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Bernhard Kuschey Für Chiara und ihre Eltern Ich habe eine ungewöhnliche und aufregende Forschergeschichte zu erzählen: Da gibt es einen aus der tiefsten Provinz — Berg im Oberen Drautal —, der nicht nur einen akademischen Aufstieg schaffte, sondern das Neue, das er in Wien lernte, in seinem Herkunftsort anwandte und dort zum zeitgeschichtlichen Archiologen wurde. Aber Peter Pirker hat nicht nur das, was er in seinen Studien erfahren hat, auf seine Heimat umgelegt, er konnte in seiner antifaschistischen „Heimatforschung“ zu neuen wissenschaftlichen Ufern aufbrechen. In seiner Aneignung von Iheorie und in seiner Arbeit als Journalist entwickelte er eine außergewöhnliche Verbindung von Erkenntnisinteresse, das sich zu verstehender Erinnerung durchringt, und eine Fähigkeit der Recherche, die vor keinen Hindernissen und Bedrohungen haltmacht. Es scheint geradezu, als ob ihn die postfaschistischen Umarbeitungen und Verdrängungen anspornten, zum Kern verdeckter Wirklichkeiten durchzudringen. Dieser Zugang wurde bereits in seinen frühen Arbeiten zum antifaschistischen Widerstand in Oberkärnten und seinen Beziehungen zu den friulanischen Partisanen und dem britischen Kriegsgeheimdienst „Special Operations Executive“ (SOE) deutlich. Einer seiner ersten diesbezüglichen Artikel erschien 2003 in ZW und glänzte durch das nachvollziehbare Aufbrechen der postfaschistischen Erinnerungsstrukturen am Land und die spannende Nachzeichnung der sich über Aktenfunde und Kontakte einstellenden unerwarteten Erkenntnisse.' Pirker analysierte bereits in diesem Artikel die politischen Kräfteverhältnisse im Oberen Drautal der 1930er und 1940er Jahre auf nach wie vor gültige Weise und er konnte die Irritationen in seinem Forschungsprozess zeigen, die ihn dann letztlich zu neuen Aufbrüchen geführt haben. Pirker überwand die Fixierungen und Etikettierungen des Alltags und der lebensgeschichtlichen Erzählungen und wurde besonders bei kollektiv Unerklärlichem produktiv und fündig. Schon damals war ich beeindruckt, wie ihm die Ausgegrenztheit einer Familie im Ort zum Schlüssel für seine weiteren Forschungen wurde. Die Familie Hassler war als „kriminell“ und „asozial“ aus der dörflichen Gemeinschaft ausgeschlossen. Peter Pirker erkannte, dass dieser Ausschluss dazu diente, die Verantwortung der Einwohner am Schicksal dieser Familie zu umgehen. Ein Sohn der Familie, Stefan Hassler, war als Deserteur, Partisanenkurier und Mitarbeiter der SOE 1944 von einheimischen Landwachleuten erschossen worden und viele Familienmitglieder wurden in „Sippenhaft“ genommen, der Vater und ein Bruder wurden im KZ ermordet. Die Mutter Stefanie konnte zwar Ravensbrück überleben, musste aber einen demütigenden Kampfum ihre Anerkennung als Verfolgte bis in die jüngere Vergangenheit führen. Aus dieser, anfänglich gar nicht einfachen, Zuwendung zu dieser traumatisierten und ausgeschlossenen Familie gewann Peter Pirker den Zugang zu den komplexen Zusammenhängen des Widerstands und der alliierten Kriegsführung. Die ersten Schlüssel zur komplizierten Geschichte waren gefunden, nun begann eine überaus erfolgreiche und harte Zeit der Recherche in Archiven und des Auffindens von wissenden 36 ZWISCHENWELT Überlebenden. Dabei zeigten sich die besonderen Fähigkeiten Pirkers. Er suchte und fand wichtige Zeugen und konnte sie zur Mitarbeit bewegen, er wühlte sich durch Aktenberge und war in der Lage, das in ihnen verborgene Wissen zu lüften. So konnte er aus geheimdienstlichen Akten, die über die österreichischen „Agenten“ im SOE meist nur mit Decknamen berichteten, nicht nur ihr Tun rekonstruieren, sondern sie auch in jenem historischen Krafteparallelogramm verorten, das durch alle Kräfte der Zeit aufgespannt war. Schnell machte er die im Friaul gefundenen Erinnerungen eines SOE-Offiziers, der bei den Missionen in der Carnia war, die von dort aus nach Kärnten und Osttirol hineinzuwirken versuchten, mit eigenen ersten Analysen zugänglich.” Und er veröffentlichte die Erinnerungen von Eric Sanders, der Pirker half, Kontakte zu noch lebenden Österreichern in der SOE herzustellen.” Das heißt, Pirker hat bereits im Prozess der Kontaktnahme und umfänglicher Aktenrecherchen erste Quellen und Zeugnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, hat also kein Monopol auf seine Funde beansprucht, sondern arbeitete vielmehr mit KollegInnen arbeitsteilig und freundschaftlich zusammen. Auch ich habe ihm meinen Dank abzustatten, dass er mich an seinen Funden mit großer Selbstverständlichkeit teilhaben ließ. Das ist in der Zunft leider keineswegs „state of the art“. Dann begann Peter Pirker an seiner Dissertation zu arbeiten, die dann zumindest zu einer Habilitation geworden ist und in zwei Büchern publiziert wurde. Seine Dissertation ist eine große Materialsammlung und eine erstaunliche Analyse der schwierigen Zusammenhänge zwischen österreichischem, jugoslawischem und italienischem Widerstand mit dem britischen Geheimdienst sowie selbstverständlich der deutschen Abwehr und Gestapo.‘ Den Fundus seiner Dissertation hat Pirker noch einmal gestrafft und zugespitzt, um mit seinen zwei Publikationen die Widerstands-, Exil- und Intelligenceforschung zu inspirieren. Mit seiner ersten Publikation deckt Pirker die frühe Phase in seinen Forschungsfeldern von 1938 bis 1940 ab, in der sich ein österreichischer Widerstand zum ersten Mal formierte, das politische Exil aus Österreich verzweifelt um seine Rolle rang und britische geheimdienstliche Stellen ihre ersten Konzeptionen versuchten. Diese drei Bereiche interagierten, wobei die Kommunikation mit dem Widerstand in Österreich am schwierigsten war, und alle Versuche von Widerstand im Land und von außen wurden rasch und konsequent vom nationalsozialistischen Terrorapparat unterdrückt.? Die Analyse dieser ersten Versuche von Widerstand und antifaschistischem Krieg ist deswegen interessant, weil sie die übergroßen Probleme bei ihrer Initiierung mahr als deutlich macht und zeigt, dass das NS-Regime in der Phase seiner Kriegserfolge zu große öffentliche Unterstützung genoss und erste Ansätze zu Widerstand schnell und brutal unterdrückte. Besonders an diesem ersten Teil von Pirkers Dissertation ist die Darstellung des Zusammenspiels von internationalem Widerstand und britischer SOE. Im nationalen Kampf gegen den italienischen Faschismus entstand schon in den 1920er Jahren die slowenische Widerstands- und Kampforganisation TIGR (rst, Istra, Gorica, Rijeka) bzw. Borba (Kampf), die mit gezieltem