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übermäßig beeinträchtigten. Aus diesem Grunde ist sie wohl letztendlich auch unverheiratet und kinderlos geblieben.’ Wenn man somit ihr Lebenswerk überblickt, darf man mit gutem Grund behaupten, daß ihr dies durchaus gelungen ist. Hinsichtlich akademischer Belange war sie eine international anerkannte Kapazität und sich dessen auch durchaus bewußt. Was ihre eigenen Bilder anging, so stufte sie deren Qualität — mit der ihr eigenen Bescheidenheit — cher niedrig ein. In einem Interview mit John Spalek im Jahre 2005 betonte sie diesbzgl. ausdrücklich, daß „nichts interessanter [sei] als die Wirklichkeit“, und in diesem Sinne stufte sie sich immer als „Realistin“ ein (im Stile der Neuen Sachlichkeit während der 20er-Jahre), ähnlich der von ihr verehrten Lehrerin Friedl Dicker, gab im gleichen Atemzug allerdings auch stets zu verstehen, daß sie keine Gegnerin der abstrakten Kunst sei.” Sie fühlte sich deshalb wohl auch stets als Außenseiterin mit relativ geringer Rezeption und ist in diesem Sinne zweifelsohne, unter den zahlreichen kunstschaffenden Emigranten, eine der Kleineren gewesen. Mit anderen Worten: Edith Kramers Leben und Werk war Teil der „Emigrationsgeschichte des kleinen Mannes [hier: der ‚kleinen Frau‘]“°, d.h. sie ist der großteils unbekannten Emigration zuzuordnen (oder besser ausgedrückt: den weniger namhaften Emigranten) und steht damit — wie Konrad Feilchenfeldt in den frühen I0er-Jahren ausführte — „im Zeichen eines inzwischen bereits diagnostizierten „Paradigmenwechsels in der Exilforschung“, in dessen Vollzug sich das wissenschaftliche Erkenntnisinteresse von der politischen Programmatik [d.h. der so genannten Elite-Emigration] des antifaschistischen Exils weg und von der Prominentenbiographie dem Exil der kleinen Leute zugewendet hat.“! Anmerkungen 1 Edith Kramer — Malerin und Kunsttherapeutin zwischen den Welten, hg. v. Charlotte Zwiauer (Wien: Picus, 1997), S. 33. 2 Die Firma stellte Flaschen her. 3 Vel. Zwiauer, a.a.O., S. 17. 4 Elisabeth Neumann, die bekannte Schauspielerin (1900-1994), war das jiingste Kind. 5 Vgl. dazu Ernst Wolfinger: Dr. Max Kramer, in: Zwischenwelt 25 (Dezember 2008), 3/4, S. 61-62. 6 Vgl. hierzu Vom Gemeinschafisleben der Jugend, hg, v. Siegfried Bernfeld (Wien: Internationaler Psychoanalytischer Verlag, 1922). 7 Edith Kramer wurde geboren, als ihre Mutter erst 19 Jahre alt war. 8 Die Anstalt - als Teil der so genannten „Freien Schul- und Werkgemeinschaft“ — befand sich im Jagdschloß Letzlingen im heutigen Kreis Salzwedel (Altmark), unweit von Stendal. 9 Laut Edith Kramer hat ihre Tante das Haus als Mitgift erhalten; es kann jedoch auch sein, daß diese es Ende der 20er-Jahre aus eigenem Einkommen — sie verdiente damals bereits als Schauspielerin gut an ihren Filmen — käuflich erworben hat. 10 Vgl. Zwiauer, a.a.O., S. 38. 11 Ebd., S. 43. 12 Vgl. Zwiauer, a.a.O., S. 52. 13 Ebd., S. 53. 14 Friedl Dicker war Kommunistin und unter Dollfuß eine Zeit lang inhaftiert worden. 15 Vgl. Zwiauer, a.a.O., S. 55. 16 Ebd., S. 56. 17 Ebd., S. 61ff. 18 Vel. dazu Elena Makarova: Friedl Dicker-Brandeis. Ein Leben fiir Kunst und Lehre (Wien: Christian Brandstatter Verlag, 2000), dort insbes. S. 155-92. 19 Vgl. dazu die „Zeittafel“ in: Theodor Kramer 1898-1958 — Dichter im Exil, hg. v. Konstantin Kaiser (Wien 1983; = Zirkular 4), 134. 20 Erwin Chvojka: Richard Kramer, der Bruder Theodor Kramers, in: MdZ 2 22 _ ZWISCHENWELT (September 1985), 2, 3-6, hier 5. 21 Elisabeth Neumann hatte allen ihren Verwandten afhıdavits (= eidesstattliche Erklärungen) besorgt; Edith Kramer (die ihr eigenes affidavit von einer amerikanischen Bekannten in Wien erhalten hatte) war in der Lage — da sie am Little Red School House bereits ein geringes Einkommen hatte — ihrem Vater ein affidavit auszustellen, so daß dieser 1940 von England in die USA weiteremigrieren konnte. 22 Vel. Zwiauer, a.a.O., S. 29. 23 Dies war stets ihr Plan gewesen, da sie der Meinung war, daß New Yorker Pflegeheime unzulänglich seien. 24 Shop teacher entspricht einem handwerklichen Beruf (z.B. Tischler). 25 Vgl. dazu Agnes de Lima: The Little Red School House (New York: Macmillan, 1942); Edith Kramer findet dort (S. V) als eine von zahlreichen ,,collaborators“ für den Bereich „Arts and Crafts“ Erwähnung. Sie hatte in der Schule ein kleines Zimmer und bekam Essen sowie ein Taschengeld. 26 Vgl. hierzu das bei Zwiauer (a.a.O., S. 68) abgedruckte Schreiben Edith Kramers über ihre damalige Tätigkeit: „During the Second World War, 1943 to 1944, I worked for almost two years as a machinist in a shop located on Grand Street in New York City. The shop specialized in engraving and tool and die making. It employed highly skilled tool and die makers, engravers and lathe hands, along with a few general machinists, who prepared the job for the specialists. I was trained on the job to function as such a machinist. The shop was well established, complete with all the basic machines: lathe, drill press, grinders, shaper, and routing machines. [...] Some of the toolmakers were ancient men who had returned to the workbench to contribute to the war effort. [...] I was for the better part of my employment the only woman on the job. I had at the onset required permission to make sketches of the shop on my own time after I had completed my shift. Thus while I acquired practical experience at running all basic machinery, I also accumulated an extensive collection of pen and ink drawings of men working at them, done at the site. Today this collection of more than fifty pen and ink drawings has beyond its artistic merit also historical value as a documentation of the typical small specialized machine shop of the forties.“ 27 Vel. Zwiauer, a.a.O., S. 66. 28 Ihr Französisch war gut, da sie in den spaten 20ern bereits als Schiilerin ein Jahr in Frankreich verbracht hatte. 29 Das von den Nazis konfiszierte Haus am Grundlsee wurde ihrer Tante Lisel in den 50er-Jahren zurückgegeben. 30 Die fiinf Cranberry Isles (u.a. Great and Little Cranberry Island) sind südöstlich von Mount Desert Island gelegen, mit eindrucksvollem Ausblick auf die Berge im Acadia National Park (Maine). 31 Edith Kramer berichtete in einem Interview mit John Spalek (s. Anm. 51), daß zahlreiche spätere Mörder damals ihre Schüler waren! 32 Jeweils mittwochs bis freitags. 33 Der berühmteste jugendliche Insasse der Wiltwyck School war der spätere Boxweltmeister (1956) Floyd Patterson (1935-2006), der die Schule ab 1945 besuchte. 34 Vgl. Zwiauer, a.a.O., S. 71; vgl. dazu auch Edith Kramers acknowledgements in: Art Therapy in a Childrens Community (s. Anm. 34), S. XIII. 35 Edith Kramer führte laut eigenen Angaben stets ausführlich Tagebuch über ihre Arbeit an verschiedenen Institutionen. 36 Edith Kramer: Art Therapy in a Children’s Community. A Study of the Function of Art Therapy in the Treatment Program of Wiltwyck School for Boy (Springfield, IL: Charles Thomas, 1958), Vorwort von Viola W. Bernard 37 Edith Kramer: New Problems in Art Education and Art Therapy, in: Bulletin Jor Art Therapy \ (1961), 1, S. 1-16, hier S. 12. 38 Gegründet 1919 als Arbeitsstätte für progressive Denker; 1933 zudem Standort für die so genannte „University in Exile“ für von den Nazis verfolgte Gelehrte aus Europa. 39 Als psychisch „borderline“ bezeichnete sie später diese Blinden. 40 Vgl. Zwiauer, a.a.O., S. 71; sie war außerdem — laut Vorspann zu einem Artikel in Bulletin of Art Therapy aus dem Jahre 1961 (s. Anm. 36) — zu diesem Zeitpunkt an der Turtle Bay Music School in Midtown Manhattan und am Leake and Watts Children’s Home in Yonkers (etwas nérdlich von New York City) als Kunsttherapeutin tätig. 41 New York: Schocken Books, 1971. 42 Vgl. dazu Marianne Hussl-Hörmann: Edith Kramer — Kunst als Freude und Heilung, im Ausstellungskatalog d. Galerie Kovacek (Wien) (Wien: 2006), S. 6-9, hier S. 8. 43 New York: Schocken, 1919. 44 Vel. Zwiauer, a.a.O., S. 75.