OCR
nachgab und einer Regierungsumbildung zugunsten der KP’Tsch zustimmte.° Nun wurde seitens der KPTsch mit großem Tempo die Angleichung des tschechischen Staatswesens an das sowjetische Vorbild vorangetrieben. Im Zuge der Maßnahmen gegen das unabhängige Pressewesen kam es zu einer ersten Säuberungswelle, die zur Entlassung oppositioneller Kräfte aus Ämtern, Universitäten, Unternehmen und Zeitungsredaktionen führte. Ein am 10. April eröffneter Kongreß für nationale Kultur war schließlich der Auftakt für die rasch vollzogene Gleichschaltung von Wissenschaft, Presse, Literatur, Theater, Kunst und Film. Für die Säuberungswelle, die daraufhin über die CSR hereinbrach, zeichnete vor allem ein Mann verantwortlich: Rudolf Slänsky, Generalsekretär der KPTsch, der damals von der Moskauer Parteizentrale unterstützt wurde, später jedoch selbst einer Säuberungswelle zum Opfer fiel.” So gesehen waren die Wahlen vom 30. Mai nur noch ein Formalakt, um die kommunistische Machtübernahme nach außen hin zu legalisieren. Als dann am 7. Juni Edvard Benes$ sein Präsidentenamt zurücklegte, verschwand damit gleichzeitig der letzte Vertreter eines bürgerlich-demokratischen Rechtsstaates aus dem politischen Leben der CSR.® Für Brügel gefährlich wurde cs, als im darauffolgenden Jahr auch innerhalb der KPTsch Meinungsverschiedenheiten und Machtkämpfe tobten, in deren Folge vor allem die Gruppe um Slänsky und Clementis, die nicht nur den Parteiapparat kontrollierte, sondern auch großen Einfluß in Presse, Armee und im diplomatischen Dienst genoß, an Einfluß verlor. Die Spannungen zwischen den beiden Gruppierungen um Gottwald und Slänsky traten dann beim IX. Parteitag der KPTsch vom 25. bis 29. Mai 1949 offen zutage.” In diese Phase der innenpolitischen Entwicklung der CSR fällt sowohl Brügels Karrieresprung an die Spitze der CSR-Militärmission in Berlin (Jänner 1949) als auch seine Entscheidung, sich in den Westen abzusetzen.'° Flucht aus Berlin, Mai 1949 Alfred Kantorowicz begründet Brügels langes Ausharren in Diensten der CSR damit, daß dieser anfangs an eine positive Entwicklung im sowjetischen Machtbereich glaubte, sich dann jedoch — nach den Ereignissen des Jahres 1948 — von Freunden überreden ließ, im Amt zu bleiben, um einen parteihörigen Funktionär als Nachfolger zu verhindern: „Man mißtraute ihm — mit gutem Grund, wie wir heute sagen dürfen: nicht weil er ein Verräter war, sondern weil er den humanistischen Leitmotiven, die sein Denken und sein Handeln seit ch und je bestimmt hatten, treu bleiben wollte.“'' Brügel selbst wußte seinen Verbleib durchaus nüchterner einzuschätzen. In einem Brief an Robert Neumann zeigt er sich illusionslos und weiß, daß der Prager Zentrale seine auf politischen Ausgleich gerichtete Tätigkeit durchaus ins Konzept paßte: „Für die Zeit, da das Spiel zwischen westdeutscher und ostdeutscher Republik nicht entschieden war und die Sowjetunion mit der ostdeutschen Republik zögerte, paßte es den Pragern, in mir einen Mann zu haben, der die alte Linie des Ausgleichs zu halten versuchte.“'* Gegenüber Neumann geht Brügel auch auf die Beweggründe seiner Flucht ein. Wie schon in einem an das tschechoslowakische Außenministerium gerichteten Schreiben führt er neben der korrupt agierenden Machtelite'? vor allem die politischen Schauprozesse an, insbesondere das Todesurteil gegen General Pika, einem verdienstvollen Angehörigen der tschechoslowakischen Exilregierung in London und treuen Weggefährten von 66 _ZWISCHENWELT Staatspräsident Bene$. Brügel erwähnt auch einen Konflikt mit dem Außenministerium, das ihn bezüglich der Unterzeichnung eines Handelsvertrages mit der Sowjetunion unter Druck setzte. Als Brügel wegen eines akuten Anfalls von Angina Pectoris in das amerikanische Hospital eingeliefert wird, begibt er sich schließlich unter den Schutz der USA und bittet seine Frau Vera, alles für die „Abreise“ (Diktion Brügel) vorzubereiten.'* Das war im Mai 1949." Brügel ist ab diesem Zeitpunkt wieder staatenlos.'‘ Wesentlich dramatischer als Brügel selbst schildert Kantorowicz die Umstände dieser Flucht: „Er kehrte noch einmal nach Berlin zurück, erschüttert, vollkommen zerrüttet, mit bloßliegenden Nerven, zitternden Händen — was er in Prag geschen und erlebt hatte, das war für ihn die Hölle gewesen. Die Hölle hatte gesiegt. Er war entschlossen, zu fliehen. Ein nervlicher und körperlicher Zusammenbruch, Kreislaufstörungen, ein Herzinfarkt, warfen ihn darnieder. Im amerikanischen Krankenhaus in Wannsee besuchte ich ihn, als er wieder zu sich gekommen war. Die Ärzte verboten aufregende Gespräche. Vera saß an seinem Bett. Da er sich bereits unter amerikanischen Schutz begeben hatte, so war die Frage nach seiner Entscheidung überholt.“ Da Brügel weder in seine Geburtsstadt Wien (Gefahr drohte ihm hier in der sowjetischen Besatzungszone) noch nach Westdeutschland gehen konnte oder wollte, versuchte er zunächst ein Einreisevisum nach Großbritannien zu bekommen. Als sich die Bearbeitung des Antrages verzögerte und ihm sein Arzt riet, die belastende Atmosphäre Berlins so schnell wie möglich zu verlassen, wandte sich Brügels Frau Vera an den diplomatischen Vertreter der Schweiz, Herrn von Diesbach, der Brügel Asyl zusicherte. Brügel begab sich zunächst nach Frankfurt am Main, von wo er nach drei Tagen Aufenthalt weiter in die Schweiz reiste und in Locarno Station machte. Doch schon ereilte ihn ein weiterer Schicksalsschlag: seine Beine versagen ihm den Dienst, Brügel ist vorübergehend gelähmt. Nach einer kostspieligen Behandlung wurde Diabetes diagnostiziert, jene Krankheit, an der er bis zu seinem Tod im Jahr 1955 leiden sollte. '® Von der Schweiz aus bemühte sich Brügel um ein Einreisevisum für England. Wiederum, wie schon bei seiner ersten Flucht nach England 1940/41, war ihm dabei Robert Neumann, der nach wie vor in London weilte, behilflich.'” Nach Fürsprache des englischen Verlegers Gollancz”, den Robert Neumann für Brügels Ansinnen gewinnen konnte, wurde die Visumangelegenheit positiv erledigt. Im Mai 1950, also genau ein Jahr nach ihrer Flucht aus Berlin, konnte das Ehepaar Brügel endlich die ungeliebte Schweiz verlassen (,,... hier können nur Exkönige als Emigranten leben.“”') und englischen Boden betreten. “Verschwörer“. Roman (1951) Fritz Brügels literarisches Vermächtnis über seine Erfahrungen mit der CSR nach 1945, sein antistalinistischer Roman „Verschwörer“, wurde im zweiten Londoner Exil geschrieben und erregte insbesondere in der Schweiz, wo er im Europa-Verlag Emil Oprechts ediert wurde”, großes Aufsehen. Vielfach wurde er mit Arthur Koestlers „Sonnenfinsternis“ verglichen, ein Vergleich, den Brügel jedoch von sich wies: „Köstlers Buch halte ich ebenfalls für gut. Ich kenne ihn ganz gut, ich glaube, er ärgert sich genauso wie ich, daß mein Buch in Schweizer Zeitungen ständig mit seinen Büchern verglichen wird, was wirklich für uns beide nicht