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Tanja Gausterer »In Prag hab’ ich — lach nicht! — Lektionen gegeben — in Spanisch — fiir Anfanger. Hab’ immer am Tag vorher gelernt, was ich am nächsten zu unterrichten hatte.“! Derart launig und plauderhaft berichtete Joseph Kalmer (1898 — 1959, ursprüngl. Josef Kalmus) nur engsten Vertrauten von seiner mitunter unkonventionellen Herangehensweise an Fremdsprachen. Ilse Barea-Kulcsar, der diese Zeilen 1953 zugingen, gehörte für den vielseitigen Literaturagenten, Übersetzer, Journalisten und Lyriker, Förderer u.a. von ‘Theodor Kramer und Erich Fried, Vermittler etwa von Günther Anders, Leo Perutz und Hannelore Valencak’ unzweifelhaft dazu. Für ihren zweiten Ehemann Arturo Barea bemühte sich Kalmer in seiner Funktion als Literaturagent in den Nachkriegsjahren nicht zuletzt um tschechische Vertriebsmöglichkeiten. Der 1898 im galizischen Nehrybka geborene Kalmer, der 1915 mit seiner deutschsprachigen jüdischen Familie nach Wien übersiedelte, hatte bereits in seiner frühen Schulzeit in Przemysl und Czernowitz u.a. Unterricht in Polnisch, Ruthenisch, Armenisch und Russisch erhalten. Ab 1919 erschienen regelmäßig Übersetzungen, insbesondere der französischen und russischen Literatur, in der Tagespresse und in literarischen Periodika. Aber auch einzelne Übersetzungen aus dem Tschechischen (etwa Karel Capeks Erzählung „Tribunal“ oder Gedichte von Frantisck Gottlieb) sowie Besprechungen von Ausstellungen tschechischer Künstler in Wien finden sich darunter. Kontakte zur tschechischen und vor allem tschechisch-deutschsprachigen Community hatte Kalmer bereits um 1920. So hätte er auf Einladung des bestellten Chefredakteurs Arne Laurin, der auch in Wien Mitarbeiter für die neugegründete „Prager Presse“ suchte, als Übersetzer und Redakteur der Literaturbeilage nach Prag kommen sollen. Zwar lehnte er den Umzug ab, arbeitete aber von Wien aus mit, ebenso wie er das „Prager Tagblatt“ mit seinen Texten versorgte.” Es wäre durchaus denkbar, dass Laurin, der den beiden ersten Präsidenten der Tschechoslowakei Tomäs Garrigue Masaryk und Edvard Benes nahestand und mit dem Blatt die Integration der deutschsprachigen Minorität befördern sollte, durch Egon Erwin Kisch auf den jungen Journalisten aufmerksam gemacht wurde. Nach eigener Aussage war Kalmer nach dem Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg „Kompanieführer“* in der von Kisch maßgeblich mitgeprägten Roten Garde in Wien. Mit dem „Rasenden Reporter“ verband Kalmer auch über diese revolutionäre Zeit hinaus eine Freundschaft. Während es Kalmer als Lyriker nicht gelang, sich zu profilieren, fasste er neben der journalistischen Tagesarbeit als Übersetzer Fuß. 1927 erschien die Anthologie „Europäische Lyrik der Gegenwart 1900-1925“, Kalmers ambitionierter Versuch, sich der modernen Lyrik aus „33 Völkern“ anzunähern.? Die tschechische Literatur ist mit Otokar Biezina, Antonin Sova, Karel Toman, Fratta Sramek, Petr Bezru£, Stanislaw Kasimir Neuman, Georg Wolker, Jaroslav Seifert und Vitézslay Nezval vertreten. Unterstiitzt wurde er bei diesem Projekt auch von dem Ehepaar Milena Jesenskä und Ernst Pollak (spater: Polak), die in den 1920er Jahren in Wien lebten, wobei der Bohemien Pollak zum Leidwesen seiner Frau wie Kalmer Stammgast literarischer Kaffeehauszirkel war. „Kalmer war damals der einzige Mensch, der mir half — ohne von mir was zu wollen. Ich kann es ihm nie vergessen natürlich. Ich hatte damals niemanden auf der Welt““, resümierte die sich zurückgesetzt fühlende Jesenskä später. Vielleicht kam Kalmer durch sie oder ihren Mann auch in Kontakt mit dem damals weitgehend unbekannten, 1924 verstorbenen Deutschprager Franz Kafka, auf dessen persönliche Bekanntschaft er später schr stolz war. Mit Jesenskä jedenfalls blieb Kalmer verbunden. 1935 — im gleichen Jahr, in dem seine einzige Buchübersetzung aus dem Tschechischen erschien, nämlich der mit Marianne Wallner übersetzte Kinderbuchklassiker „Klapperzahns Wunderelf“ von Eduard Bass (illustriert von Karel Capeks Bruder Josef und mit einem Titelbild von Walter Trier)” — übersetzte Jesenskä den wahrscheinlich größten Bucherfolg Kalmers ins Tschechische: Das mit Graf Ludwig von Huyn verfasste Buch „Abessinien“ erreichte in deutscher Sprache mehrere Auflagen und wurde außerdem ins Norwegische, Polnische (beide 1935) und Italienische (1936) übersetzt.° In Bezug auf diese erfolgreichen Jahre sind zwischen 1930 und 1936 in Kalmers Reisepass mehrere Reisen in die Tschechoslowakei vermerkt.’ Danach hatten sich die Zeiten drastisch geändert. Nun war es Kalmer, der bei Jesenskä Unterstützung suchte, nachdem er im August 1938 aus Wien geflüchtet war.'” Unklar ist, ob er von Jesenskäs Bemühungen zur Unterbringung und Visumsbeschaffung für Verfolgte wusste oder ob er sich an sie als Freundin wandte. Eigentlich hatte Kalmer in Wien für seine Emigration alles vorbereitet. Ende Mai 1938 beantragte er beim US-amerikanischen Konsulat in Wien ein Visum'' und wurde wenige Tage später, am 2. Juni, unter der polnischen Quote — wegen seines polnischen Geburtsortes Nehrybka - registriert. Die Ausreisegenehmigung „nach allen Staaten Europas“ und — handschriftlich ergänzt — „U.S.A.“ inklusive des wichtigen Passus, auch wieder einreisen zu dürfen, wurde ihm am 4. Juli 1938 in den Pass gestempelt, obwohl Kalmer zu dieser Zeit - laut eigenem Bericht ab dem 22. Juni!’ - im Gestapo-Gefängnis in der Karajangasse (ursprünglich ein Schulgebäude)" saß. Verschiedene Umstände ermöglichten die Entlassung am 21. Juli: „Der Übersiedlung nach Dachau bin ich durch einen zeitgerecht gekommenen Ischiasanfall entronnen, und mit Rücksicht auf ein Afhıdavit nach Amerika bin ich dann entlassen worden“, schrieb er später an Robert Neumann. '* Dass die krankheitsbedingte Entlassung nicht Mitleid, sondern nüchtern „nicht lagerdienstfähig“ bedeutete, ließ er rückblickend Otto Basil wissen." Die Enthaftung wurde offenbar auch durch die Hilfe eines ehemaligen Schulkollegen, der nun ein (wohl nicht ganz verblendetparteigangerischer) Aufseher in der Karajangasse war, begünstigt.'‘ Mitentscheidend scheint auch das chinesische Visum gewesen zu sein, das am 20. Juli 1938, also noch während Kalmers Haft, im Pass eingetragen wurde. Dieses wichtige Dokument besorgte ihm der Sprachforscher und ehemalige Leiter des Internationalen Psychoanalytischen Verlags in Wien Adolf Josef Storfer (1888 — 1944), der - wie Kalmer in seinem Nachruf auf den Freund schreibt — „täglich von Konsulat zu Konsulat [rannte], um mir irgendein Einreisevisum zu verschaffen“. '” August 2014 59