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nieder. In Tel Aviv hatte Lobe, noch auf Hebräisch, ihren ersten Kinderroman veröffentlicht. Ferra-Mikura, 1923, also ein Jahr vor Hofbauer, in Wien geboren, hatte als Laufmädchen, Stenotypistin und Verkäuferin in der Tierfutterhandlung ihrer Eltern gearbeitet, ehe 1946 ihr erster Gedichtband erschien. Damals studierte Friedl Hofbauer noch Germanistik an der Universität Wien, spielte bei einem Studententheater mit, dem Österreichischen Hochschulstudio, und verfaßte Reime für „Unsere Zeitung“, das Organ der KPÖ-nahen Demokratischen Vereinigung Kinderland. Gemeinsam war diesen drei Frauen, daß sie Naziterror und Krieg bewußt, mit Abscheu und Entsetzen erfahren hatten, ferner ein ausgeprägt republikanischer Patriotismus (ein kritischer also, keine Hurra-und-es-war-ja-nichts-Gesinnung), die Abneigung gegen alles Frömmelnde, Biedere und Brave, die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich der österreichischen Umgangssprache bedienten, und die ebenso gelassene Zuwendung zu den Armen, Schwachen und Aufsässigen. Es schmälert nicht den Rang und die Bedeutung von Autorinnen wie Christine Nöstlinger, Renate Welsh und Lene Mayer-Skumanz, wenn ich behaupte, daß sie es, dank ihrer Vorgängerinnen, ein wenig leichter hatten: weil sie sich einer von diesen begründeten literarischen Tradition versichern konnten. Während sich Lobe und Ferra-Mikura nach vielversprechenden Anfängen mit Erzählungen und Gedichten ausschließlich der Kinderliteratur zuwandten, hat Hofbauer weiterhin auch für Erwachsene geschrieben. Die Grenze zwischen beiden — wie soll ich sagen: Fraktionen? Lagern? Sektoren? war allerdings fließend, denn sie hat ihr Leben lang die Konvention mißachtet, derzufolge Kinder durch ernste Anliegen gelangweilt und Erwachsene durch verrückte Einfälle unterfordert werden. Ihr erster Roman, „Am End ist’s doch nur Phantasie“ (1960), handelte von den letzten Tagen des Dramatikers Ferdinand Raimund und wies bereits alle Vorzüge ihres Schaffens auf: das genaue Gehör dafür, wie Menschen sich äußern; die nüchterne Sprache; die Fähigkeit, Einbildung und Vorstellung als der Wirklichkeit zugehörig zu begreifen, nicht als etwas davon Abgehobenes, Getrenntes. Auch das Märchen-, Sagen- und Zauberhafte ist dem menschlichen Bedürfnis nach Austausch und Gemeinschaftlichkeit anverwandt. Bei Erscheinen des Romans hatte Hofbauer ihre literarischen und publizistischen Gehversuche längst absolviert. In der kommunistischen Presse der fünfziger Jahre, vor allem der kulturpolitischen Zeitschrift „Tagebuch“, läßt sich ihr Herantasten an den eigenen Ton, die ihrem Temperament entsprechende Poetik nachprüfen. Die ersten dort veröffentlichten Prosastücke waren Skizzen aus dem engen Alltag junger Menschen, eine Soemmergeschichte zum Beispiel, in der Not durch Liebe gemildert wird, zwei Dialektgedichte mit politischer Wirkungsabsicht und ein gemeinsam mit Otto Horn verfaßter Bericht von den Kapfenberger Kulturtagen 1951, in dem die beiden die Bedingungen erörtern, unter denen Arbeiter für die Literatur zu gewinnen wären. In der 1954 erschienenen Anthologie „Der Kreis hat einen Anfang“ ist sie mit der Erzählung „Toni“ vertreten, dem Requiem auf eine Mitschiilerin, die an Tuberkulose gestorben und an der unerfüllten Liebe zu einem Wehrmachtssoldaten zugrundegegangen war. Schon diese frühen, noch unsicheren Versuche strafen die bis heute als Gewißheit kolportierte Behauptung Lügen, in der österreichischen Nachkriegsliteratur habe es keine Auseinandersetzung mit Terror, Krieg, Schuld und Sühne gegeben. Aber natürlich, Friedl Hofbauers Schaffen fiel die längste Zeit in die Ära des Kalten Krieges, und sie stand darin, wie der viel zu früh verstorbene Kurt Mellach und wie ihr zweiter Mann, der Übersetzer und Dramaturg 16 _ZWISCHENWELT Edmund Theodor Kauer, auf der schwächeren, gesellschaftlich zunehmend isolierten Seite. Erstaunlich, wie wenig ihr diese soziale Vereinsamung anhaben konnte. Noch erstaunlicher ist der rasche Zuwachs an literarischem Vermögen und der Mut, ihre Bestimmung zu finden. Hofbauer schrieb über das, was sie aus eigenem Erleben kannte, erwarb aber einen Reichtum an Ausdrucksformen, der einen beim Wiederlesen sprachlos macht, stumm vor Bewunderung und Entzücken. Ich denke dabei an ihre in den Bänden „Traumfibel“ (1969) und „Podium Porträt“ (2004) gesammelten Gedichte, auf die ich noch zurückkommen werde, aber auch an die Prosabände — zwei Romane, eine Erzählung — „Eine Liebe ohne Antwort“ (1964; „Die Papierrose“ sollte das Buch, wenn es nach der Autorin gegangen wäre, heißen), „Der kurze Heimweg“ (1971) und „Der Engel hinter dem Immergrün“ (1981). Alfred Andersch hat bei Gelegenheit den walisischen Literaturwissenschaftler Idris Parry zitiert, demzufolge Kunst nicht von Abstraktionen, letzten Fragen, Unendlichkeit und Ewigkeit handle, sondern von Knöpfen. „Das eigensinnige Insistieren auf Knöpfen“, so Andersch, „möchte einen Namen haben, eine Rechtfertigung, die Weihe durch eine übergeordnete Idee. Aber die Dinge, Sachen, entziehen sich jeglichem Idealismus. Sie sind. Daher meine Vorliebe für die Beschreibung.“ Anzunehmen, daß dem deutschen Schriftsteller, hätte er sie gekannt, „Die Papierrose“ ein schlagender Beweis seiner Vorliebe für den von ihm propagierten Nominalismus gewesen wäre: die Geschichte von ein paar jungen Arbeitern — Halbstarken, gemäß der damaligen Diktion —, die an der Peripherie einer Stadt, und im Niemandsland zwischen Eigennutz und Moral, ihren Träumen hinterherrennen: denen von Geld, Stärke und Liebe. Das Geschehen wird in kurzen Hauptsätzen und ebenso knappen, treflsicheren Dialogen erzählt, sachlich und in einem rauhen Ton, aus dem unvermutet immer wieder Funken der Poesie sprühen: „Die blaue Todeskuppel über der Landschaft war zersprungen, ein leiser Ton, wie wenn Glas angestoßen wird, war hörbar, und wie aus Kübeln stürzten Licht und Hitze herunter.“ „Der kurze Heimweg“ entzieht sich überhaupt jedem Vergleich. Ein Roman, der, gäbe es die von Gauß beschworene Gerechtigkeit, hunderttausend Mal gelesen und in literaturwissenschaftlichen Seminaren als einsamer Höhepunkt deutschsprachiger Erzählkunst behandelt werden würde. Er beginnt fulminant, mit dem Eindringen eines Fremden (der von einem andern Planeten oder aus einer unbekannten Hemisphäre stammt) in die Familie der Ich-Erzählerin, und hält den Leser, die Leserin bis zuletzt in höchster Spannung. Es ist, als hätte Friedl Hofbauer ihn im Zustand der Gnade geschrieben, all ihr Talent samt den erworbenen Fähigkeiten — die Lakonie, die Ausgelassenheit, die überbordende Fantasie, die traumhaft scharfen Bilder - in diesen 350 Seiten zusammengeführt: um Grundthemen des Menschseins zu ergründen, spielerisch und verbindlich zugleich: Liebe, Trauer, Tod, dazu die Sehnsucht nach „Bundesgenossen“, einer Gemeinschaft also, der sie sich als Kinderbuchautorin immer wieder versichert hat: Sie hat unter anderen mit Käthe Recheis, mit Lene Mayer-Skumanz, mit Georg Bydlinski, oft auch mit ihren Kindern Anna und Alexander Melach Geschichten und Theaterstücke verfaßt. Dabei war das Erscheinen dieses überwältigenden Romans, wie sich Alexander erinnert, eher ein Zufall und der Hartnäckigkeit der Autorin zu verdanken: Der Claassen-Verlag hatte das Manuskript angenommen, aber nach einem Besitzerwechsel alles