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400 und 500 Meter Kraul und gewann die „Quer durch Wien“Wettbewerbe 1926, 1927 und 1929. Eigentlich wollte sie schon 1930 aufhören, aber der Club hatte sie — wie sie mir erzählte - in den Klauen und zog sie wie das beste Pferd aus dem Stall, vor allem deswegen, weil die Naziklubs immer stärker wurden. Sie verabscheute die gesundheitlichen Schäden, die der Leistungssport verursachte, verabscheute, dass sie die Regel immer verschieben musste und dass er ihre Ohren ruinierte, ihr das Trommelfell ausschwemmte. Sie hat immer, wie sie sagte, das Leben geliebt, nie aber den Sport, blieb aber zugleich aus Loyalität und als hundertprozentig bewusste Jüdin Zeit ihres Lebens der Hakoah verbunden. Noch dazu betrieb sie den Spitzen- und Leistungssport zu einer Zeit, wo dieser finanziell nicht gefördert wurde und sie dabei nichts verdiente. Nur die Firma Matzner brachte zwei Trikots auf dem Markt, die sie „Fritzi“ und „Hedy“ (nach der zweiten berühmten Schwimmerin der Hakoah, Hedy Bienenfeld-Wertheimer) nannte. Was Löwy dagegen genoss, waren das Bergsteigen und vor allem das Reisen, das ihr der Sport ermöglichte. Löwy war immer ein Bohemien, kein „Wohnungsmensch“; typisch und sympathisch in diesem Sinn war auch ihre kleine Wiener Gemeindewohnung, in der sie bis zuletzt mit einer Katze lebte. Und sie liebte Kunst und Museen. Ihre geistige Erziehung erhielt sie durch ihren älteren Freund, den bekannten Wiener Anwalt Valentin Rosenfeld, für den sie auch als Sekretärin arbeitete. Er schrieb für den „Abend“, verteidigte Anke Heimberg Kommunisten und floh nach dem „Anschluss“ sofort nach Paris und London, wohin sich mit seiner Hilfe viele Mitglieder der Hakoah retten konnten. Rosenfeld war ein Goethe-Forscher, kannte Sigmund Freud, dessen Nachbar er am Grundlsee war, Anna Freud, die im Gartenhaus seiner von Adolf Loos eingerichteten Villa in Hietzing Kinderanalyse lehrte, Stefan Zweig und Romain Rolland. Rosenfeld war ein regelmäßiger Gast im Cafe Herrenhof, wohin Löwy ihn begleitete und wo sie viele Schriftsteller kennenlernte. Er wollte sie sogar zu den Mittwochabenden von Sigmund Freud mitnehmen und sie zu einer psychoanalytischen Ausbildung animieren. Seine Frau Eva Rosenfeld war eine der engsten Freundinnen von Anna Freud. 1938 emigrierte Löwy zu ihrer Schwester nach Italien und in die Schweiz, wo sie bis 1945 in verschiedenen Flüchtlingslagern interniert war. Ihr Vater war bereits 1929 gestorben. Ihre Mutter, deren Wiedereintritt in die katholische Kirche sie 1938 durch Fälschung einer Unterschrift ermöglichte, überlebte, während zwei ihrer Schwestern mit ihren Familien deportiert und ermordet wurden. Nach dem Krieg lebte Löwy zwei Jahre lang in Australien, hielt es dort wegen der Provinzialität nicht aus, und kehrte nach Wien zurück. Sie arbeitete als Graphikerin, als Lektorin für die PerlenReihe und für die Gesellschaft der Freunde der Hebräischen Universität. Befreundet war sie unter anderen mit Hilde Spiel und Friedrich Torberg, der sie, wohl leider nicht energisch genug, animieren wollte, ihre Memoiren zu schreiben. Für mich wärs ja das Schönste, daß ich nochmals geboren werde, Aber nicht auf dieser banalen, nüchternen Erde, Nein, in einem Tonfilm sollte mein Herz im Dreivierteltakt klingen. (1930)! Im März 1933 gab die österreichisch-jüdische Schriftstellerin und Schauspielerin Lili Grün mit dem quirligen Berliner KabarettRoman Herz über Bord, publiziert vom renommierten Paul Zsolnay Verlag in Wien, äußerst erfolgreich ihr Debüt als Romanautorin.? Die Wiener Presse nahm den Erstling der gerade 29-jahrigen Wiener Autorin begeistert auf und stellte ihn, wie Hanns Margulies im „Wiener Tag“ vom 27. März 1933, direkt in eine Reihe mit den neusachlichen Romanen so erfolgreicher Schriftstellerinnen wie Irmgard Keun und Joe Lederer. Dabei verstanden die Kritiker Grüns Kabarett-Roman vor allem als Zeitdokument. „Das Buch ist ohne Zweifel ein schr beachtenswerter Beitrag zur Zeitgeschichte der jungen Generation“, äußerte sich beispielsweise Emanuel Häußler entsprechend lobend im „Neuen Wiener Tagblatt“ vom 26. April 1933. Und der bekannte österreichische Romancier, Zsolnay-Autor und Literaturkritiker Robert Neumann zeigte sich in der Wiener „Neuen Freien Presse“ vom 7. Juli 1933 absolut überzeugt davon, dass die „dokumentarische, literarische Qualität dieses Erstlingsbuches [...] über jeden Zweifel erhaben“ sei. Neumann hatte Grüns Roman-Manuskript selbst an den Zsolnay Verlag vermittelt und sich nachdrücklich für sein Erscheinen eingesetzt, so war ihm „[ulm diese Lili Grün [...] nicht bange“, wie er zuversichtlich formulierte. „Sie wird ihren Weg machen.“ 40 ZWISCHENWELT Noch im Herbst desselben Jahres empfahl der Paul Zsolnay Verlag Lili Grüns Roman Herz über Bord sowie den nur zwei Wochen nach Grüns Debüt gleichermaßen von ihm veröffentlichten und ähnlich erfolgreichen Erstlingsroman Kati aufder Brücke der später als ‚Grande Dame‘ der österreichischen Literatur verehrten Schriftstellerin und Journalistin Hilde Spiel für den Julius-ReichDichter-Preis: Ein durch den jüdischen Wiener Industriellen Julius Reich gestifteter Literaturpreis, der in den 1930er Jahren alljährlich an junge österreichische Schriftstellertalente verliehen wurde. Frühere PreisträgerInnen waren unter anderem die später bekannten SchriftstellerInnen Mela Hartwig und Friedrich Torberg. Kurz darauf wurde Lili Grüns Roman Herz über Bord ins Ungarische übersetzt, im folgenden Jahr erschien er in italienischer Sprache. In seinem Züricher Ableger, der Bibliothek zeitgenössischer Werke, verlegte Zsolnay zwei Jahre später, im Oktober 1935, schließlich auch Grüns Nachfolgeroman, den Bühnen-Roman Loni in der Kleinstadt. Ein „überaus amiisanter Theaterroman“, so die begeisterte Vorankündigung im „Wiener Tag“ vom 2. August 1935, der diesen kurz darauf in Fortsetzungen vorabdruckte. Und Helene Tuschak bestätigte im „Neuen Wiener Tagblatt“ vom 1. Dezember 1935 anerkennend: „Ein warmherziges, frisches, lebensvolles Buch, ein Buch, in dem viel Jugend ist [...]. Lili Grün, eine junge Wienerin, [...] ist ein Talent, das mit diesem Ausflug in die Kleinstadt seine Flügel regt.“ Daneben konnte Grün außerdem regelmäßig Gedichte und kurze Prosatexte in zahlreichen renommierten Berliner, Prager und Wiener Zeitungen und Zeitschriften der 1920er/1930er