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Botschaften italienischer BergsteigerInnen auf seinem Grab am Friedhof von Altaussee, doch niemand im Dorf erwähnte auch nur seinen Namen. Bislang. Im Jahr 2013, hundert Jahre nach seinem Tod, widmeten sich Paul Preuß nicht nur eine, sondern gleich zwei Ausstellungen, und eine Statue wurde ihm zu Ehren am Ufer des Sees errichtet. Hundert Jahre hat es gedauert, bis die Tatsache, dass Altaussees berühmtester Bergsteiger Jude war, buchstäblich ans Tageslicht gekommen ist.’ Der Friedhof war der Schauplatz einer zweiten langsamen Veränderung. Einer der loyalsten aller jüdischen BewohnerInnen Altaussees war ein Wiener namens Ernst Königsgarten. Schon vor dem Krieg besaß er eine Villa im Ort. Er wollte in Altaussee begraben sein. Dann geschah, was geschah, und Ernst Königsgarten starb stattdessen in Theresienstadt. Sein Sohn Heinz, der inzwischen Engländer war und Henry Garton hieß, war nach dem Krieg wiedergekommen, wie Leute stets wieder nach Altaussee kommen; während eines dieser Aufenthalte hatte er am Friedhof eine Gedenktafel zu Ehren seines Vaters angebracht. Was nun kommt, ist, wie so viele österreichische Geschichten, schwer zu begreifen. Einige Jahre später kam Henry wieder nach Altaussee und musste feststellen, dass die Gedenktafel verschwunden war. Vielleicht war sie von einem oder mehreren Unbekannten heruntergerissen, vielleicht von offizieller Seite entfernt worden, um Platz zu schaffen für ein neues Grab. Henry ersetzte sie, möglicherweise ersetzte er sie auch zweimal. Daraufhin blieb sie dort an der Mauer, zumindest bis Mitte der 90er. Doch als Henrys Sohn Michael 2010 zurückkam, war sie abermals verschwunden, dieses Mal fast selbstverständlich aus den üblichen Gründen. Nun bat Michael seinerseits um die Wiedererrichtung der Gedenktafel. Er bekam keine Antwort, doch als er im folgenden Frühjahr wiederkam, war die Sache erledigt. Die Gedenktafel war an der Außenseite der Friedhofsmauer, wo jede vorbeigehende Urlauberin sie schen konnte, montiert worden. Er musste nichts dafür bezahlen. Als ich letzten Sommer, zwei Jahre danach, am Friedhof entlangspazierte, war sie noch immer dort und unbeschädigt. Vielleicht ist der Krieg, 70 Jahre nach seinem Ende, nun wirklich vorbei. In der Zwischenzeit haben auch wir uns verändert, genauso langsam. Vor vier oder fünf Jahren erfuhren wir, dass unsere Eltern, rechtlich gesehen, ihre Staatsbürgerschaft nie verloren hatten und sie daher automatisch auf ihre Kinder übertragen werde. Obwohl wir es also nicht wussten, waren wir alle, unsere ganze Familie, unser Leben lang österreichische StaatsbürgerInnen. Als wir zum ersten Mal in das Salzbergwerk hinabstiegen, als wir, dreizehn Jahre nach Kaltenbrunner, in der Villa Kerry wohnten, waren wir österreichische StaatsbürgerInnen; und all die Male danach waren wir es immer noch. Mein Vater war inzwischen gestorben, meine Mutter in der Alzheimer-Erkrankung verschwunden. Aber ich beantragte ihren Staatsbürgerschaftsnachweis und hängte ihn, neben dem Foto vom blauschwarzen See, an ihre Wand. Dann beantragte ich meinen eigenen, und da ich, im Gegensatz zu ihr, noch immer reisen konnte, beantragte ich auch einen Reisepass. Als ich letzten Sommer nach Altaussee reiste, dachte ich: Ich könnte ihn ja benutzen. Ich könnte, wie das Sich-Schließen eines Kreises, als Österreicherin nach Österreich kommen. Ich lachte laut auf — und verstummte. Ich hatte meines Vaters Grenzen erreicht. Ich werde jedes Jahr zurückkehren — aber mit meinem britischen Reisepass. Meine Mutter ist letztes Jahr gestorben, warum komme ich also 28 — ZWISCHENWELT immer noch zuriick? Deswegen, weil es ihr Lieblingsort war, wo ich mich am besten an sie erinnere; aber auch deshalb, weil es mein Lieblingsort ist, als Schriftstellerin. Es waren nicht nur Nazis und Juden, die Altaussee geliebt haben, sondern auch unterschiedlichste KünstlerInnen, vor allem SchriftstellerInnen. Brahms, Strauss und Mahler kamen hierher und einige der größten östereichischen Schriftsteller, wie der Dichter Hugo von Hofmannsthal, der Romancier Adalbert Stifter und der Dramatiker und Erzähler Arthur Schnitzler (dessen Reigen zu La Ronde, dessen Traumnovelle zu Eyes Wide Shut wurde). Sie wurden angezogen von der abgelegenen und nahezu heimlichen Schönheit dieser Seen und Berge, so wie Wordsworth und Coleridge angezogen wurden von der Schönheit Grasmeres. Und wieder waren viele von ihnen Juden: Schnitzler, Jakob Wassermann, Raoul Auernheimer, Friedrich Torberg und Hermann Broch, selbst Theodor Herzl, der Begründer des Zionismus, der auch Schriftsteller war. Vor einigen Jahre erkannte der Altausseer Tourismusverband die Möglichkeit, mithilfe der Kunst an den Ruhm vergangener Tage anzuschließen. Ein Literaturmuseum wurde eröffnet, die Via Artis, ein Wanderweg auf den Spuren der KünstlerInnen, angelegt. Er führt vorbei an den Villen Wassermanns und Torbergs, ebenso an jener Christl Kerrys. Die ursprünglichen, entlang des Weges angebrachten Schaukästen erwähnen das Judentum jener nicht oder nur indirekt (Torbergs Kriegsjahre in den Vereinigten Staaten, zum Beispiel, werden „Emigration“ genannt). Vor kurzem allerdings wurde damit begonnen, die Biographien in den Schaukästen der Via Artis zu aktualisieren. Bei Auernheimer wird tatsächlich, es fiel mir letztes Jahr wieder auf, das Wort Jüdisch verwendet. Und im Literaturmuseum nehmen die „nicht-arischen“ SchriftstellerInnen einen Ehrenplatz ein. Das Signaturbild des Museums ist Auernheimers Beschreibung des blauschwarzen Sees als Tintenfass nachempfunden, in das vier Schriftsteller ihre Federn tauchen; und drei dieser vier waren Juden.® Aber der Sinneswandel Altaussees tritt, angemessenerweise, am deutlichsten an seinen Denkmälern zum Vorschein. Viele Jahre lang stand am Ufer des Sees ein Denkmal für Richard Strauss und seine Alpensymphonie, die er teilweise hier komponiert hatte. Vor einigen Jahren tauchte dann ganz in der Nähe ein anderes auf: Es war Theodor Herzl gewidmet, der (wie behauptet wird) hier in Altaussee gar seine ersten Ideen zu einem jüdischen Staat entwickelte. Vor zwei Jahren entstand, gegenüber dem Kurhaus’, dem wichtigsten öffentlichen Gebäude des Ortes, ein neues Denkmal, dieses Mal für Friedrich Torberg und seinen berühmten jüdischen Witz. Und ein weiteres letzten Sommer, für Hermann Broch. Das sind meine Monuments Men. Für nächstes Jahr nehme ich Wetten auf Wassermann an. Wie Torberg vielleicht gesagt hätte: Man muss lachen. Es ist alles oder nichs mit uns ÖsterreicherInnen — 70 Jahre Schweigen, und nun hat Herzl Israel hier erfunden und jeder hat eine jüdische Großmutter. Aber selbst das kann einem Altaussee nicht verderben, das würden, da bin ich mir sicher, sowohl die Monuments Men als auch meine Monuments Men, die jüdischen Schriftsteller, die diese Gegend liebten, bestätigen. Wassermann beschrieb seine „magische“ Verbundenheit mit dieser Landschaft, die seine Sinne und Vorstellungskraft anregte wie keine andere irgendwo auf der Welt. Und Torberg schrieb „in der Emigration“ ein Gedicht über Altaussee, dessen Traurigkeit mir jedes Mal fast den Atem raubt. Es verdeutlicht, warum Zyklamen die Lieblingsblumen meiner Mutter waren, und bringt präzise zum Ausdruck, was sie, trotz