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jenseits aller kodifizierten Narrative und durchbrach gewohnte Einstellungen und Interpretationen, wie zum Beispiel in seinem Büchlein Nietzsche und das Zwanzigste Jahrhundert. Existenzialismus, Nationalsozialismus. Psychoanalyse. Wiener Kreis (1986) sowie in Nietzsche und die Philosophie und Politik des 20. Jahrhunderts (2005), in dem er u.a. die wenig beachtete frühe Rezeption Nietzsches als eines Zertrümmerers philosophischer Systeme bei einigen Mitgliedern des Wiener Kreises überzeugend rekonstruierte. Auch die marginalisierte Psychoanalyse im Rahmen des Logischen Empirismus wurde von ihm thematisiert, wobei er auf die wenig beachteten Interaktionen zwischen den beiden weltberühmten Wiener geistigen Strömungen hinwies. Die Art, in der Kurt Rudolf Fischer seine überaus schwierigen Lebenserfahrungen in ein ganz unverwechselbares Denkprofil umzusetzen verstand, brachte jüngst Stanley Cavell — Emeritus der Harvard University und neben Paul Feyerabend und Barry Stroud einer der wichtigsten Freunde und Gesprächspartner Kurt Rudolf Fischers aus seiner Studienzeit in Berkeley — schr schön zum Ausdruck. Cavell beschreibt in seiner Autobiographie Little did I know. Excerpts from Memory (Stanford University Press 2010) nicht nur den Beginn seiner Freundschaft mit Kurt Fischer im Jahr 1964, sondern auch den großen Einfluss, den dessen komplexe Denk- und Lebenserfahrungen in zwei differenten Diskursräumen — den USA und Österreich - auf Cavells eigenes Denkprojekt ausübten. „Ihat [Kurt Fischer] lived in his mind simultaneously in Austria and the United States, speaking for the other incessantly from whichever of the locales he happened to be in, is part of the reason that it was he more than anyone else I knew for years who kept me unmistakably aware that academic philosophy exists, and has existed for more than a century, increasingly and fatefully (with exceptions taken), in two states (at least), in one of them asa continuation of, or contesting of, post-Kantian philosophy, principally of Hegel and his aftermath in thinkers such as Kierkegaard and Nietzsche, as well as Husserl, and in the other asa rejection of this aftermath through the acceptance of the philosophical modes of analysis in Frege and Russell and Moore, themselves preceded by Mill and Hume.“ Kurt Fischer, so zeigt Cavell, war tief gepragt von dem, was er ,,the split between analytic and continental philosophy“ nannte. Wien schuldet Kurt Rudolf Fischer allergrößten Dank. Am Department of Philosophy der Millersville University of Pennsylvania, an dem er nach seiner Lehrtätigkeit an der City University, New York, bis 1978 (unterbrochen von Gastprofessuren in Harvard und Chicago) wirkte, etablierte Kurt Rudolf Fischer in den späten 1960er und 1970er Jahren ein Einladungsprogramm für Wiener Philosophen, denen er die Möglichkeit bot, jeweils für ein bis zwei Jahre an dieser Universität zu lehren. Seiner Einladung folgten der sich damals gerade in Wien habilitierende spätere Wiener Ordinarius Michael Benedikt, der Philosoph und spätere Professor für psychoanalytische Supervision an der Universität Kassel, Kurt Buchinger, und Ludwig Nagl. Sie alle hielten an der Millersville University — die in ihrem philosophischen Kern analytisch geprägt war — auf Wunsch Kurt Rudolf Fischers hin Vorlesungen zu kontinentalen und post-kontinentalen Themen. Dabei entstanden für die Wiener Philosophen wichtige Kontakte zur amerikanischen Philosophieszene (deren interne Debattenlage, aus erster Hand, auf den Jahrestagungen der American Philosophical Association, die die Gäste aus Wien zusammen mit Kurt Fischer besuchten, deutlich wurde) und direkte Erfahrungen mit der im Entstehen begriffenen „post-analytic philosophy“ (z.B. durch die 34 ZWISCHENWELT gemeinsame Reise zu Stanley Cavells „Gauss Lecture“ über Thoreau nach Princeton, 1971, oder zu einem Vortrag Hannah Arendts, 1971, an der New School in New York City). Hatte Kurt Rudolf Fischer in den USA die „continental philosophy“ ins — kontroversenreiche - Gespräch mit dem analytischen Projekt gebracht, so re-akzentuierte er diese bi-polare Lerngeschichte in seiner — für die internationale Öffnung des Wiener Instituts für Philosophie so entscheidenden — Lehrtätigkeit in Wien. Ein wichtiges Element seiner wissenschaftlichen Tätigkeit nach 1978 war es, in Arbeitsgemeinschaften mit jungen Wiener Philosophen aktuelle analytische Autoren zu diskutierten. Diese Arbeitsgemeinschaften begannen mit Themen wie „Popper und der Positivismusstreit“ und beschäftigten sich dann mit Putnam, Cavell und Stroud, mit den „Presidential Addresses“ der American Philosophical Association, sowie mit Psychoanalyse und ihrer sprachanalytischen Kritik bei Grünbaum. Sie trugen wesentlich dazu bei, die jüngere Wiener Philosophengeneration mit dem - allzu lange abgeblendeten — analytischen Debattenstand vertraut zu machen. Das Bemühen von Kurt Rudolf Fischer, den „split between analytic and continental philosophy“ diskutierend zu bearbeiten, kulminierte, zuletzt, in seinen vielfältigen Kooperationen mit dem Institut Wiener Kreis, dem er sich nach seiner Rückkehr nach Wien in besonderer Weise zugehörig fühlte. Für sein Wirken in Österreich erhielt Kurt Rudolf Fischer im Jahr 2000 das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien und 2002 das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse. Sein intellektuelles Erbe wird den Diskurs am Wiener Institut für Philosophie und am Institut Wiener Kreis noch lange Zeit mitpragen. Kurt Rudolf Fischers scharfsichtiger Humor, seine Grofziigigkeit und Liebenswiirdigkeit werden seinen Freunden unvergesslich bleiben. Darunter die Gespräche über „Gott und die Welt“, nicht zuletzt über den Wiener Fußball — auch hier als ein lebenslanger „Austrianer“. Kurt Fischer war ein einmaliger und einzigartiger Mensch: er nahm sich kein Blatt vor dem Mund, konnte aber auch sehr sensibel und dünnhäucdig sein. Seine Menschenkenntnis, soziale Kompetenz und sein Witz waren ein Vergnügen. Er verkörperte eine untergegangene Wiener Kultur, mit der er sich so intensiv Zeit seines Lebens beschäftigt hat. Seine letzten Lebensjahre im Pflegeheim waren überschattet von psychischer Krankheit und körperlicher Gebrechlichkeit, sowie vom unerwarteten Tod seines älteren Sohnes Kurt. Kurt Rudolf Fischer verstarb am 22. März 2014 in Lancaster (Pennsylvania). Werke von Kurt Rudolf Fischer Contemporary European Philosophy. (Berkeley 1963, 1968, 1972). Franz Brentanos Philosophy of „Evidenz“. (Doctoral Dissertation. Berkeley 1964). Nietzsche und das 20. Jahrhundert. Existenzialismus — Nationalsozialismus— Psychoanalyse — Wiener Kreis. (Wien 1986). Philosophie aus Wien. Aufsätze zur analytischen und österreichischen Philosophie, zu den Weltanschauungen des Wiener Fin-de-Siecle und Biographisches aus Berkeley, Shanghai und Wien. (Wien, Salzburg 1991). Aufsätze zur angloamerikanischen und österreichischen Philosophie. (Frankurt/M., Berlin, Bern u.A. 1999). Nietzsche und die Philosophie und Politik des 20. Jahrhunderts. (Klagenfurt-Wien 2005).