OCR
Darüber hinaus leitete Hochstimm die Niederlassung einer englischsprachigen Nachrichtenagentur.” Das Arbeitspensum von Hochstimm erschließt sich aus einer Bemerkung von Eva, die lange Zeit im Verlag bzw. der Druckerei mitarbeitete. Für die Zeit der Geburt des zweiten Sohns im Juli 1947 hält sie fest: Zu dieser Zeit, glaube ich, arbeitete Vater nicht mehr in der Nacht auch noch für die Zeitung, da hörte er ja die ganze Nacht Notizen [wohl: Nachrichten] aus aller Welt, auf englisch, französisch, italienisch, denn alle diese Sprachen sprach er ja fließend, und übergab es in der Früh zum Drucken und kam so erst wieder in der Früh nach Hause. Damit fügt er sich in das Bild, das Bieber von den nach Bolivien Geflüchteten nachzeichnet.‘' Argentinien Felix und seine Frau Ida folgten im Februar 1956 den beiden Töchtern nach Buenos Aires“ - dies entspricht, wenngleich mit mehrjähriger Verzögerung, dem Bestreben vieler Emigranten, so bald als möglich in entwickeltere Länder wie Argentinien weiterzuwandern.‘°° Diese Auswanderung aus dem ersten Exilland in ein weiter entwickeltes vollzog sich in mehreren Wellen“ ; in den Jahren 1952 bis 1962 haben laut Bieber Tausende Bolivien wieder verlassen.” Hochstimm dürfte mit seiner Druckerei ausreichend erfolgreich gewesen sein; die Übersiedlung nach Argentinien zu den Töchtern entspricht Biebers Beobachtung, daß Personen in einer Art Dominoeffekt auswanderten, weil sich bereits alle Freunde, Bekannte und Verwandten in einem anderen Land befanden.“ Vor allem aber war sicher auch die politische Lage ein wesentlicher Faktor für den Entschluß, das Land zu verlassen: Ab 1952 — dem Jahr der Revolution - erfolgte eine allgemeine Auswanderung auch seitens der bolivianischen Oberschicht.” Hochstimm hatte zwar die Druckerei verkauft, dürfte aber ausstehendes Geld nicht erhalten haben. Jedenfalls ging er auch in Buenos Aires einer Erwerbstätigkeit nach. Zunächst gab er in einer deutsch-jüdischen Schule Deutschunterricht, später übersetzte er für einen Rechtsanwalt, der deutsche und österreichische Emigranten in Wiedergutmachungsverfahren vertrat.‘ Nachdem Felix in hohem Alter zu arbeiten aufgehört hatte, wandte er sich (wieder) der Kunst zu und begann zu malen. Mit über 90 erhielt er noch einen Preis „in einer nationalen Ausstellung in naiver Malerei“® . Vier Monate vor seinem 100. Geburtstag verstarb Felix Hochstimm in Buenos Aires.” Matias (Ian) und Laura Malena Kornfeld, zwei von Evas Enkelkindern, haben sich mit dem Werk des Urgrofvaters auseinandergesetzt und präsentieren in einem Blog eine Geschichte, die Laura Malena zu Bildern von Hochstimm geschrieben hat.’! Susi Hochstimm Susi hatte nach der Volksschule und sechs Klassen Realgymnasium ab dem Schuljahr 1936/37 die Sektion Fotografie der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt (GLV) besucht. Sie war es, die in Wien in diversen Konsulaten so lange vorstellig wurde, bis sie Visa für Brasilien bzw. für den Vater Bolivien hatte. Im Schularchiv hat sich der Vermerk gefunden: ausgetreten am 25.3.1939 / Die Schülerin bekam einen Ausweis über das erste Halbjahr und eine Bestätigung in Briefform über den Besuch des II. Halbjahres.” Mit dem Austritt aus der Schule war sie möglicherweise Schwierigkeiten zuvorgekommen, denn gerade an der GLV war man hinsichtlich „nichtarischer“ SchülerInnen besonders restriktiv.’? Durch ihre eigenen Bemühungen konnte Susi schließlich mit Mutter und Schwester zu Verwandten nach Brasilien, dann zum Vater nach Cochabamba. Sie hat in dieser ersten Zeit in Bolivien nach eigenen Angaben’‘ gemalt. In den Erinnerungen der Schwester ist präzisiert, daß Susi dem Vater im Werbebüro mit Ilustrationstätigkeit geholfen hat.” Susi hatte in Brasilien einen Mann kennengelernt, der nach Argentinien gezogen war. Ihm folgte sie nach Buenos Aires, doch bereits sechs Wochen nach der Hochzeit verstarb er.’® Susi hat ihren Lebensunterhalt zunächst als Entwerferin für Stoffdesign, Etiketten für diverse Produkte sowie medizinische Prospekte verdient, zweitweise dann für eine Schuhfirma Schaufensterdekoration gestaltet”, che sie 1943 in den Verlag Abril kam, für den sie schließlich 40 Jahre tätig war. Dieser Verlag war auf Kinderbücher und Zeitschriften spezialisiert. Susi war für das Layout von Frauen-Zeitschriften zustandig’* und hat zudem bald auch Geschichten für Kinder illustriert und auch selber geschrieben. Bilderbücher wurden in dieser Zeit in Argentinien nur von wenigen Verlagen publiziert, Susi Hochstimm hat mit ihren Schöpfungen einen neuen Ansatz in die Buchwelt gebracht, indem sie die Helden ihrer Geschichten nicht nur Abenteuer bestehen ließ, sondern ihnen oft zugleich eine didaktische Aufgabe zudachte, deren Helden, oft die Phantasiefiguren „Trapito“ oder „Osito“, dem kindlichen Publikum die Umwelt erklären oder es auf Reisen in alle Welt führen. In der Österreichischen Exilbibliothek im Literaturhaus Wien ist eine Liste der Publikationen von Susi Hochstimm einzusehen, die die Autorin und Illustratorin selbst zusammengestellt hat. Sie hat für den Verlag „Editorial Abril“ die Reihe Biblioteca Bolsillitos (jeweils 16 Seiten broschiert), die Serie Yo soy 8 Seiten broschiert, ausgestanzt, die Coleccion Qué parejita! 12 Seiten broschiert, mit einem zweiten kleinen Buch am Titelblatt, verfertigt: eines der ersten Biicher war la Aventura del Atomo (1947), Autoren César A. Leön und Jose S. Ingrid, in der Colecciön Hoy y mafana, bzw. Collecciön Cuentos de Abril, Grimm El Rey cuervo 1947. Insgesamt sind 64 Publikationen aufgelistet, oft in Zusammenarbeit mit der ebenfalls aus Österreich emigrierten Agi Lamm.® Durch ihre Tatigkeit im Verlag hat sie sehr viele Menschen — Intellektuelle — kennengelernt, aus den Notizen des Interviews ist herauszulesen, daß sie diesen Aspekt ihrer Arbeit besonders geschätzt hat.°! Nützlich waren ihre Kontakte auch für die Familie — sie konnte sowohl die Schwester als auch den Neffen mit Arbeitsstellen versorgen. Claudio hatte im Atelier in der Druckerei des Stiefvaters Kurt Ham gekündigt und kam mit Hilfe von Susi im Verlag Abril unter.*? Sie hat aber auch Unterricht genommen, so zum Beispiel im Atelier einer Malerin, und sich ab 1989 mit Collagen beschäftigt. Eva Hochstimm Eva setzte in den Monaten in Berlin den Schulbesuch notdürftig fort, der Wunsch, eine Kunstschule besuchen zu dürfen, war ihr als Halbjüdin verwehrt, sie konnte aber Kurse im Lette-Verein August 2014 15