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Verzweiflungsbildern sie zu kämpfen hatten. Da die britische Politik den Anschluss Österreichs anfänglich de facto anerkannt hatte, war es extrem schwierig, zu einer klaren Strategie zu Österreich im Rahmen der Kriegszielpolitik zukommen. Das österreichische politische Exil bewegte sich lange im Rahmen der politischen Widersprüche der Ersten Republik und hatte Probleme einen klaren antifaschistischen Fokus zu finden. Da Großbritannien 1940 und 1941 als einziger Kriegsgegner „Großdeutschlands“ übrig blieb, tendierte es in seiner Panik zu einer Politik des „Hunnen-bashing“. Wenn man aber Widerstandspotentiale am Kontinent ausmachen wollte, musste man sich einer differenzierten Analyse bedienen. Das politische Exil produzierte allzu optimistische Bilder vom Widerstand in Österreich, und die Intelligence, also die Sammlung von wirklichkeitsgerechten Nachrichten, fand zu wenig Material für ihre Beurteilungen, weil die Verbindungen nach Österreich abgerissen waren. Neben diesen Wahrnehmungsproblemen gab es sowohl in den Geheimdiensten als auch in den Exilorganisationen erhebliche Differenzen über die Nachkriegszukunft Österreichs. Einzig die Austria Section der SOE vertrat von Anfang an die Unabhängigkeit Österreichs als alliiertes Kriegsziel. Dagegen mussten die Beamten des Foreign Office viel nüchterner vorgehen, da sie zuerst von der Anerkennung des Anschlusses auszugehen hatten und dann erst jene politischen Kräfte in Österreich entdecken mussten, die bereit waren, die österreichische Unabhängigkeit zu tragen. 1943 kam es in den britischen Institutionen zu jenem Umbruch, der als Folge die Moskauer Deklaration zu Österreich hatte. Dabei spielte nach Pirker eine große Rolle, dass in London nicht mehr wirklich von einem größeren österreichischen Widerstand ausgegangen wurde und die Auffassung von Österreich als unterdrückter Nation im NS-Regime verworfen wurde. Da sich 1943 zeigte, dass die britischen Föderationspläne — Donauföderation oder süddeutsche Föderation — immer unrealistischer wurden, begann die Idee eines österreichischen Nationalismus immer mehr Platz zu greifen. Die Auffassung, dass die Moskauer Deklaration die Förderung des österreichischen Widerstands zum Ziel gehabt hätte, ist nach Pirker eine Fehlinterpretation. Seiner Meinung nach sollte die Feststellung Österreichs als erstes Opfer Hitlers die Abtrennung Österreichs von Deutschland befördern und die Österreicher auf die Unabhängigkeit vorbereiten, die mit der Opferthese einen Ausweg aus der Kollaboration bieten sollte. Die folgende Bewertung der Opferthese beendet das erste Kapitel „Politik und Subversion“: „Der Opfermythos war eben nicht nur eine Nachkriegserfindung, sondern auch ein Import aus dem Exil und durch die Alliierten. Die Verallgemeinerung der ursprünglich antinazistischen Opferthese auf die gesamte Bevölkerung Österreichs diente der Nationsbildung, trug die sukzessive Marginalisierung der jüdischen Opfer aber auch anderer Opfer des NS-Regimes im Sinne einer antideutschen Abgrenzung und eines Integrationsangebotes für die Mehrheit der ÖsterreicherInnen, bestehend aus chemaligen NationalsozialistInnen und ihren Angehörigen, gehorsam gebliebenen Wehrmachtssoldaten, UnterstützerInnen und Mitläufern des Regimes, in sich. Modifizierte Formen von Antisemitismus und Apologie der Wehrmacht strukturierten die nationale Identitätsbildung mit - kritische Gegenstimmen kamen in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten kaum zur Geltung. “” Die SOE rekrutierte österreichische Flüchtlinge und Exilanten, wie Walter Freud, und später Kriegsgefangene und Deserteure aus Österreich, wie Wolfgang Treichl, für Agentenunternehmen. Wobei der Versuch, die ersten Verbindungslinien von Istanbul 38 _ ZWISCHENWELT nach Österreich zu etablieren, im Netz der Gestapo landete und damit erfolglos blieb. Aber auch die Versuche der Infiltration Österreichs über Slowenien und Oberitalien, die Mission Clowder, in Kooperation mit den jugoslawischen und italienischen Partisanen 1944 waren trotz relativ großen Aufwands nicht nachhaltig. Es gelang aufgrund der, selbstverständlich auch brutal erzwungenen, Bindung der Österreicherinnen an das NS-Regime nicht, einen stabilen Stützpunkt der SOE in Österreich zu errichten. Die auf österreichisches Gebiet einsickernden Österreicher in britischer Uniform fanden wenig Unterstützung, waren zu schr auf sich allein gestellt und ihr Leben war extrem gefährdet. Es gab viel zu viele Gefallene der Mission Clowder, so dass sie Ende 1944/ Anfang 1945 aufgegeben wurde. Die Briten hatten große Hoffnungen auf den slowenischen Widerstand in Südkärnten gesetzt, um von dort weiter nach Norden verstoßen zu können. Aber die Kooperation zwischen slowenischer Befreiungsfront OF und SOE geriet in die Krise, weil ihre Interessen wegen der Konflikte der Alliierten Sowjetunion und Großbritannien, die schon auf den Kalten Krieg orientiert waren, nicht mehr übereinstimmend waren, sondern gegensätzlich wurden. Als die Briten Slowenien als Absprungsbasis für Österreich nutzten, bauten die Sowjets die „Österreichischen Freiheitsbataillone“ dortselbst auf. Pirker ist es gelungen nachzuweisen, wie stark diese beiden Projekte im machtpolitischen Interesse des jeweiligen Alliierten als Gegenpole aufeinander bezogen waren. Da es sich bei diesen Projekten um geheimdienstliche Operationen handelte, war der „Kleinkrieg“ zwischen ihnen selbstverständlich geheim, sodass er für die postfaschistische paranoide Bearbeitung mit Verschwörungstheorien geradezu prädestiniert war. Das heißt, jede Seite schob der anderen Schuld zu und versuchte die eigene Weste rein zu halten. Die Analyse der beiden Infiltrationsprojekte von Ost und West und ihrer Kontexte und die Enthüllung ihres „realen“ und symbolischen Höhepunkts, der Ermordung des britischen Majors Alfgar Hesketh-Prichard durch Partisanen auf der Saualm im Winter 1944, ist ein Meisterwerk zeitgeschichtlicher Forschung ® Wenn in einem historischen Geschehen auf diese Weise Motive, Kontexte, Verwicklungen und dunkle Seiten offen gelegt und lesbar werden, lasse ich jeden noch so guten Kriminalroman stehen und lasse mich in Geschichten, die das Leben, gesellschaftliche Konflikte und Kriege schrieben, hineinzichen. 1945 standen sich die chemaligen Alliierten, die britische Armee und Partisanenverbände, in Kärnten zwar noch nicht als Feinde aber zumindest als Kontrahenten gegenüber. Wer welche Gebiete in seinen Machtbereich einzuordnen in der Lage war, wurde zum Zentralthema nicht nur großer alliierter Konferenzen. Spätestens mit dem Ausbrechen des Kalten Krieges wurden die ehemaligen Nazis zur begehrten „Hilfstruppe“; es ist kein Zufall, dass es 1948 zur großen Naziamnestie kam. Nun wurden Widerstandskämpfer, Deserteure, Österreicher in alliierten Armeen zu einer Altlast, die unter den Teppich gekehrt wurden. Pirker verfolgt, wie es seinen Protagonisten im Nachkrieg erging, wie die Stars der Befreiung, wie Albrecht Gaiswinkler, fallen gelassen und die dramatischen Episoden des Kampfes, wie die Ermordung Hesketh-Prichards, tabuisiert wurden. Ihre beschämende Behandlung wurde ein konstituierender Teil jenes „nation-building“ in Österreich, das die Moskauer Deklaration zu initiieren versuchte. Ohne Illusionen abschminken keine kritische Analyse. Ein Heimholen des antifaschistischen Erbes kann nur über illusionslose und harte Arbeit gelingen. Eine solche Arbeit beendet auch die Bemühungen Peter Pirkers