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Spesen schön scharf gemacht lässt die Führungsspitze sich zum Angriff blasen Ekaterina Heider Meine schöne Schwester Irgendwie hat sie alles. Immer alles bekommen. Früher Hunde und Hasen und bessere Noten und schönere Brüste, die man nicht als Flachland bezeichnete. Und keine Akne. Und später einen besser bezahlten Job, eine hellere Wohnung, Altbau, ch klar. Und weniger Seitenspeck, und einen besseren Mann und ein ruhigeres Kind. Ein Mädchen. Hätte eigentlich ich kriegen sollen. Statt dem Bengel hier, der sich nicht einmal die Haare wachsen lassen will und Hello Kitty uncool findet. Ich hätte die Zeit, wo er sich über die rosa Jäckchen und Mützen mit Katzenohren noch nicht beschweren konnte, wohl mehr genießen sollen. Jetzt, ständig irgendwelche Autosachen und Nintendos und „Puppen sind was für Mädchen“. Musste ich alle meiner Nichte schenken, die Puppen. Zehn Stück, nicht eine davon ausgepackt. Und meine Schwester nahm sie, mir einen bemitleidenden Blick zuwerfend, so als würde sie mir einen Gefallen tun. Undankbare Sau. „Geschenk“, sagte ich. Und später: „Er wollte sie nicht haben.“ Und jetzt spielt wahrscheinlich diese kleine Göre mit den Puppen meines Sohnes. Das geht alles auf die Schwester zurück, ich sage ja, sie hat alles bekommen. Bekommt immer alles, selbst von mir. Ich hätte die Puppen eigentlich auch wegschmeißen können, aber so bin ich ja nicht. Ich, immer nett, immer da, immer da, wenn sie mich braucht. Wir sind ja Schwestern. Und selbst bei ihrer Hochzeit musste ich komische Sachen reden und noch komischere tragen, und als Dank dafür, dass ich stundenlang in diesen beschissenen Stöckelschuhen herumlaufen musste, wollte sie meinen Sohn nicht einmal als Blumenmädchen haben. Er wollte auch nicht, aber ich hätte ihn sicher überreden können. Wie bei diesem Prinzessinnen-Make-Up bei den Kindertagen am Rathausplatz. „Wenn du das Foto online stellst, bringe ich dich um“, sagte er. Habe ich nicht gemacht, aber in meine Geldbörse gegeben, ganz vorne hinter diese durchsichtige Folie. Seitdem fragt er mich nie nach Geld, wenn seine Freundin da ist. Heute hat sie uns zum Essen eingeladen. Indisch, Gemüsecurry, weil sie sich ja vegetarisch ernährt, und in und nachhaltig und so moralisch korrekt ist. Hoffentlich muss ich nicht kotzen. Während die Tür aufgeht, drücke ich ihr die Weinflasche in ihre schönen, überhaupt nicht rauen, Neutrogena-Style-Hände und sage „Da... nke für die Einladung.“ Zwinge mich zum Lächeln und stoße meinen Sohn in die Seite, damit er auch nett schaut. Und erinnere ihn gleichzeitig daran, dass er das, was ich über meine Schwester „immer rede“ nicht erwähnt, wie beim letzten Mal. Sondern am besten nur schweigen, nicken und hin und wieder lächeln soll. Wie immer präsentiert sie uns ihren straffen Arsch in engen Anja Braunwieser, 1982 in Salzburg geboren, studierte nach ihrer Matura an der Universität Salzburg. 2002 wechselte sie nach Wien, 2007 begann sie das Studium der Fotografie bei Gabriele Rothemann an der Universität für angewandte Kunst. Seit 2011 studiert sie Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien. In ZW Nr. 1/2014, 5. 47-49, veröffentlichte sie „Transit in Doha“. Leggings, von Cellulite keine Spur. Nein, sie hat nicht zugenommen, sagt sie. Selbstbewusste Sau. Sogar in so ein indisches Hemd hat sie sich gequetscht. Voll orientalisch und Öko und so, mein Gott. „Hübsch“, sage ich. Später sche ich meinen Schwager, mit einem Dreitagebart, in Hemd und Krawatte, wie immer perfekt. Schöner Mann. Hätte eigentlich ich kriegen sollen. Ein paar Sätze wechsle ich mit ihm, über dies und das. Saunabesuche. Neue Unterwäsche. Das Übliche. Ich soll ihm nicht zuzwinkern, sagt meine Schwester, nachdem er mit weit aufgerissenen Augen meine Hand von seiner Brust entfernt hat und ins Arbeitszimmer verschwunden ist. Eifersüchtige Sau, die. Und das Wohnzimmer ist schön und hell und sauber und „geschmackvoll eingerichtet“, wie mein blöder Sohn sagt und später, schmunzelnd „nicht wie bei uns“. Arschloch. Und die nette graue Katze, die weder haart noch scheißt, murrt ein bisschen und kuschelt sich irgendwohin, wo sie niemanden nervt oder kratzt. Und die glänzenden, saftigen Blätter der Pflanzen, die Staub nie gesehen haben, fast alle wild am Blühen, erinnern mich an meinen vertrockneten Orangenbaum, bei dem es mir schon fast peinlich ist, Leuten immer wieder zu sagen, dass er eh noch nicht tot ist. Und sie zu fragen, wie sie überhaupt darauf kommen. Und dieser Birkenholztisch, und die Stühle, denen nie ein Bein fehlen könnte und die frischen Blumen in der Vase. Ich lächle wieder, weil ich nett bin. Und frage sogar, wie es ihr geht. Sie fragt, was wir denn trinken wollen. Und es gibt Apfel-, Trauben-, Orangen-, Birnen- und Karottensaft. Und Cola, Eistee, guten Wein und Bier. Wasser mit und ohne Kohlensäure, und aus der Leitung, wenn wir wollen. „Bei uns gibt's nur das aus der Leitung, alles andere würde mich gerade irgendwie ein bisschen überfordern, glaube ich“, sagt scherzhaft mein verdammter Sohn, den ich nie wollte. „Bier. Zwei. Bitte“, sage ich. Jetzt wirft sie mir denselben Blick zu, wie bei den Puppen damals, mir egal, sie bringt mir die Getränke trotzdem. Das eine Bier trinke ich auf Fx. Kein Wunder bei dieser Peinlichkeit von familiärer Angelegenheit. Und dann bringt sie uns den Fraß und ich ess ihn halt und sie auch und mein Sohn sowieso, der stopft eh alles rein. Meine Schwester lächelt. „Volllecker“, sagt mein Sohn mit halb vollem Mund, mir einmal zu viel in den Rücken fallend. Es reicht. „Voooooooooll lecker, Alter, urgeil“, äffe ich ihn nach. Alle schweigen. Gut so, sollte ihm eh peinlich sein. Und ich stopfe mir das Curry in den Mund und sie sich zwischen ihre schönen, vollen Lippen. Sie muss mir etwas sagen. August 2014 35