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derjeniger skizziert, die nicht nur von Diskriminierung wissen, sondern damit leben. Diskriminierung tritt in unterschiedlichen Formen auf. Einen zentralen Begriff in Josef Mautners Buch stellt der „politische Procefß“ dar. Dieser verweist auf die Sphäre struktureller und institutioneller staatlicher Diskriminierung, die bis hin zu einer Verletzung der Grundrechte reicht. Der Begriff orientiert sich dabei an dem von Franz Kafka in „Der Prozeß“ geschaffenen Bildes einer willkürlichen Bürokratie, die Gefahr läuft sich zu verselbstständigen und der gegenüber sich der Einzelne ohnmächtig fühlt. Das Verhältnis einer übermächtigen Instanz gegenüber einzelnen Personen mit unzureichender Handlungsmacht wird umso bedrohlicher empfunden, als sich die betroffenen Personen in einer besonders verletzlichen Situation, wie der von Asylsuchenden, befinden. Gerade ihnen fehlt es an Rechten, die sich gegenüber dem „politischen Prozeß“ geltend machen ließen. Was dies für die Betroffenen konkret bedeutet, formuliert Josef Mautner in kurzen Geschichten, die ihm im Rahmen seiner Tätigkeit zugetragen wurden. Diese werden großteils anonymisiert wiedergegeben. Dazwischen finden sich Zitate Kafkas, seine eigenen Gedanken, Traumsequenzen. Die Notizen folgen keiner erkennbaren Ordnung, ihnen ist kaum eine Erklärung oder Deutung beigefügt. Umso bedeutsamer erscheinen die leer belassenen Stellen des Buches. Die Notizen am Rande dienen als Anstoß, diese zu füllen, über das Gelesene nachzudenken. Vermutlich kommt man als Leser auch nicht umhin, selbst nach Erklärungen zu suchen. Die Notizen wirken oftmals so verstörend und grotesk, dass es schwer möglich ist, sie ohne den Versuch, sie sich selbst begreifbar zu machen, wieder beiseite zu legen. So heißt es auf Seite 9: Österreich, das ist für mich Schweinsbraten und Knédel. Österreich ist kalt. Der Bauer frisst nur, was er kennt. Da gibt's „Grüß Gott“, „Bitteschön“, „Dankeschön“, „Wiederschaun“. Typisch für Österreich ist Schwarzarbeiten, Schwarzfahren, Schwarzsehen, Schwarzmalen. Ich bin schwarz, also bin ich ein typischer Österreicher? Ergänzt werden die Notizen durch Zeichnungen von Bogdan Bogdanovi¢, einem serbischen Architekten, Stadttheoretiker und Schriftsteller, der selbst siebzehn Jahre im Exil in Wien gelebt hatte, wo er 2010 starb. Josef Mautner und Bogdan Bogdanovi¢ standen über Jahre hinweg in Kontakt miteinander, führten Gespräche über Exil, Flucht und die Arbeit mit Asylsuchenden. Die Zeichnungen stammen aus einem 2005 entstandnen Zyklus von vierundsiebzig Arbeiten. Im Zuge ihrer Gespräche haben Mautner und Bogdanovid diesen Zyklus intensiv besprochen. Die Zeichnungen verfügen über eine sehr klare Strichführung und bedienen sich vorwiegend geometrischer Formen, deren ineinander greifende, paarweise Anordnung an einen mechanischen Vorgang erinnert. Asymmetrien, Unverhältnismäßigkeiten und geometrische Irreführungen allerdings verhindern den Eindruck einer technischen Zeichnung. Mitunter lassen 74 ZWISCHENWELT sich Formen erkennen, die wie Köpfe von Tieren aussehen. Die äußere Kontur der Zeichnungen stellt oftmals einen Kreis dar. Sie wirken in sich geschlossen und es haftet ihnen etwas Beklemmendes an, das nur dadurch durchbrochen wird, dass die äußere Kreisform an manchen Stellen als geöffnet erscheint. In einer der Notizen lässt Mautner Bogdanovie selbst zu Wort kommen. Auf die Frage, was ihn im Exil aufrecht hält, antwortete er: „Nur wenig brauche ich, wenigstens im Traum, um aus meiner eigenen Geschichte, aus mir selbst herauszugehen wie aus einer zerstörten Stadt.“ Seit dem Jahr 1979 bestand in der Stadt Salzburg ein Bettelverbot. Dieses wurde im Juli 2012 aufgehoben, weil es verfassungs- und menschenrechtswidrig war. Der Verfassungsgerichtshof hatte entschieden, dass ein umfassendes Verbot jeglichen Bettelns an öffentlichen Orten gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Recht auf Kommunikationsfreiheit verstößt. Daraufhin hat der Landtag das Landessicherheitsgesetz novelliert. Der Paragraph 29 dieses Gesetzes bildete die rechtliche Grundlage für das neue „Bettelverbot“, demzufolge an öffentlichen Orten ausschließlich „stilles Betteln“ erlaubt sei. Der Beschluss trat im Dezember 2012 in Kraft. Drei Monate später wurde ein neuer Verordnungsentwurf dargelegt, der nun doch auch das „stille Betteln“ in weiten Teilen der Altstadt verbieten sollte. Ich erinnere mich, die Debatte damals fassungslos verfolgt zu haben. Ich hatte Schwierigkeiten zu begreifen, dass in meiner Heimatstadt eine Verordnung gefordert wird, deren Inhalt eine Menschenrechtsverletzung darstellt. Nachdem ich Josef Mautners Buch gelesen habe, frage ich mich, ob die Verletzung vielleicht nicht erst bei einer juristisch festgestellten Menschenrechtsverletzung beginnt, sondern schon in dem Begriff des „Bettelverbots“ selbst liegt. Ein Bettelverbot bekämpft nicht die Armut, sondern diejenigen, die von ihr betroffen sind. Suggeriert nicht allein der Begriff des ,,Bettelverbotes“ die Vorstellung, dass es unsittlich sei, wenn Menschen uns aufihre Armut hinweisen? Auf Seite 47 schreibt Josef Mautner: Die alte Frau sitzt den ganzen Tag über auf dem nasskalten Asphalt am Alten Markt, den Rücken an eine Hausmauer gelehnt. Sie hält ihre Hand ausgestreckt und bettelt. Um mit ihr sprechen zu können, habe ich mich neben sie gesetzt. Während ich versuche, mich mit ihr zu verständigen, blicke ich kurz auf. Ich bin befremaet. Denn im Sitzen sehe ich die Häuser und Menschen auf dem Platz, über den ich hunderte Male gegangen bin, ganz anders. Ich sehe sie von unten. Josef Mautner zitiert in seinen Notizen Gertrude Stein und Roland Barthes. Er verweist dabei auf die Macht, die in der Sprache selbst liegt und darauf, wie diese Macht missbraucht wird. Willkürlich definierte Personengruppen werden als „Ausländer“, „Kopftuchfrauen“. „Islamisten“ bezeichnet. Nicht selten gehen diese Bezeichnungen mit einer Kriminalisierung dieser Personengruppen einher — „Asylbetrüger“, „Ulegale“ - und damit gleichsam mit dem Gedanken, dass es nicht rechtens sei, in unserem Land um Asyl zu bitten. Den Notreisenden und ArmutsmigrantInnen aus den neuen EUMitgliedsstaaten begegnet man auf die gleiche Weise. Sie werden als „Bettelbanden“ oder „Bettelmafia“ bezeichnet. Personengruppen werden kriminalisiert, aber wie lautet die Anklage? Kann man jemanden seiner Not oder Armut bezichügen? Istes ein Vergehen, auf der Flucht zu sein? Ich denke, dass sich die Humanität einer Gesellschaft im Umgang mit denen beweist, die sich an deren Rand befinden und gerade diejenigen sind es, die Josef Mautner in seinem Buch zu Wort kommen lässt. Agenda Menschenrechte - ich hatte an ein gewichtiges Buch mit einem schwer zu lesendem Inhalt gedacht. Letztlich war es das auch. Allerdings nicht aufgrund eines großen Formates oder komplizierten Inhalts, sondern wegen der Aufforderung, die sich im Untertitel verbirgt — „Mein persönliches Notizbuch“. Das Buch erklärt, moralisiert oder verurteilt nicht, es zeigt lediglich auf. Es sind die Randnotizen derer, die tatsächlich an den Rand gedrängt werden, um sie in unserer Mitte nicht mehr sehen zu müssen. Und die leeren Seiten sind der Platz, der dem Leser eingeräumt wird, sich ihnen erneut zuzuwenden. Anja Braunwieser Josef Mautner: Agenda Menschenrechte. Notizen zu einem politischen Proceß. Salzburg, Wien: Müry Salzmann Verlag 2013. 100 S. Euro 10,Josef Mautner, geb. 1955 in Salzburg, studierte Literaturwissenschaft und Theologie; freier Schriftsteller und Lektor; Geschäftsführer des Bereichs „Gemeinde & Arbeitswelt“in der Katholischen Aktion; seit 1999 im Rahmen der Plattform für Menschenrechte tätig. Veröffentlichte u.a.: Der Kobold der Träume. Spuren des Unbewussten (zusammen mit Rudolf Habringer; Wien 2006); Nichts Endgültiges. Literatur und Religion in der späten Moderne (Würzburg 2008).