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sichergestellt zu wissen; welche heuchlerischen Mittel verwendet wurden, um die menschliche Würde zu zertreten; wie Gesetz, Recht und Moral verletzt wurden, um eine falsche und illusorische Idee auf Kosten von Millionen menschlicher Leben durchzusetzen. Aber auch aus anderen Gründen sind diese Bücher für uns unentbehrlich: um nämlich zu wissen, daß der kleine Mensch der grausamen staatlichen Maschinerie durchaus gegenüberstehen und sogar als Sieger aus diesem Kampf hervorgehen kann; daß die humanistischen Ideale von den Verbrechern und Zynikern bei allem Eifer nicht zerstört werden können; daß der hartnäckige Wille des Einzelnen Wunder wirkt, wenn es darum geht, sein Leben und das Leben seiner nächsten im Namen dieser Ideale zu verteidigen. [...] Rund 50 Jahre dauerte die sibirische Verbannung von Margit Bartfeld-Feller — eine lebenslange Sibiriade von epischer Breite, deren Episoden und Ereignisse ein buntes Kaleidoskop bilden, das seinesgleichen sucht. Aus den einzelnen Splittern entsteht aber in ihren Erzählungen ein abgerundetes Bild von menschlichem Schicksal, das niedergemacht werden sollte und sich dagegen aufbäumte, um später von seiner Zeit und ihren Protagonisten zu zeugen. |...] Doch all diese kleinen Geschichten werden immer wieder von der großen Geschichte der sibirischen Verbannung überschattet, der Margit Bartfeld-Feller mit ihren Büchern ein unzerstörbares Denkmal setzt. Die einprägsame Chronik lebenslanger Sibiriade einer jüdischen Familie aus Czernowitz“, so Petro Rychlo, „gerät somit zu einer heftigen Anklage der kommunistischen Despotie sowie zu einer hellsichtigen Warnung fiir ihre heutigen Nostalgiker.“’ Professor Gerald Stourzh schreibt unter dem Titel „Menschlichkeit als höchster Wert“ in seinem Vorwort für Margit Bartfeld-Fellers Nachhall (2011) u.a.: „Die starke Wirkung und fortdauernde Bedeutung ihrer Bände ist wohl aus zwei verschiedenen Quellen ableitbar. Da ist einmal ihre Rolle als Zeitzeugin untergegangener Lebenswelten.“ Wobei sowohl das alte Czernowitz als auch das sowjetische Sibirien gemeint sind. „Und da sind, zweitens, bestimmte Charaktereigenschaften Margit Bartfeld-Fellers, die ihren Berichten eine besondere Note geben: die Abwesenheit von Bitterkeit und Haß und die Fähigkeit, [...] auch die schwierigsten Situationen und Konfrontationen und die bösesten Demütigungen überwinden zu können. ‚Dennoch Mensch geblieben‘ - der Titel ihres ersten Buches - faßt in drei Worten ebenso prägnant wie erschöpfend die Essenz von Margit Bartfeld-Fellers Lebensgeschichte und Lebensgeschichten zusammen — eben ein Mensch im vollen Wortsinn eines humanistischen Menschenverständnisses [...] Erinnerungen an Menschen bewahrt zu haben und weiter zu überliefern, die inmitten eines unmenschlichen Regimes ihre Menschlichkeit bewahrten und zum Schutze unschuldig Bedrohter einsetzten, ist eines der wichtigsten und bleibenden Charakteristika von Margit Bartfeld-Fellers literarischem Werk [...]“® Auch Professor Andrei Hoisie — Germanist an der Universitat Iasi (Nordost-Rumänien) — findet in seinem Geleitwort zum allerersten Sammelband Margit Bartfeld-Fellers Dennoch Mensch geblieben: „Der geplanten Zersetzung des Individuum schien in Sibirien dann nichts mehr im Wege zu stehen. — Ein Wunder geschah jedoch, da die innere Kraft dieser Bildung sich in einem langwierigen und zermürbenden Kampf am Ende doch durchsetzen konnte. [...] Der scheinbare Sieg ‚Asiens‘ über ‚Europa‘ an der ,halbasiatischen‘ (K.E. Franzos) Schwelle wurde dadurch zunichte. ‚Mitteleuropa‘ blieb in den Seelen und Köpfen der Menschen stärker als die Folgen der blinden Wut des Terrors. Diese wichtige Lehre sollte 8 _ ZWISCHENWELT man — sogar mit einem beträchtlichen Geschichtsoptimismus geschmückt - aus den in diesem Buch verzeichneten Erfahrungen ruhig ziehen. Historia magistra vitae.“” Für mich war es von Anfang an ein großes Glück, Margit BartfeldFeller begegnet zu sein, und ein Privileg, als Herausgeber daran mitgewirkt zu haben, daß ihr literarisches Werk als nachhaltige und unverwechselbare Zeuchtspur dem deutschen, jüdischen, russischen, ukrainischen und vielleicht sogar Welt-Kollektivgedächtnis erhalten bleibt. Denn was aufgeschrieben, veröffentlicht und in einigen Bibliotheken der Welt aufgehoben ist, bleibt hoffentlich immer nachlesbar, damit daraus vielleicht gelernt werden kann: „Ein Buch ist etwas anderes und haltbarer als Zeitungspapier!“, bemerkte unsere ebenso weise wie witzige Autorin Alice SchwarzGardos (1915 Wien — 2007 Tel Aviv): „Es [das Buch] ist an sich ein Stück Lebensverlängerung, ein kleines bißchen Medizin gegen die Endlichkeit. Beinahe ein wenig Unsterblichkeit.“ ! Herausgeber und der Hartung-Gorre Verlag (Konstanz) gratulieren unserer Autorin und Freundin Margit Bartfeld-Feller in Tel Aviv und ihrer anwesenden Tochter Anita Hajut stellvertretend herzlichst zur Verleihung des chrenvollen Theodor Kramer Preises 2013! Erhard Roy Wiehn, geb. 1937 in Saarbrücken, Soziologe, emeritierter Professor der Universität Konstanz, Mitbegründer der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Arbeitsgemeinschaft Bodenseeregion, veröffentlichte zuletzt „MenschWerden. Dem Leben seinen Sinn geben. Erinnerungen 1937-2012“ und ist seit 1983 Herausgeber der mittlerweile hunderte Bände umfassenden „Edition Schodh & Judaica“ im Hartung-Gorre Verlag Konstanz. Anmerkungen „Von dort bis heute“ ist ein Zitat aus Else Kerens Gedicht „Czernowitz‘, in: Peter Rychlo (Hg.): Die verlorene Harfe. Eine Anthologie deutschsprachiger Lyrik aus der Bukowina. Chernivtsi 2002, S. 472. 1 M. Bartfeld-Feller: Dennoch Mensch geblieben. Von Czernowitz durch Sibirien nach Israel 1923-1996. Konstanz 1996, 21-41. 2 Ebenda. 3 Dazu Erhard Roy Wiehn: MenschWerden. Erinnerungen 1937-2012. Konstanz 2012. 4 Andrei Hoisie: Historia magistra vitae, in: M. Bartfeld-Feller, Dennoch Mensch geblieben. Konstanz 1996, 11-15; M. Bartfeld-Feller: Am östlichen Fenster. Konstanz 2002, 7; Cécile Cordon, Helmut Kusdat (Hg.): An der Zeiten Rander. Wien 2002; Peter Rychlo: Chronik einer lebenslangen Sibiriade, in: M. Bartfeld-Feller: Unverloren. Konstanz 2005, 9-13; siehe in: Nicht das letzte Wort. Berlin-Haifa 2005, 35 1f.; Sergij Osatschuk: Eine für uns von Gott gerettete Berichterstatterin, in: Erinnerungswunde. Konstanz 2007, 9-10; Hana Shmueli: Ein gebendes Leben, in: Mama Cilly. Konstanz 2009, S. 12-14. 5 NKWD - Narodny kommissariat wnutrennich del — Volkskommissariat für innere Angelegenheiten, sowjetischer Geheimdienst 1934-1946. 6 Dazu auch Sassona Dachlika: „Volksfeinde“. Von Czernowitz durch Sibirien nach Israel. Eine Erzählung. Konstanz 2002. 7 Peter Rychlo: Chronik einer lebenslangen Sibiriade, in: M. Bartfeld-Feller: Unverloren. Konstanz 2005, 9-13; vgl. auch Petro Rychlo: Das Leben ist rot, in: M. Bartfeld-Feller, Selma Meerbaum-Eisinger. Erinnerungen. Konstanz 2013. 8 Gerald Stourzh, „Menschlichkeit als höchster Wert“, in: M. Bartfeld-Feller, Nachhall. Konstanz 2011, 11-14. 9 Andrei Hoisie: Historia magistra vita, in: Margit Bartfeld-Feller, Dennoch Mensch geblieben. Konstanz 1996, 11-15. 10 Alice Schwarz-Gardos: Weitere Zeitzeugnisse aus Israel - Gesammelte Beiträge der Chefredakteurin der „Israel Nachrichten“ Tel Aviv. Konstanz 2007, 9.