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in Prag nicht abzuwarten wäre, hat Kalmer wohl geahnt. Jedenfalls entschloss er sich zur sofortigen Flucht, nachdem ihm das Konsulat versichert hatte, dass er seinen Platz auf der Warteliste nicht verlieren würde.” Mit 22 kg Gepäck und 1450 Kronen verließ Kalmer am 25. August 1939 Prag. Der Weg sollte mit Lufthansa via Frankfurt am Main nach London führen, wobei alles in allem die faktischen Hintergründe ungesichert, d.h. Kalmers eigene Aussagen dazu wenig eindeutig sind: Dass die Flucht dramatisch und wohl nicht über Frankfurt, sondern allem Anschein nach notgedrungen über Brüssel führte, ließ er Rudolf Olden zwei Wochen später wissen, als er sich bereits um Referenzen für die geplanten Ausländertribunale der Briten kümmern musste: „Now, fortunately, I succeeded in escaping the claws ofthe Gestapo, Prague, and left by the last [...] to Brussels from where I proceeded in London.“*! Seinem Vater schrieb er rückblickend: „Ich habe nicht einmal einen Geburtsschein oder ein Maturazeugnis - alles ging, soweit ich es überhaupt mithatte, bei der Flucht aus Prag verloren, als zwei Koffer in Frankfurt zurückblieben und ich aus Rachmones [d.i. jiddisch für Mitleid; T.G.] von einem belgischen Piloten mitgenommen wurde, weil kein deutsches Flugzeug mehr das Land verließ.“ >? Faktum ist, dass Kalmer am 26. August den damaligen Hauptflughafen Londons in Croydon erreichte. Neben einem Eigenkapital von 1000 Schweizer Franken, das er in Brüssel deponiert hatte?, berief er sich auf eine Vereinbarung mit der Zeitschrift „Pfitomnost“: „Notabene, da mich die „Pfitomnost“, ein dem Benesch-Kreis nahestehendes Wochenblatt (das Beste, das hier ediert wird) als Korrespondenten verwenden und mir die Beträge verhältnismäßig gut honorieren will.“”* Und die Vermutung drängt sich auf, dass es Milena Jesenskä, regelmäßige Mitarbeiterin des tschechischen Blattes, war, die sich für Kalmer bei der „Pfitomnost“ verwendete. Da die Zeitschrift nach dem Einmarsch der Hitlertruppen abgesetzt und der Chefredakteur Ferdinand Peroutka im September 1939 nach Buchenwald deportiert wurde, kam die avisierte Mitarbeit an der „Pfitomnost“ nicht zustande. Dass er seine tschechischen Kontakte und eine gewisse Nähe zur tschechischen Exilregierung um Edvard Bene$ auch in London wieder nutzbar machen konnte, lässt sich über verschiedene Mitarbeiten erschließen. So war er bei den tschechischen Exilperiodika „Cechoslovak“ und „Central European Observer“ tätig. Im „Cechoslovak“ war er für „Kolonialpolitik und Kolonialkrieg“ zuständig, wie er selbst in dem Bericht „Die czechoslowakische Presse in Großbritannien“ schreibt. In diesem Artikel bekennt er sich klar zu Bene®’ in dessen 1939 erschienenen Buch „Democracy — Today and Tomorrow“ ausgegebenem Credo zu ‚demokratischer Propaganda‘ und lobt darin die publizistischen Anstrengungen der Exiltschechen im Allgemeinen und insbesondere jene von Bohus Benes.° Diesen sehr wohlwollenden Text verfasste Kalmer für die Agentur European Correspondents unter der Leitung von Walter Tschuppik, fiir die er ab 1941 tätig war und deren antinazistische Artikel weltweit versandt wurden. Unter den zahlreichen Beiträgen Kalmers finden sich auch Interviews mit dem Ministerprasidenten Jan Sramek und dem Justizminister Jaroslav Stransky sowie Kriegsberichte aus Ischechien. Außerdem war er „Monitor“ für tschechische Neuigkeiten bei der Zeitung „Ihe News Chronicle“. Im Zuge seiner journalistischen Tätigkeit in England lernte Kalmer seine Ehefrau Erica kennen. Die gebürtige Tschechin war im März 1939 nach Großbritannien gekommen und hatte zunächst als Sekretärin von Bohus Bene$ gearbeitet. Danach war sie von 1941 bis 1945 Sekretérin von Jan Masaryk, als sie auf Joseph Kalmer traf. Nach dem Krieg wurde sie Assistentin des Kulturattachés der tschechischen Botschaft in London. Diese Nahbeziehung nutzte Kalmer auch nach dem Krieg. Zum einen wurden er und Paul Roubiczek bei der Herausgabe von ,,Warrior of God“ unterstiitzt. Dem Presseattaché der tschechischen Botschaft, Victor Fischl (später: Avigdor Dagan), wird in der Vorbemerkung für die Beschaffung der Illustrationen gedankt*“; zum anderen versuchte Kalmer für seine Literaturagentur Publikationsmöglichkeiten über ofhizielle Stellen zu erreichen, nicht zuletzt über Erica Kalmer, die ihre Anstellung in der Botschaft über den kommunistischen Umsturz im Jahr 1948 hinaus behielt. Die guten Kontakte zu seinem einstigen Fluchtland nutzte Kalmer u.a. auch für die Wiederaufnahme seiner österreichischen Beziehungen, etwa, als er 1946/47 Otto Basil, den Herausgeber der ambitionierten Kulturzeitschrift „Plan“, bei der Konzeption einer Sondernummer zur Ischechoslowakei unterstützte: „Ich habe August 2014 61