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vollständig erhalten — scheint Hochstimm nach Triest übersiedelt zu sein, er hat dort für den Österreichischen Lloyd gearbeitet. In Triest hat er auch seine spätere Frau Ida Pokorny kennengelernt. Sie war die Tochter eines k.u.k. Offiziers und hatte eigentlich eine Schneiderinnenausbildung, arbeitete aber - womöglich auf Vermittlung ihres Vaters — als Sekretärin im Triester ,, Kriegsministerium“ (gemeint ist vielleicht die Marineoberkommandostelle). Hochstimm meldete sich als Freiwilliger für den Ersten Weltkrieg und hatte zuletzt den Rang eines Landsturm-Oberleutnants.!! In diesen Kriegsjahren an der Ostfront erkrankte er zweimal an einer der grassierenden Epidemien und mußte sich in den Epidemiespitälern Mikuliczyn bzw. Lemberg behandeln lassen; nach der zweiten Erkrankung folgte ein Aufenthalt in einem Rekonvaleszentenheim in Wien.'* Hochstimm erhielt eine Auszeichnung, das (sehr oft vergebene) Kaiser Karl Truppenkreuz, im Sommer 1917 beim Einsatzkader des I.R. 100 in Piotrkéw." Wien Am 28. Okt 1918 entlassen'*, kehrte er im November 1918 mit seiner Frau nach Wien zurück. 1920 kam die Tochter Susi auf die Welt, vier Jahre danach die zweite Tochter Eva. Die Familie wohnte im fünften Bezirk in der Schönbrunnerstraße, mit ihnen lebte auch Nina, die jüngste Schwester von Ida, zu der Eva eine enge Beziehung hatte. Hochstimm arbeitete weiter für den Lloyd - nun Lloyd Triestino am Kärntnerring 6. Später hat er nach Angaben seiner Töchter ein eigenes Reisebüro mit dem Namen Atlantic geführt, es soll seine Adresse am Kohlmarkt gehabt haben; die Existenz des Büros konnte bis jetzt nicht verifiziert werden. Belegt ist, daß Hochstimm im Herbst 1922 mit einem Geschäftspartner"? eine Offene Handelsgesellschaft errichtet hat, „Dr. Felix Hochstimm & Dr. Friedrich Singer“: Gemischtwarenhandel im Großen, insbesonders mit optischen & feinmechanischen Instrumenten unter Ausschluß von Lebens & Futtermitteln und jeder an eine besondere Bewilligung (Konz.) gebundene Tätigkeit.‘ Geschäftsführer war Dr. Hochstimm. Nachdem Dr. Singer 1926 gestorben war, führte Hochstimm den Handel als Alleininhaber weiter!”, anscheinend jedoch ohne besonderen Erfolg: 1928 kam es zu einem Ausgleichsverfahren'*, im Februar 1929 wurde die Firma gelöscht!” und am 13. März 1929 war schließlich auch das Gewerbe erloschen. Am 26. Sept. 1935 meldete Hochstimm einen Handel mit Optikerwaren an, der Standort war im 7. Bezirk, Schottenfeldgasse 61. Dieses Gewerbe mußte er im Herbst 1938 zurücklegen.” Hochstimm scheint in diesen Jahren auch weiterhin als Schiffahrtsbeamter gearbeitet zu haben, zumindest gibt dies seine Tochter Susi an.”' Die finanzielle Situation der Familie dürfte wechselhaft gewesen sein, Eva erinnert sich daran, daß das Harmonium der Mutter wegen Geldmangels verkauft werden mußte; andererseits hatte die Familie auch ein Sommerhaus in Untertullnerbach, in der sog Mindersiedlung.” Aufgrund von Hochstimms Tätigkeit beim Lloyd war es der Familie möglich, jedes Jahr „fast gratis eine große Reise antreten [zu können]: Italien, Türkei, Griechenland, Jugoslawien, Nordküste Afrikas, Tunis, Tripolis“ waren die Ziele, an die sich Eva besonders erinnert”? — aber auch festhält, daß sie das Land Österreich selbst erst viel später kennengelernt hat.” Fluchtweg 1938 scheint bald klar gewesen zu sein, daß eine Ausreise die einzige Möglichkeit war. Felix Hochstimm hatte jedoch nicht die finanziellen Mittel und so kam es zu einer auf den ersten Blick ungewöhnlichen Lösung.” Ein früherer Geschäftsfreund hatte ein Reisebüro in Berlin und lud Felix ein, bei ihm zu arbeiten, Berlin war zudem „ruhiger als Wien“.’° So reisten die Eltern Hochstimm sofort nach Berlin?’, während die beiden Töchter etwas später nachkamen. Susi kehrte bald nach Wien zurück, um dort die notwendigen Unterlagen für die Ausreise zu organisieren — keine geringe Leistung für eine 18-jährige Frau, die nach den Nürnberger Gesetzen Halbjüdin war. Dramatisch scheinen die Umstände, die zur Rückkehr nach Wien führten, gewesen zu sein. Hochstimm hatte im Reisebüro vor allem Juden zu betreuen und bemühte sich, deren Ausreise zu erleichtern. In Evas Erinnerungen dürfte er Bestimmungen überschritten und damit den Behörden unangenehm aufgefallen sein, ein wohlmeinender SS-Mann soll ihn gewarnt haben; jedenfalls kehrte die Familie nach Wien zurück.” Hier führte Hochstimm in der Schottenfeldgasse im 7. Bezirk für kurze Zeit ein Geschäft für Optikerwaren, die Ausreise konnte im Frühjahr 1939 stattfinden. Exkurs: Geschwister Die Geschwister von Felix waren teilweise lange vor 1938 ausgewandert; die älteste Schwester Gisela hatte nach London geheiratet.’ Eine Schwester Bianca, verh. Kranz, hatte drei Kinder. Ihre älteste Tochter war vor 1938 nach Australien ausgewandert, Geschwister und Eltern folgten ihr. Der Bruder Alfred lebte in Berlin, war mit einer Schauspielerin verheiratet und emigrierte „lange bevor Hitler kam“ nach Israel. Ein weiteres Geschwister war schon als Kind gestorben. Doch zwei unverheiratete Schwestern wurden deportiert, Felix war es nicht gelungen, sie nach Bolivien zu holen.” Unklar ist der genaue Fluchtweg von Felix Hochstimm. Er hat laut einer Bescheinigung der Österreichischen Botschaft in Argentinien am 12. März 1939 bei Feldkirch die Grenze überschritten?', hielt sich dann bis Mai in Frankreich auf, wo er sich dann (in Marseille?) nach Südamerika einschiffte und über Montevideo nach Bolivien gelangte. Frau und Töchter waren bereits in Genua an Bord der Alsina gegangen.” Vielleicht aufgrund Hochstimms früherer Tätigkeit in der Reisebranche war es der Familie möglich, erster Klasse zu reisen’? ; Eva wurde wie eine Touristin behandelt.” Nach knapp dreiwöchiger Schiffsfahrt gingen Mutter und Töchter im brasilianischen Hafen Santos von Bord, um nach Säo Paolo zur Cousine der Mutter zu reisen. Nachdem die finanziellen Mittel ausgeschöpft waren, folgten sie dem Vater nach Bolivien.” Wissen über Bolivien Was hatte Felix Hochstimm von Bolivien gewußt? In Deutschland hatten jüdische Hilfsvereine Informationsmaterial zur Emigration nach Südamerika zusammengestellt” ; auch Sprachlehrbücher für die spanische und portugiesische Sprache eigens für jüdische Emigranten waren in Berlin zu haben.” Möglich scheint, daß August 2014 13