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von 1927 bis 1934, noch ein letztes Mal nach Erscheinen der englischen Ausgabe: „Ich kann also nur berichten, daß die Schweizer und deutschen Rezensionen ausnahmslos gut waren. In Österreich sind weder die,Verschwörer‘ noch die,Gedichte aus Europa’ rezensiert worden. [...] In Großbritannien hat das Buch ein erstaunliches Echo gehabt, in den wenigen Wochen seit Erscheinen sind bereits viele Rezensionen erschienen, die meisten ausgezeichnet, viele gut. [...] Unfair waren nur, da sie sich nicht anders helfen konnten, die Kommunisten oder Kommunisanten.“” Brügel, so legt der letzte Satz nahe, hatte mit den „Verschwörern“ offensichtlich die geeignete Form gefunden, um sich vom Stalinismus nochmals zu distanzieren und — zwei Jahre nach seinem „Absprung“ aus der CSR — diese Distanznahme auch öffentlich zu argumentieren. Fritz Brügel - ein „zweifacher Renegat“? Als sich Fritz Brügel im Mai 1949 unter den Schutz der USA stellte, gab es neben wohlwollenden Kommentaren auch kritische Stimmen. Den Vorwurf des Renegatentums auszusprechen, blieb allerdings Brügels ehemaligen Parteifreunden vorbehalten, die in der „Arbeiter-Zeitung“ die Flucht Brügels äußerst gehässig kommentierten: „Fritz Brügel, der Sohn des Geschichtsschreibers der österreichischen Sozialdemokratie, der frühere Bibliothekar der Wiener Arbeiterkammer, der Verfasser vieler sozialistischer Gedichte — darunter der ‚Arbeiter von Wien‘ und der ‚Februarballade‘ -, war bis zum Februar 1934 österreichischer Sozialdemokrat. In der Emigration, zuerst in Prag, dann in Paris, dann in London, wurde er tschechoslowakischer Patriot, dann während des Krieges Fast-Kommunist. Er mißbrauchte seine Kenntnis der deutschen und österreichischen sozialistischen Bewegung zu argen Gehässigkeiten und politischen Denunziationen. Nach dem Kriege setzte er diese Tätigkeit im Dienste der tschechoslowakischen Regierung fort, von der er sich zur Beaufsichtigung der verhaßten deutschen Arbeiterbewegung nach Berlin schicken ließ. Jetzt hat er anscheinend doch genug — oder er hat Angst bekommen. Jetzt ist auch er den, Weg über die Grenze‘ gegangen, von dem wir gestern schrieben. Aber ein zweifacher Renegat ergibt noch keinen wiedergefundenen Demokraten oder Sozialisten.“ 1949 war offensichtlich die Atmosphäre zwischen Brügel und der SPÖ bereits so vergiftet, daß derartige Unterstellungen möglich wurden. Daß die Vorwürfe der „Arbeiter-Zeitung“ einer Überprüfung nicht standhalten, braucht hier nicht eigens betont werden. Dem Verfasser dieses Kommentars ging es jedoch nicht um stichhaltige Beweise, sondern darum, das Ansehen des chemaligen politischen Weggefährten in Zweifel zu ziehen. Gerade um die Aufrechterhaltung seiner Glaubwürdigkeit ging es jedoch Briigel, als er 1949 die CSR verließ. Er definierte sich als Opfer des stalinistischen Systems und betrachtete seinen „Absprung“ nicht als Verrat und Abkehr vom Sozialismus, sondern als den einzigen Weg, seiner sozialistischen Gesinnung treu zu bleiben. Folgt man dem Schema Michael Rohrwassers, der in seiner umfassenden Studie „Der Stalinismus und die Renegaten“ zwei Prototypen der Selbststilisierung von Renegaten definiert, so würde Brügel sich wohl am ehesten als,wahrer Sozialist‘ bezeichnet haben. Bei Rohrwasser als typologische Gegenfigur zum,Nihilisten‘, der durch die Loslösung vom Kommunismus 68 _ZWISCHENWELT in ein Sinnvakuum stürzt, angelegt, ist der,wahre Sozialist‘ jener Typus, „der den Glauben gegen eine pervertierte und die Lehre verfälschende Kirche rettet“.?! Das Renegatentum bedeutet für ihn „Treue zum Sozialismus“, die er bei jenen vermißt, denen er den Rücken zugekehrt hat. In diesem Sinn äußert sich Brügel auch gegenüber Wanda Lanzer: „Ich habe mich wahrscheinlich sehr verändert, doch selbst das genauer definieren zu wollen, ist schr schwer. Jedenfalls bin ich ein Sozialist geblieben, wenn ich auch in keiner Partei bin, und das, was ich schreibe, ist sozialistisch.“*? Und in einem Brief an den 1938 nach New York geflüchteten österreichischen Lyriker Ernst Waldinger (1896 — 1970) stellt er seine Sicht einer aufrechten politischen Haltung in bewußten Kontrast zur Entwicklung der österreichischen Sozialdemokratie, der er nun seinerseits Verrat vorwirft: „Die Wahrheit ist, daß ich über verschiedene Dinge andere Meinungen hatte und habe, als sie in österreichischen Kreisen üblich waren und sind, also ein Recht in Anspruch nehme, the right to differ, für das zu kämpfen diese Leute vorgeben. Dabei darf man, will man objektiv sein, nicht übersehen, daß die österreichischen Sozialdemokraten von 1934 bis heute nicht nur immer wieder Grundsätze geändert haben, sondern auch zweimal den Namen ihrer Partei.“ ?? Neben den offiziellen und inoffiziellen Abgrenzungen, die Brügel gegenüber dem Kommunismus formulierte, muß vor allem sein Roman „Verschwörer“ als ein definitives Ergebnis einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Herrschaftssystem des Stalinismus gewertet werden. Diese Distanznahme wird im Roman insbesondere an den Parteifunktionären Kladensky und Schwetz, die für Brügel als Repräsentanten des Sozialismus abgedankt haben, nachvollziehbar. Ihnen geht es um politische Karriere und um die Aufrechterhaltung von Macht, die sie als Vasallen der Moskauer Zentrale sicher in Händen glauben. Brügel hat sich so die geeigneten Negativfiguren geschaffen, vor die er die positiven Helden Horäk, Jablonsky etc. stellt, die eigentlich immer ihren Grundsätzen treu geblieben sind und denen es immer um das Gleiche ging: um die Freiheit des Menschen und die Wiederherstellung der Demokratie. Pavel Schwetz hingegen ist der eigentliche Renegat. Er benutzt seine Freundschaft zu Horäk, um in die oppositionelle Gruppe einzudringen und sie für seine Zwecke zu mißbrauchen. Im Roman nimmt Brügel jedoch auch frühere Positionen zurück: Hätte er sich noch während des Krieges niemals zu einem Vergleich zwischen der Nazi-Diktatur und der Stalinschen Sowjetunion hinreißen lassen und alle diesbezüglichen Kommentare als reaktionär bezeichnet, so verschwimmen in den „Verschwörern“ die Grenzen zwischen der braunen Diktatur Hitlers und der roten Stalins. Brügel schließt hier vorsichtig an Positionen jener Emigranten an, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg von einem braunen und roten Faschismus gesprochen haben. Insbesondere Leopold Schwarzschild, der von den Kommunisten wegen seiner unbeugsamen Kritik an den Moskauer Prozessen heftig attakiert wurde, vertrat in seiner Zeitschrift „Neues Tagebuch“ diese These.” Das antistalinistische Bekenntnis, das Brügel mit seinem Roman ablegte, nahm man seitens der österreichischen Sozialdemokratie offensichtlich nicht mehr zur Kenntnis. Der Fall Brügel war längst abgeschlossen. Jemand, der zweimal die politischen Fronten gewechselt hat- so der Standpunkt, wie er in der „Arbeiter-Zeitung“ vertreten wurde —, habe jeglichen Anspruch auf parteiinterne Solidarität verloren. Nach 1949 wurde Brügel innerhalb der SPÖ zur persona non grata. Sein Lied „Die Arbeiter von Wien“ blieb zwar weiterhin ein oflizielles Parteilied, sein Verfasser geriet jedoch