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Richard Wall Als nun auch Altgewordener zu sagen, wie schnell doch die Zeit vergeht, ist eine Plattitüde. Trotzdem: Unglaubliche zehn Jahre werden esam 12. Mai 2014 gewesen sein, dass Michael Guttenbrunner, ausgezeichnet mit dem Ehrendoktorrat der Universität Klagenfurt, verstarb. Anfang April hat er noch rüstig, wie mir schien, in Krems den Theodor Kramer Preis entgegengenommen, Lesungen in Wien, Innsbruck und Linz folgten, und es gibt von ihm ein Foto, aufgenommen am 1. Mai vor dem Bruchsteinmauerwerk der Maria Biljan-Bilger-Ausstellungshalle in Sommerein anlässlich der alljährlich nach der Winterpause zu diesem Datum stattfindenden Eröffnung. Am 16. Mai wurde er postum mit dem Lyrikpreis des PE.N.-Clubs Lichtenstein ausgezeichnet. Einige Jahre nach seinem allzufrühen und überraschenden Tod, als er sich nicht mehr wehren konnte, versuchte man in einem journalistischen Artikel und einer schlecht recherchierten Schrift seine Integrität in Frage zu stellen: Seine Widerständigkeit zur Zeit des Nationalsozialismus (von ihm auch, in der Diktion des bayerischen Juristen und Schriftstellers Johann David Sauerländer, als Nationalbestialismus bezeichnet) wurde relativiert, ja heruntergespielt. Dazu eine Stellungnahme von Vinzenz Jobst aus dem Buch „Guttenbrunner. Rebellion und Poesie“, in dem der Kärntner Publizist und Geschäftsführer des Instituts für die Geschichte der Kärntner Arbeiterbewegung die neuesten Dokumente und Erkenntnisse verarbeitet hat: Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war Michael Guttenbrunner noch zutiefst davon überzeugt, im Sommer 1944 der Anklage zur Todesstrafe nur knapp entgangen zu sein. Dies geht unter anderem aus jenen Psychiatrieakten hervor, die zwischen 1945 und 1949 in Klagenfurt und Graz über ihn angelegt worden sind. Und bereits während des widerstrebend empfundenen Soldatentums hatte er begonnen, seine Erlebnisse und Beobachtungen lyrisch zu verarbeiten. Dutzende Gedichte, viele davon Antikriegsgedichte, in seinem Nachlass belegen dies eindrucksvoll. Es kann keine Rede davon sein, Guttenbrunner habe später seine Vergangenheit bewusst unrichtig wiedergegeben. Unbestritten bleibt vielmehr, dass er einer der wenigen ehemaligen Soldaten war, die offen über die eigene widersprüchliche Haltung im Krieg Zeugnis ablegten und über die Verbrechen der Wehrmacht schrieben. (S. 7). Jobst hat zur Sozial- und Regionalgeschichte Kärntens geforscht und publiziert, sowie die Gedichte des Arbeiterdichters Johann Ciesciutti herausgegeben („Robinsonade“, 1986). Nach jahrelanger Arbeit legte er kürzlich oben erwähntes Buch vor, in dem er nicht nur in einer Gesamtschau das Leben und Werk von Michael Guttenbrunner würdigt, sondern auch immer wieder auf die Haltung und politische Tätigkeit des Bruders Josef Guttenbrunner (1917 - 2000), ebenfalls ein Rufer für die Menschenrechte und die Rechte der Slowenen in Kärnten, eingeht. Gezeichnet von den Folgen einer schweren Lungenentzündung saß Michael Guttenbrunner am 3. Mai 2004 im Café Landtmann in Wien an der Seite von Univ.-Prof. Walter Manoschek und mit Richard Wadani sowie mit anderen Vertretern der Initiative „Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz“ an einem 24 ZWISCHENWELT Tisch und schloss sich der Forderung an, endlich die unhaltbaren Rechtsfolgen aus der NS-Ära zu beseitigen. Seine Tochter Dr. Katharina Guttenbrunner setzte sich nach seinem Tod für die Rehabilitierung ihres Vaters ein, was ihr auch gelang. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf die Stellungnahme des Personenkomitees „Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz“, im Internet als pdf-Datei zu finden (Homepage: www.pk-deserteure.at). Zehn Jahre sind nun also schon verstrichen seit dem Tod von Michael und der Grablegung am Heiligenstädter Friedhof in Wien. Am 7. September wäre er fünfundneunzig Jahre alt geworden. Diese beiden Tage — der eine im Frühjahr, der andere im Herbst —, habe ich mir geschworen, nicht zu vergessen, solange mein Gedächtnis dies zulässt. Die persönliche Erinnerung an diese Ausnahmepersönlichkeit wach zu halten ist das eine; zumindest an Gedenktagen wie diesen (wir denken nun mal - an Zahlen, vor allem an „runde“, dekadische - fixiert in solchen Kategorien) die Erinnerung zu veröffentlichen, ist das andere, statthafte. An Michael zu erinnern ist mir ein Bedürfnis, erscheint mir als Notwendigkeit, zumal in Zeiten, in denen sich alles zu beschleunigen scheint und schnell vergessen wird - in einer Epoche, da die eitle Betriebsamkeit auf dem Literaturmarkt vor allem jene trifft, die sich verkaufsfördernden PR-Gags und der Konjunktur gewisser Themen stets entzogen haben. Sind sie einmal tot und ihre Bücher nicht mehr auf dem Markt, werden sie doppelt schnell vergessen. Es gibt Worte, denen darf man nichts hinzufügen. Mit einer treffenden wie wertschätzenden Passage aus einem persönlichen Nachruf seiner Tochter sei hier und in diesen Tagen an Michael Guttenbrunner erinnert: Er war ein Mann der Extreme, die in seiner Prosa vollständig miteinander verwoben und voneinander durchdrungen schienen. Ungeheuer explosiver Zorn verbunden mit zartestem Mitgefühl für alles Lebende, weitest gehende Bedürfnislosigkeit materiellen Ansprüchen gegenüber mit einer förmlich greifbaren Begierde nach Büchern, die er besitzen wollte, stolzes Selbstbewufstsein mit größter Verehrung anderer, autoritär patriarchale Durchsetzung mit anarchistischer Umsetzung, völliger Rückzug in die Einsamkeit mit lebensvoller Freude an Freunden und Geselligkeit. ‘| Michael Guttenbrunner, 1999. Foto: Richard Wall