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Schmuggel- und Fluchtwege: Die AZ wird von der CSR über die kaum bewachte, grüne Grenze nach Österreich geschmuggelt und von AktivistInnen der Revolutionären Sozialisten (RS) in Österreich illegal zugestellt. Über die Schmuggelwege für Propagandamaterial gelangen in umgekehrter Richtung auch Flüchtlinge in die CSR; Schutzbiindler und ihre Familien kommen illegal in die CSR (bis zu 3.000 Personen). Sie werden vom ALOS und der Österreichischen Flüchtlingsstelle für Sozialdemokraten unter Mithilfe beider sozialdemokratischer Parteien der CSR über den Raum Prag, Nordböhmen, Mittel- und Südböhmen, Mähren und Slowakei verteilt und in 18 Lagern betreut. An der Grenzstelle Bratislava helfen deutsche Sozialdemokraten den Februar-Flüchtlingen, da zwischen slowakischen und österreichischen Sozialdemokraten kaum Kontakte bestehen. Als Möglichkeit zum Grenzübertritt bleibt einzig der halbwegs sichere Weg von Wolfsthal nach Kittsee, um mit Berufsschmugglern über die Grenze zu kommen; für nicht besonders Gefährdete besteht Gelegenheit zu legalem Grenzübertritt mit ordnungsgemäßem Pass mittels Eisenbahn oder Elektrischer Straßßenbahn (bis zum 5. Oktober 1935). Fluchthelfer und Unterstützungsstellen: Der tschechoslowakische Gesandte in Wien, Zdenek Fierlinger, gewährt Zuflucht in der Botschaft, mit gefälschten Heimatscheinen werden Flüchtlingen tschechoslowakische Pässe ausgestellt. Joseph Simon (Autonomer Schutzbund, RS) bringt auch Luitpold Stern über die Grenze. Die Joseph-Simon-Gruppe hat Verbindungen zum deutschen sozialdemokratischen Parlamentsklub in der CSR, zur Flüchtlingsstelle Znaim und zu einer inoffiziellen Flüchtlingshilfsstelle im 6. Wiener Bezirk. In Brünn entsteht die „Zentralstelle für österreichische Flüchtlinge“, die von beiden sozialdemokratischen Parteien unterstützt wird; zudem gibt es auch ein Hilfskomitee der KPTsch. In Prag erfahren die Emigranten Solidarität und finanzielle Unterstützung durch die DSAB, später auch durch die tschechische Sozialdemokratie, vermutlich weil in der österreichischen Sozialdemokratie, besonders in Wien, viele Mitglieder tschechischer Herkunft engagiert sind. Der Leiter der Anlaufstelle in Prag ist Hans Schabes (einst SDAPÖ). Die Auslandsvertretung des Zentralkomitees der KPÖ, die Auslandsvertretung österreichischer Gewerkschaften wie auch der Vorstand der Exil-SPD werden in Prag eingerichtet. Die Netze der internationalen Solidarität reichen von Verbindungen zu den Quäkern in England und den USA bis zum Internationalen Gewerkschaftsbund und westlichen Gewerkschaften. Fluchthelfer aus England wie Hugh Gaitskell, Elwyn Jones, Kim Philby (KPO/Komintern-Stelle in Prag) und George Eric Gedye dienen als Kuriere und Verteiler ausländischer Geldsendungen. Sie schmuggeln Heimatscheine und Passe, planen den Einsatz englischer Linker bei Hilfsaktionen. „Rußland-Transporte“: Im Frühling 1934 fällt die grundsätzliche Entscheidung über ein Asylangebot an Schutzbündler im Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale. Die Einladung wird durch Stalin im Radio verkündet; mit der Durchführung der Transporte werden die Internationale Rote Hilfe (MOPR) und der Allunionsrat der sowjetischen Gewerkschaften (WZSPS) beauftragt; KPTsch, Rote Hilfe in Prag und das ALÖS sind eingebunden. In sieben Großtransporten sowie mehreren kleineren Transporten und Reisegruppen reisen vom 23. April 1934 bis 1937 etwa 750 Schutzbündler in die Sowjetunion. Am 1. September 1934 halten die Revolutionären Sozialisten (damals noch Vereinigte Sozialistische Partei Österreichs) ihre 44 2WISCHENWELT „Wiener Konferenz“ in Blansko bei Brünn ab. Anfang September findet auch der 12. Parteitag der KPÖ in Prag statt; in Brünn wird die neue Zeitung „Der Schutzbund. Organ des Revolutionären Schutzbundes“ gedruckt. 1934/35 nehmen ideologische Konflikte, Unzufriedenheit und Radikalisierung in den Schutzbundflüchtlingslagern zu; rechte Hetze gegen Flüchtlinge und Forderungen nach Schaffung eines Emigrantengesetzes in der CSR werden lauter; die Vorstände der tschechischen und deutschen Sozialdemokratie in der CSR kommen unter Druck. „Weg und Ziel. Blätter für Theorie und Praxis der österreichischen Arbeiterbewegung“, hg. vom Zentralkomitee der KPÖ, erscheint 1935 bis 1938 in unregelmäßiger Folge in Prag. Nach Debatten in der CSR wird am 28. März 1935 das Gesetz über den Aufenthalt von Ausländern verabschiedet, was die Situation der Flüchtlinge zusätzlich erschwert. Zudem wird im März 1935 österreichischen Februaremigranten bekannt gemacht, dass die Gewerkschaften der Sowjetunion „ihr Versprechen, die geflüchteten Schutzbundkämpfer in die SU aufzunehmen, im wesentlichen erfüllt“ haben. Die Sammeltransporte für Schutzbundemigranten werden eingestellt. Nur noch in Einzelfällen, bei drohender mehrjähriger Gefängnisstrafe oder Todesstrafe, wird die Einreise noch toleriert. Begründet wird dieses Vorgehen damit, dass unter den vielen Hunderten Schutzbund-Emigranten auch „unwürdige Elemente mitgefahren (sind), die oft ein undiszipliniertes und unproletarisches Verhalten an den Tag legten“. Mindergefährdeten wird empfohlen, zur „revolutionären Arbeit“ ins eigene Land zurückzukehren. Und selbst jene Schutzbündler, die nach Moskau flüchten konnten, dürfen sich kaum in Sicherheit wähnen. Viele von ihnen geraten in die Mühlen stalinistischer Säuberungspolitik. 19. April 1935: Die SHF ändert auf Druck der tschechoslowakischen Regierung ihren Namen in Sudetendeutsche Partei (SdP), um zu den Parlamentswahlen antreten zu können. Die SdP wird durch die deutsche NSDAP finanziell unterstützt. Als Antwort auf die Aufrüstung des Deutschen Reiches schließt die CSR ein Militärbündnis mit der Sowjetunion (16. Mai 1935). Das ein Jahrzehnt zuvor (16. Oktober 1925) vereinbarte Französischtschechoslowakische Beistandsabkommen wird zu einem Sowjetischfranzösisch-tschechoslowakischen Pakt erweitert. Eine Klausel des Dreierpakts überlässt die Entscheidung über das Eintreten des Bündnisfalls jedoch Frankreich. Die Rote Hilfe in der CSR wird nun wieder legalisiert. Bei den Parlamentswahlen (19. Mai 1935) wird die SAP Konrad Henleins zur stimmenstärksten Partei in der CSR. Die Regierungsbildung erfolgt aber durch die um ein Parlamentsmandat starkeren tschechischen Agrarier. Am 15. September 1935 werden im Deutschen Reich die „Nürnberger Gesetze“ verlautbart. Weitere Flüchtlinge kommen in die CSR. Am 18. Dezember 1935 wird Edvard Benes$ als Nachfolger von T.G. Masaryk zum Staatspräsidenten gewählt. Bei ihrer Reichskonferenz in Brünn Ende 1935 versuchen die Revolutionären Sozialisten, trotz Verhaftungen, einen Neuanfang. In Österreich wird im Dezember 1935, zum Teil aufgrund des Drucks aus dem Ausland, eine Weihnachtsamnestie erlassen. Auch das ALÖS empfiehlt „die baldige Rückkehr nach Österreich“ (5. Jänner 1936). Mitte Juni 1936 sind nur noch 45 sozialistische Emigranten aus Österreich in tschechoslowakischen Heimen. Außerhalb der Heime bleiben aber viele (wie etwa Fritz Brügel) in der CSR. Der frühere Schutzbund ist über Europa und Übersee verteilt. Das österreichische Regime übt verstärkten Druck auf die tschechoslowakischen Behörden aus, das Erscheinen der