OCR
NEUE TEXTE Yasmin Hafedh Djerba, anderer Himmel „Wenn ich es mir recht überlege, also so von außen, also sagen wir, ich wäre eine Außerirdische oder so etwas, also einfach wirklich von nirgends, also so wie nach der Geburt, aber sagen wir, ich wäre mit 20 geboren worden, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass ich irgendwo dazugehöre“, sagte Miriam, als ich mit ihr am Hafen von Sfax in einem stehenden Auto in der prallen Sonne saß. Wir waren in vier Tagen nun schon zum zweiten Mal von Djerba, der Halbinsel im Süden Tunesiens, nach Sfax zum Hafen gefahren, weil wir auf eine Containerlieferung von Miriam warteten und uns die tunesische Bürokratie zu Dokumentbeschaffungen, Amtswegen und Nervenzermalmungen zwang. Wir sahen uns Zeitaufwänden gegenüber gestellt, die man eigentlich nur von europäischen Bürokratiesituationen gewöhnt war. Das behauptete Miriam zumindest. Miriam hatte einen tunesischen Vater und eine österreichische Mutter und studierte mit mir Germanistik. Wir lernten uns in unserem ersten Semester kennen und sind seitdem gute Freundinnen. Sie ist vermutlich die einzige Freundin, die ich in meinem Studium habe. Nicht, weil es keine netten Menschen gibt, aber ich, aus Deutschland kommend, habe den Anschluss hier ein bisschen verpasst und habe fast nur deutsche Freunde. Es scheint in Wien ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass deutsche Studenten auch nur mit deutschen Studenten abhängen. Und da kenne ich an der Germanistik wenige. Ich kenne einige Deutsche von der Theaterwissenschaft, von der Anglistik und von der Musikwissenschaft, mit denen ich befreundet bin. Eine kommt sogar aus Heidelberg, meiner Heimatstadt, so etwas verbindet vielleicht mehr als ein gemeinsamer Studienzweig. Aber gut, Miriam ist auch an der Germanistik, Wienerin und meine Freundin. Vor zwei Wochen sind wir nach Tunesien geflogen. In Tunis haben wir einen Teil ihrer Familie besucht, dann sind wir nach Sfax gefahren, dann nach Djerba, dann wieder nach Sfax, dann wieder nach Djerba und dann wieder nach Sfax. Miriam darf einmal in ihrem Leben einen Container mit Sachen steuerfrei nach Tunesien bringen. Oder so. Und das wollte sie diesen Sommer tun, um das Haus ihrer Eltern auf Djerba „ordentlich“ einzurichten, wie sie meinte. Ich würde jetzt lieber am Strand liegen, ein Buch in der einen Hand, frische Limonade in der anderen, aber aus Solidarität bin ich mitgekommen. Jetzt sitzen wir also in dem Auto, die Türen offen, damit, falls der unwahrscheinliche Fall eintritt, dass Wind weht, der Wind durchs Auto weht. Wir sind müde, durstig und hungrig, aber wissen beide, dass wir bei dieser Temperatur nichts runterbekommen werden. Also rauchen wir eine Zigarette nach der anderen, was hier in Tunesien schr leicht fällt. Ich rauche zuhause wenig, vielleicht vier oder fünf Zigaretten auf den Tag verteilt, aber hier hat sich mein Rauchkonsum unfassbar schnell verdreifacht, sodass ich mir jetzt fast jeden Tag ein neues Päckchen kaufen muss. Da die Zigaretten hier nicht so teuer sind und anscheinend jeder raucht, kann ich mir das aber leisten. Für Österreich muss ich mich dann aber wirklich wieder einschränken. 32. ZWISCHENWELT „Aber weißt du, wie ich das meine?“, fragte sie mich, als ich ihr nach langem Schweigen immer noch keine Antwort gab. „Ich glaub schon, aber irgendwie auch nicht. Ich mein, wenn ich jetzt frisch geboren wäre, und aber mit 20 erst entbunden werden würde -“ „Wäre das sehr schmerzhaft!“, unterbrach sie mich und wir mussten beide lachen. Wir hatten ein Gespräch über das Zuhausefühlen angerissen, und sie hatte mir erzählt, dass sie sich in Tunesien heimatlich fühle, in Wien aber zuhause. „Ja, es wäre schmerzhaft, aber ok, dann sagen wir, ich bin ein Alien und käme auf die Erde, um mir eine Heimat zu suchen, dann käme ich aber ja auch schon von wo her“, sagte ich und stellte mir vor, in einer Raumkapsel durchs All zu wandern. „Ja, ok, aber wenn du nirgendwo herkommst?!“ „Ja das geht doch aber nicht. Das einzige, was wir alle gemeinsam haben, ist, dass wir irgendwann sterben müssen und alle eine Mutter haben. Dagegen können wir nichts tun, und mit einer Mutter haben wir somit auch immer eine Herkunft“, meinte ich und sah mit meinem inneren Auge, wie ich in meinem Raumschiff sitze und meine Mutter mit mir schimpft und mich auffordert, mein Zimmer in der Raumkapsel aufzuräumen. Miriam sagte nichts und ich versuchte, das Bild aus meinem Kopf zu kriegen. Ich weiß, dass Heidelberg mein Zuhause ist. Ich kenne dort jede Straße, jede Bar und wahrscheinlich auch fast jeden Menschen, der dort wohnt. Na gut, vielleicht nicht jeden, aber viele. Und in Wien, da lebe ich nun seit drei Jahren, kenne ein paar Straßen, ein paar nette Bars, ein paar Deutsche und wenige Wiener. Das ist eben mein Wohnort, ich lebe hier, aber zuhause fühle ich mich nicht richtig. Miriam hingegen ist in Wien aufgewachsen, kennt hier alles und kommt ein Mal im Jahr nach Tunesien zu Besuch. Und sie sagte auch, dass sie in Wien zuhause ist, aber ich sche das anders. Vielleicht ist es aber nur die tunesische Höflichkeit, die sie, in meinen Augen, zu einer Einheimischen macht. Sie hatte mir erklärt, dass sie, weil sie aus Europa kommt, anders denke als die Tunesier. Aber hier am Hafen wurde uns von Beamten schon viel weitergeholfen, weil sie Tunesisch spricht. Wenn wir in Supermärkten waren, war ich ganz klar die Touristin und sie wurde behandelt wie eine Einheimische. Bei ihrer Familie hat sie alles getan, was auch ihre Cousine tat. Und ich, ich bin die Touristin. Damit meine ich nicht, dass ich wie eine Aussätzige behandelt werde oder schlechter, nein, aber es fällt mir auf. Sie hat eine sehr helle Haut, grüne Augen und dunkelblondes Haar, sieht aus wie eine Europäerin, und ich habe schwarze Haare, braune Augen und sehe vielleicht nicht arabisch aus, aber schon arabischer als sie. Und trotzdem ist allen, auch Fremden, klar, auch wenn sie nicht arabisch redet, dass sie hier die Einheimische ist. Für sie ist es selbstverständlich, dass bei einem familiären Abendessen alle Frauen servieren und hinterher auch wieder alles abräumen. Außer den Gästen natürlich. Am ersten Abend bei ihrer Familie wollte ich nach dem Abendessen helfen, aber sie nahm meinen Teller aus meiner Hand und flüsterte: „Nein, nein, du bleibst