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zahlreichen Freunden, darunter Eduard Kanitzer, ist er öfters beim Heurigen zu finden, unternimmt in Gesellschaft gerne Ausflüge ins Grüne, geradezu biedermeierliche Landpartien, wie entsprechende Fotos aus seinem Nachlass zeigen. Nach Hadersdorf und so weiter, da ist er hinausgefahren um einen Wein. Obwohl es eine traurige Zeit war, weil viele Arbeitslose waren, war es eine schöne Zeit beim Schmid. Er war zu uns Kindern gut. Und er hat auch sehr viele Freunde gehabt, weil er ein wirklich guter Mensch war, erinnerte sich Gerhard Kanitzer Jahrzehnte später im Gespräch mit mir und fügte hinzu: Mein Vater hat nur Gutes über den Schmid erzählt, das waren zwei dicke Freunde. Ich glaube, es hat keinen Schmid. Ich glaube, es gibt keinen Menschen, der ihm was Schlechtes nachsagen kann. Wirklich nicht. Weil das war ein einmaliger Mensch. Am 12. März 1938 marschiert die hitlerdeutsche Wehrmacht in Osterreich ein. SS- und Polizeieinheiten, der NS-Terrorapparat, folgen ihr auf dem Fuße. Die Okkupanten werden nicht nur in Wien von zahlreichen Menschen frenetisch begrüßt. Bald regiert der Mob auf den Straßen. Auch in der Brigittenau. Nachdem der SA-Mann Josef Graf bereits in verschiedenen Brigittenauer Cafes die anwesenden jüdischen Gäste zusammengeschlagen hatte, sie Spucknäpfe austrinken ließ und als „Gfrieser“, „Schweine“, „Saujuden“ und „Judenhuren“ beschimpfte, erschien er am 14. März 1938 im Cafe Treuhof. Hier ließ er die jüdischen Besucher auf der Straße in Dreierreihen antreten und führte sie anschließend unter dem Gejohle der Passanten in Richtung Nordwestbahnhalle, wo sie turnen sollten, ist bei Peter Payer nachzulesen. Von meinem Vater haben sie fast alle, bis auf seine Schwester, haben sie alle, alle im KZ umgebracht. Ich habe sogar gesehen, wie sie meinen Onkel weggeführt haben, in einen Lastwagen eingeladen. Wie die Viecher haben sie die weggeführt, die Leute, und dann habe ich gesehen bei der Friedensbrücke, haben sie so, so Kruckenkreuze aufgemalt auf dem Gehsteig und die Juden haben sich niederknien müssen und haben es wegschrubben müssen. Also, fürchterlich. Dass man so einen Hass haben kann auf Menschen, erinnerte sich Gerhard Kanitzer Jahrzehnte später im Gespräch mit mir. Anton Schmid ist an sich wohl ein eher unpolitischer Mensch, zumindest gehört er keiner Partei an, aber es ist ihm auch nicht gegeben einfach nur zuzuschauen. Keine fünfzig Meter von seinem Laden in der Klosterneuburger Straße gibt es an der Ecke zur Pappenheimgasse ein jüdisches Knaben-Kleidergeschäft, das einer gewissen Frau Topor gehört. Man kennt sich nachbarlich. Im braunen Trubel der Anschlusstage schlägt ein Nazi-Bub der Frau Topor die Auslagen ein, nur ein kleiner Teil des großen Pogroms dieser Tage in Wien. Schmid kommt hinzu, zeigt angesichts der weinenden Geschäftsinhaberin Zivilcourage und ohrfeigt den Rotzbuben. Das ist in diesen Tagen alles andere als politisch korrekt. Die Freunderln des Hitlerjungen holen einen Polizisten vom keine hundert Meter entfernten Wachzimmer Pappenheimgasse. Der Beamte trägt zwar noch österreichische Uniform, aber bereits eine Hakenkreuzbinde. Der Polizist weiß, was seit kurzem politisch korrekt ist, und geht auf Schmid mit dem Säbel los. Oder um es mit den Worten des Augenzeugen Gerhard Kanitzer zu erzählen: Der Herr Schmid war ein herzensguter Kerl, und er war auch ein herzensguter Kerl während der Hitlerzeit, weil aufder Ecke Pappenheimgasse und Klosterneuburgerstraße war eine Bäckerei |recte ein Kleidergeschäft; M.W.] einer Jüdin, eine gewisse Topor, und wie der Hitler da war, ist einer hingegangen, ein so ein Nazi-Bub und hat die Auslage eingehaut, ja, und der Schmid ist da dazugekommen und hat das gesehen und hat ihm ein paar Watschen runtergehaut. Und auf das hinauf ist ein Wachmann gekommen, also auf dem Pferd, damals war ja noch berittene Polizei, und hat den Schmid angreifen wollen mit dem Säbel, und der Schmid hat den Säbel genommen und hat ihn so abgebogen. Herr Kanitzer machte mit beiden Armen eine Handbewegung, als würde er einen Expander abbiegen, und erzählte weiter: Aufdas hinauf haben sie ihn in die Pappenheimgasse auf das Kommissariat geführt, aber zwei Stunden später war er wieder daheim, weil der hat lauter Freunde dort gehabt. Wahrscheinlicher scheint aber im Fall Schmid die Anwendung des damals nicht unüblichen, sogenannten ‚Brigittenauer Landrechtes‘ durch das Kommissariat Pappenheimgasse gewesen zu sein. Das heifst, Delikte wie Diebstahl, Raufhändel wurden oft nicht angezeigt und damit auch nicht aktenkundig, sondern von den Polizisten im Wachzimmer durch sogenanntes ,Handauflegen‘ abgestraft. Die Delinquenten wurden also verprügelt und nach ein, zwei Stunden aus dem Wachzimmer geworfen. Das hatte für die Polizisten den Vorteil, dass sie sich abreagieren konnten, und für die Delinquenten, dass sie ohne Gerichtsverfahren und ohne Vorstrafen davonkamen, habe ich Jahre später — natürlich inofhiziell - aus dem Innenministerium erfahren. Nach dem März 1938 lässt der braune Terror nicht nach, ganz im Gegenteil. Nicht nur in der ehemaligen jüdischen Volksschule in der Karajangasse 16 in Wien-Brigittenau spielen sich schreckliche Szenen ab. Im Schulgebäude befand sich der berüchtigte „Notarrest Karajangasse“. Von ganz Wien wurden tausende von der Gestapo verhaftete Juden hierher gebracht und brutalst misshandelt. Die sie empfangenden SS-Leute peitschten jeden neuen Transport mit Stahlruten (...) in das Gebäude hinein. In Klassenzimmern für ehemals vierzig Schüler waren bis zu dreihundert Arrestierte zusammengesperrt. Zur Belustigung der Wachen mussten sie im Schulhof bei strömenden Regen stundenlang Freiübungen machen, besonders Wippen und Kniebeugen, wobei ältere Menschen bald zusammenbrachen. Unter Mai 2014 13