie als „großes Abenteuer“ beschrieben werden, ist besonderen Konstellationen zu verdanken, die die Autorin ausführlich in dem ersten Teil ihres Buches, insbesondere im dritten und vierten Kapitel, „Kinder des Exils: Politische Leidenschaften“ und „Gruppenleben und Klassenkampf“, untersucht, doch dazu später. In über zehnjähriger Recherche hat Hanna Papanek durch die Aufarbeitung der familiären Nachlässe und von Archivbeständen, durch das Entdecken und Aufsuchen von Familienmitgliedern und Orten und aus eigenem Erleben und Erinnern eine umfangreiche Materialsammlung zusammengetragen und daraus die Familiengeschichte „In Search of Exile: The Participatory History ofa Political Family 1880-2000“ verfasst, so der Arbeitstitel des Manuskripts, das bisher leider nur auf Deutsch - in einer schönen Übersetzung - verlegt worden ist. Eine wichtige Voraussetzung für diese Arbeit ist die Auseinandersetzung der soziologisch und anthropologisch versierten Autorin mit den verschiedenen Quellen und den eigenen Erinnerungen, die zur Entwicklung einer eigenen die Schule, 1949 kam die Familie Hirsch nach Israel. Rachel studierte Jahre an der Universität in Jerusalem und 1967-70 an der Staatlichen Fachhochschule für Fotografie in Köln. 25 Jahre arbeitete sie als freie Fotojournalistin für die Zeitung Ha’aretz und andere Medien. Ihre Fotoausstellungen waren in Galerien in mehreren Ländern zu sehen. Sie wohnt seit Jahrzehnten in Ramat Gan. Ins vierte Kapitel wurden 151 Malerinnen, Designerinnen, Illustratorinnen und Weberinnen aufgenommen. 1905 wurde Edith Ban-Kiss in Budapest geboren, 1944 nach Ravensbriick deportiert, dann in ein Arbeitslager nach Genshagen bei Ludwigsfelde, siidlich von Berlin. Kurz vor Kriegsende wurde sie mit anderen Haftlingen auf den Todesmarsch geschickt, Methode führte: Meine Methode der Teilnehmenden Geschichtsschreibung erwächst also aus zwei einander entgegengesetzten Impulen, mit deren Widerspruch ich bei der Arbeit von Anfang an zu kämpfen hatte: Geschichte einerseits mit dem Detailreichtum eines Romanciers schreiben zu wollen, dabei aber andererseits dennoch die Wahrheit zu erzählen, oder vielmehr die vielen Wahrheiten der in Dokumenten, in Tagebüchern, in Briefen und auf Fotografien festgehaltenen Ereignisse, ohne sie als Dichtung, und mithin erfunden erscheinen zu lassen. Die Allegorie des javanischen Schattenspiels verkörpert auch diese doppelte Zielsetzung. (S. 35) Das javanische Schattenspiel, das mit seinen beiden Seiten der Leinwand — nämlich der des Dalangs, der die Marionetten bewegt, und der, auf der das Schattenspiel zu sehen ist — hatte auf Hanna Papanek, wie sie in ihrem Prolog beschreibt, eine so faszinierende Wirkung, dass es als Sinnbild für ihre Aufarbeitung der Familiengeschichte gelten muss: Die Erinnerungen stehen mir lebhaft vor Augen, wo ich sie auf Einzelheiten hin drehen und wenden kann. Bücher und Dokumente erscheinen dagegen fester greifbar zu sein [...]. Das Wirkliche auf der Seite des Dalangs [...] sind die historischen Ereignisse, große und kleine, deren Umrisse die Schatten meiner Erinnerung formen. In der Allegorie des Schattenspiels sind Erinnerung und Geschichte untrennbar. Ihre Verbindungen sind unausweichlich und ich muss mich, um meine Geschichte zu erzählen, zwischen ihnen hin und her bewegen. (S. 17 f., Hervorhebung H.P.) Entstanden ist eine „erweiterte Autobiografie“ (vgl. S. 33), wie Hanna Papanck vielleicht etwas untertreibend schreibt. Tatsächlich sind viele Erzählstränge entwickelt worden, denn mit den beiden Protagonisten Elly und Alexander sind Einblicke in die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert, insbesondere in die gesellschaftlichen, politischen, sozialen und überlebte und flüchtete 1945 nach Ungarn. Ihre Skizzen aus dem Lagerleben sind bekannt geworden, auch ihr Album „Deportation“, das bereits 1948 in Budapest ausgestellt wurde. Sie emigrierte nach Frankreich und lebte einige Zeit mit ihrem Mann in Marokko. 1966 nahm sie sich das Leben. 353 hochinteressante Künstlerinnenbiografien finden sich in dem „unkonventionellen“ fünften Lexikon von Hedwig Brenner: eine hervorragende, kaum glaubliche Leistung. Hedwig Brenner: Jüdische Frauen in der bildenden Kunst V. Ein biographisches Verzeichnis. Hg. von Erhard Roy Wiehn. Konstanz: Hartung-Gorre 2013. 176 5. mit Bilder-CD. Euro 19,80 kulturellen Verhältnisse und Entwicklungen in der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung und in der jüdischen Bevölkerung verbunden. Darauf zielt auch das Vorwort des Politikwissenschaftlers Peter Lösche ab, dessen Eltern mit der Kaiser-Familie befreundet waren. Insbesondere mit seinen Ausführungen zur „Sozialdemokratischen Solidargemeinschaft“ steckt er den historischen Rahmen ab, in dem sich diese Familiengeschichte bewegt. Elly Kaiser war Sekretärin und Archivarin der SPD-Fraktion im Reichstag und stammte aus einer klassenbewussten Familie mit starkem Zusammenhalt, der auch über das Exil hinaus reichte — das stellt Hanna Papanek in den beiden ersten Kapiteln „Weimar-Baby“ und „Rotes Berlin, Steinernes Prag“ dar. Sie wurde als „uneheliches“ Kind geboren, was ihr erstmals als Problem vermittelt wurde, als es um Erfüllung moralischer Normen für das Einreisevisum in die USA ging und die Mutter kurzerhand einen verstorbenen Ehemann erfand und die Papiere entsprechend fälschte (siehe $. 155 ff.). Ihre Tante Fanny Hüllenhagen versteckte in ihrer kleinen Wohnung im Wedding eine jüdische Frau und zählt heute zu den „Gerechten unter den Vélkern“, die in Yad Vashem geehrt werden, was im 15. Kapitel im Kontext der Familiengeschichte entfaltet wird. Alexander Stein aus der jiidischen Rubinstein-Familie aus Wolmar und Riga fliichtete als Menschewik vor zaristischer Verfolgung bereits 1906 iiber die Grenze nach Deutschland, ging zunachst nach Ziirich, dann nach Leipzig und lebte ab 1907 in Berlin, engagierte sich als Schriftsteller und Journalist in der deutschen Sozialdemokratie, war „stets ein Brückenbauer“ (S. 346) und ab 1925 Bildungssekretär der Partei, blieb jedoch immer „in der zweiten Reihe“ hinter der Prominenz der internationalen Arbeiterbewegung, was in dem 12. Kapitel, „Wie er wurde, was er war“, dargestellt wird. Auch sein Dezember 2013 73