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Barbara Prammer Geschichte verpflichtet Auszüge aus der Rede der Präsidentin des Nationalrates Mag.“ Barbara Prammer im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus, Montag, 5. Mai 2014, Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus Geschichte verpflichtet. Sie verpflichtet uns zur Erkenntnis, dass wir auf historischem Boden stehen und unser Dasein in einem großen Zusammenhang zu verstehen ist. Sie verpflichtet uns dazu, errungene Werte im Sinne eines friedlichen, demokratischen, rechtsstaatlichen Miteinanders zu verteidigen. Sie verpflichtet uns aber auch zum Zweifel, zu kritischem Bewusstsein gegenüber gesellschaftlichen Fehlentwicklungen. Und: Geschichte ist unteilbar. Wir können uns nicht nur an den glanzvollen Epochen erfreuen, sondern müssen uns auch zu den unerfreulichen, schrecklichen Abschnitten bekennen. Eine von den Bürgerinnen und Bürgern sowie vom Staat getragene Erinnerungskultur öffnet Türen für ein zukunftsorientiertes Zusammenleben. Folglich ist Gedenken ein zutiefst demokratisches Anliegen und damit Verpflichtung für jede und jeden Einzelnen. Der 5. Mai ist ein Zeichen des Respekts gegenüber den Opfern geworden, aber auch Symbol für das Bekenntnis zur Verantwortung der Republik gegenüber den Ereignissen der NS-Zeit. Das ist eine wesentliche gesellschaftliche Errungenschaft der Zweiten Republik, wenngleich dies nicht Endpunkt einer Auseinandersetzung mit Geschichte sein darf. Der Nationalsozialismus mit seiner wahnwitzigen Ideologie hat den europäischen Kontinent verdunkelt und in das größte Menschheitsverbrechen der Geschichte geführt. Unser Gedenken kann sich daher nicht auf Österreich beschränken, sondern muss den Blick über die Grenzen hinaus öffnen und alle Opfer einbeziehen. Es zeichnet diese Veranstaltung aus, dass Karl Schwarzenberg, ehemaliger stellvertretender Ministerpräsident und Außenminister a. D. der Republik Tschechien, meine Einladung angenommen hat, die Gedenkrede zu halten. In seiner Biografie spiegeln sich die weitreichenden politischen Verwerfungen Europas im 20. Jahrhundert wider. Er verkörpert aber auch zivilgesellschaftliches Engagement im Widerstand gegen ein autoritäres Regime, getragen vom Bewusstsein um persönliche Verantwortung. Karl Schwarzenberg ist nicht zuletzt Mitgestalter europäischer Geschichte. Herzlich willkommen im österreichischen Parlament! Der Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus widmet sich jedes Jahr einem konkreten Thema — heuer der Musik und dem Lager Theresienstadt. Auf diese Weise soll an Künstlerinnen und Künstler erinnert werden, die von den Nationalsozialisten verfolgt, vertrieben, deportiert, ermordet wurden. Einer von ihnen ist Hans Kräsa. Er wurde am 30. November 1899 in Prag als eines von fünf Kindern einer jüdischen Familie geboren. Nach dem Gymnasium studierte er Kompositionslehre, erste Werke von ihm wurden bei den Prager Philharmonischen Konzerten aufgeführt. Trotz Angeboten aus dem Ausland blieb er in seiner Heimatstadt, wo 1938 die Kinderoper „Brundibär“ — zu Deutsch „Die Hummel“ - entstand. Das Werk wurde trotz deutscher Besatzung im Dezember 1942 in Prag uraufgeführt. Kräsa war nicht anwesend. Er war bereits vier Monate zuvor nach Theresienstadt deportiert worden. Im KZ Theresienstadt schrieb Kräsa die Partitur neu, wobei er die Instrumentierung den musikalischen Möglichkeiten im Lager anpasste. Dort wurde „Brundibär“ ab September 1943 mehr als fünfzigmal aufgeführt. Aufgrund der sogenannten „Osttransporte“ — der Deportation von Gefangenen nach Auschwitz — gab es im Ensemble häufige Wechsel. Von den Mitwirkenden haben nur wenige überlebt. Im Herbst 1944 wurde damit begonnen, das gesamte Orchester nach Auschwitz abzutransportieren. Den gleichen Weg nahm im Oktober der so genannte „Künstlertransport“. Viele Künstlerinnen und Künstler - unter ihnen Hans Kräsa sowie die Komponisten Raffel Schächter, Peter Klein, Gideon Klein und Pavel Haas — wurden von den Nazis in den Tod geschickt. Von den rund 141.000 nach Theresienstadt deportierten Menschen überlebten etwa 23.000. Zwei Überlebende sind heute unter uns: Dr.” Eva Herrmannovä und Dr.” Dagmar Lieblovä. Sie waren damals Mitwirkende an den Aufführungen der Oper „Brundibär“ in Theresienstadt. Herzlich willkommen im österreichischen Parlament! Eva Herrmannovä wurde 1929 in Wien geboren und wuchs in Troppau, Nordmähren, auf. Dorthin kehrte sie nach der Befreiung des Lagers Theresienstadt im Mai 1945 zurück. Sie studierte anschließend in Prag Musikwissenschaft. Von 1991 bis 1995 war sie Generalintendantin der Oper des Nationaltheaters in Prag. Dagmar Lieblova wurde 1929 in Kutna Hora/Kuttenberg, Böhmen, geboren. Sie studierte nach dem Krieg Tschechisch und Deutsch und war als Lehrerin und Übersetzerin tätig. Sie ist Mitbegründerin — heute Vorsitzende — der „Iheresienstädter Initiative“, eines Verbandes von chemaligen Häftlingen, der das Gedenken an die Opfer hoch hält. Es ist das Kennzeichen von Kunstwerken, dass sie über den Anlass ihrer Entstehung hinaus Allgemeingültiges aussagen, das sich — unabhängig von Zeit und Ort, wo wir ihnen begegnen - in den Umständen jeder Zeit manifestiert. In „Brundibär“ sind es: der Kampf der Gerechten und Unschuldigen gegen das Selbstsüchtige, Böse und den Tyrannen; das Recht auf Widerstand, Zusammenhalt und die gelebte Solidarität im Kampf um das Überleben. Der Sieg der Gerechten wird getragen und ermöglicht durch das Mittel der Musik. „Brundibär“ wurde auch im NS-Propagandafılm „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ verarbeitet. Dieser Film dokumentiert eindringlich den Zynismus, mit dem ein angenehmes Lagerleben im KZ Thersienstadt vorgetäuscht und grausame Realität in eine idyllische Scheinwelt verkehrt wurde. Die heutige Aufführung der Kinderoper „Brundibär“ soll ein Beitrag sein, jene Musikschaffenden, die Opfer des Nationalsozialismus wurden, in unserer Erinnerung lebendig zu halten und ihre Werke dem Vergessen zu entreißen. „Brundibär“ steht aber auch für das Überdauern von Kunst, somit auch für ihre Mai 2014 9