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Alexander Emanuely Ruanda - 7. April 1994 Am 7. April 1994 begann in Ruanda ein Genozid, welcher in 100 Tagen Schätzungen der UNO zufolge 800.000 Menschen das Leben gekostet hat. Man erfuhr damals in Österreich nur wenig vom Völkermord, und in der ersten Meldung über diesen „typischen“ afrikanischen Konflikt im ORE an die ich mich erinnern kann — zu diesem Zeitpunkt dürften schon mehrere hunderttausend Menschen ermordet worden sein — sorgte man sich vor allem noch um das Wohlergehen der Berggorillas. Ruanda ist ein wunderschönes, idyllisches Land, es gibt üppige Wälder, überall Hügel, große Seen. Das Land war bis 1916 eine deutsche Kolonie, danach bis 1962 eine belgische. Die belgischen Kolonialherren hatten nach dem Motto „teile und herrsche“ aus den traditionellen Kasten, bzw. Klassen der Hutu und der Tutsi zwei Ethnien geschaffen. Die Tutsi waren ursprünglich die wohlhabenden RuanderInnen, die Hutu jene mit geringem Besitz. Jede und jeder RuanderIn konnte je nach Reichtum innerhalb einer Generation von einer sozialen Gruppe in die andere schlittern. Dies änderte sich radikal mit der Ethnisierung, welche in den Personalausweisen, später Pässen, fixiert wurde, und in den Jahren nach der Unabhängigkeit immer mehr das politische Klima Ruandas bestimmte und bald zu den ersten Massakern führte. Vor allem die Ideologen und Anführer der 1993 gegründeten „Hutu-Power“, wie Leon Mugesera oder Oberst Théoneste Bagosora, konstruierten daraus ihren Rassismus. Man vermaß Kopf- und Körpergröße und untermauerte diese neue „Wissenschaftlichkeit“ mit sozialen und fremdenfeindlichen Argumenten gegen die "Tutsi: Diese seien eine Minderheit, welche die Mehrheit der Bevölkerung unterdrücke und ausbeute. Die Schlussfolgerung war klar: Jeder Angriff auf diese „Unterdrücker“, welche noch dazu keine „echten“ RuanderInnen seien, sondern eigentlich irgendwie SudanesInnen, sei nur ein Akt der Selbstverteidigung, ihre „Auslöschung“ schließlich ein Akt der Befreiung für die Hutu, für Ruanda, eine nationale Revolution. Einige Jahre vor dem Genozid sah die Situation im Land folgendermaßen aus: Die schon nach den ersten Morden in den 1960er-Jahren nach Uganda exilierten „Iutsi“ unter der Führung von Paul Kagame, er ist seit 2000 Präsident Ruandas, kämpften im Norden des Landes gegen die Regierung in Kigali unter Präsident Juvenal Habyarimana. Dieser wurde in erster Linie von der französischen Regierung, bis hin zu Militärinterventionen, unterstützt. Inwieweit es eine französische Beteiligung am Völkermord bzw. an dessen Vorbereitungen gab, ist seit 20 Jahren ein vehement geführter Streit innerhalb Frankreichs, genauso wie zwischen Paris und Kigali. Dass es zumindest eine Verantwortung seitens Frankreichs gibt, wird jedoch seit kurzem in Paris akzeptiert. Anfang der 1990er-Jahre fingen die Anführer der „Hutu-Power“ an, den Massenmord zu planen, man stellte Todeslisten zusammen, Offiziere und Milizionäre wurden von französischen Militärs ausgebildet, offiziell in GuerillaBekämpfung. Der französische Geheimdienst erfuhr also sehr früh von diesen Vorbereitungen. Am 6. April 1994 kam nach Friedensverhandlungen in Tansania der ruandische Präsident Juvenal Habyarimana bei einem Attentat ums Leben, sein Flugzeug wurde über Kigali abgeschossen. Einige Stunden nach diesem Anschlag wurde die Premierministerin Ruandas, Agathe Uwilingiyimana, eine „gemäßigte Hutu“, wie es heißt, auf jeden Fall aber eine Anhängerin des Friedensprozesses, von ruandischen Soldaten ermordet. Am 7. April begannen Einheiten der Armee, der Präsidentengarde und die Milizen der „Hutu-Power“, die Interahamwe und die Impuzamugambi, mit dem seit Jahren penibel geplanten Völkermord, wobei sie nicht selten von der Zivilbevölkerung unterstützt wurden. Der von der „Hutu-Power“ kontrollierte Sender „Radio-Television Libre des Mille Collines“, das „Hate-Radio“, hetzte mit Parolen wie: „Die Gräben sind erst zur Hälfte mit den Leichen der Tutsi gefiillt. Beeilt euch, sie ganz aufzufüllen!“ Man rief pausenlos die Hutu unter den HörerInnen auf, sich bei einer der unzähligen Sammelstellen Macheten und den bereitgestellten Alkohol zu holen, um alle Tutsi in der Nachbarschaft zu ermorden. Die internationale Staatengemeinschaft griff nicht ein, sah zu, zog nach der Ermordung von zehn belgischen UN-Soldaten sogar die UN-Friedenstruppen großteils ab. Die Menschen waren dem Massaker hilflos ausgeliefert. Manche können sich bei FreundInnen, NachbarInnen, in deren Pässen „Hutu“ steht, verstecken, manche finden Schutz bei den wenigen UN-Soldaten, die in Kigali geblieben sind oder in den Lagern des Roten Kreuzes, doch die allermeisten Verfolgten werden Opfer des Massakers. Einige Präfekten und Bürgermeister weigern sich, in ihrem Verwaltungsbereich die Mörder, die eigene Regierung zu unterstützen, bekämpfen diese sogar, werden dafür ebenfalls ermordet oder müssen flüchten. Es wird geplündert, es findet planmäßig sexuelle Gewalt statt, es sind jedoch die seit 1992 angehäuften Macheten aus Ägypten und Südafrika, die in erster Linie zum Einsatz kommen. Eine Überlebende beschreibt, dass sie, als sie am 10. Juli ihr Versteck in der Hauptstadt verlassen kann, diese mit Leichen übersät vorfindet, von denen sich streunende Hunde ernähren. In Kigali gibt es nur noch Leichen und verrückt gewordene Menschen. Die MörderInnen können unter dem Schutz der französischen Armee nach Zaire fliehen, die Befreier der Stadt, die Soldaten Kagames sammeln die wenigen Überlebenden auf, übernehmen die Macht und regieren bis heute. Um nachvollziehen zu können, was in Ruanda geschehen ist, sei auf folgende Bücher hingewiesen: aufden ZeugInnenbericht der Autorin Yolande Mukagasana, einer Überlebenden der Morde, „La mort ne veut pas de moi“ (Der Tod will nichts von mir wissen) und auf Gérard Pruniers 1995 erschienenes Buch ,, The Rwanda Crisis: History of a Genocide“. Beide Bücher sind nicht auf Deutsch erhältlich. Der kanadische General und Oberbefehlshaber der UN-Friedenstruppen Roméo Dallaire weigerte sich 1994 gegen den ausdriicklichen Befehl seiner Vorgesetzten Boutros BoutrosGhali und Kofi Annan, das Land zu verlassen, und rettete durch seine Anwesenheit, unterstützt von den freiwillig im Land gebliebenen UNSoldaten aus Ghana, zehntausenden Menschen das Leben. Vor einigen Jahren wurde der Kanadier für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen, erhalten hat diesen schließlich Kofi Annan. Veranstaltungshinweis: Donnerstag, 22. Mai 2014, 19:30 im Republikanischen Club - Neues Österreich. Rockhgasse 1, 1010 Wien RUANDA - 20 JAHRE DANACH 1994 fand in Ruanda ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit unfassbaren Ausmaßes statt. Die Hutu-Milizen der Interahamwe und der Impuzamugambi sowie Einheiten der ruandischen Armee ermordeten ab dem 7. April in 100 Tagen laut Schätzungen der UNO 800.000 RuanderInnen, vorwiegend Tutsi. Wie konnte es zu diesem Genozid kommen? Welche Verantwortung trifft die internationale Staatengemeinschaft? Und wie steht es um Ruanda 20 Jahre danach? Mit Ancilla Umubyeyi (Betroffene, Mitveranstalterin „100 Tage Genozid Ruanda“), Pascal Ndabalinze (ENARA — European Network Against Racism — Austria), Francis Maertens (VIJI- The Vienna International Justice Institute) und Alexander Emanuely (LICRA-Osterreich). Moderation: Brita Pohl. (Die Veranstaltung findet teilweise auf Englisch statt, es wird übersetzt.) Mai 2014 55