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Gerald Stourzh Niederhollabrunn, 4. Oktober 2013 Etwa um 3 Uhr morgens in der Nacht vom 12. zum 13. Juni 1941 drangen ein sowjetischer Soldat und zwei Zivilisten in die Wohnung der Familie Bartfeld in der Goethegasse in Czernowitz ein und zwangen die Familie, den Vater Moritz und die Mutter Cilli, den jüngeren Bruder Otti und die damals 18jährige Margit, binnen einer Stunde nur mit dem, was sie tragen konnten, zum Abtransport fertig zu sein. Mit Lastautos ging es zur Bahn, dort wurden sie, gemeinsam mit an die 3.000 anderen Czernowitzern, davon etwa 80 % Juden, in Viehwagons verladen und nach Sibirien deportiert. Diese Deportation war nur Teil einer gleichzeitig mit größter Präzision und Grausamkeit durchgeführten Deportation von über 70.000 Personen von Estland über Lettland und Litauen bis Bessarabien (heute Moldawien). Es ging aus sowjetischer Sicht darum, „gesellschaftlich fremde Elemente“, wie es in einem geheimen ZK-Beschluss hieß, aus den neuen, erst ein Jahr zuvor der Sowjetunion angegliederten Grenzregionen ins Innere des Reiches zu schaffen. Die Angliederung der baltischen Staaten sowie der zwei zu Rumänien gehörenden Gebiete Bessarabien und Nordbukowina im Juni 1940 war eine Folge des berüchtigten Hitler-Stalin-Paktes vom August 1939. Die Bartfelds wurden in Nordwestsibirien in einem winzigen Dorf im Tal eines Nebenflusses des ins Eismeer fließenden Flusses Ob, des Wasjugan-Flusses, ausgesetzt. Bald begann das „große Sterben“, wie Margit Bartfeld-Feller es genannt hat. Auch ihr Vater starb an Entkräftung schon im Frühjahr 1942. Margit und ihre Mutter mussten ihn selbst begraben. Nach etwa vier Jahren fasste in einem größeren Ort, Novo-Wasjugan, Fuß; Margit heiratete 1948 einen ebenfalls aus Czernowitz Deportierten, Kurt Feller, 1954 wurde die einzige Tochter Anita geboren. Anita über ihre Eltern: „Meine Eltern waren ein schönes Paar, jedoch zwei echt polare Gestalten: die immer lustige, muntere, singende, tanzende, lachende, gesellige, unermüdliche, für mich als Kind sogar zu laute ‚Quecksilbermama‘, und der immer ausgeglichene stille, würdige, beleseng, aristokratisch ruhige ‚Schweigen-ist-Gold-Papa‘.“ Schließlich fand die Familie in der Stadt Tomsk eine Bleibe. Margit konnte dank ihrer hervorragenden Musikalität und ihres Klavierspiels als Musiklehrerin und Chorleiterin arbeiten. Kurt Feller verstarb schon 1979. 1990 konnte Margit mit ihrer Mutter, der Tochter, dem Schwiegersohn und zwei Enkelsöhnen nach Israel auswandern. Dort hat sie, in Tel Aviv, im März die ses Jahres ihren 90. Geburtstag gefeiert. Gegen Mitte der 90er Jahre begann die damals siebzigjährige Margit zu schreiben, [in ihrer Österreichisch getönten deutschen Muttersprache,] zunächst in der Zeitschrift „Die Stimme“, der Zeitschrift der in Israel lebenden Juden aus der Bukowina. Aus der Begegnung mit dem in Konstanz lehrenden Soziologen Erhard Wiehn, der sich die Herausgabe von Judaica und Schriften zur Shoa als Lebensziel gesetzt hat, entstand die Anregung, die Erinnerungen in Buchform zu erweitern. Das erste Buch, „Dennoch Mensch geblieben, Von Czernowitz durch Sibirien nach Israel 1923-1996“, erschien 1996. Seither sind bis 2011 neun weitere Bücher erschienen; besonders sei der 2009 erschienene Band „Mama Cilli“, Erinnerungen an ihre ebenso charakterstarke wie schöne Mutter, 1997 im Alter von 96 Jahren in Tel Aviv verstorben, genannt. In ihrem achten und neunten Lebensjahrzehnt hat unsere