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Richard Wall Rahmann und Rudi Görnet Von der Linzer Schriftstellerin Henriette Haill, die in den 30er Jahren ganz in der Nähe über die Hügel wanderte, gab's ein vertontes Gedicht als Draufgabe, in einem aus- und umgebauten Getreidekasten auf dem Hofe eines der letzten „Stadtbauern“ hoch über der Mühlviertler Kleinstadt Gallneukirchen (und unterhalb der Anhöhe Gugaläa, der ehemaligen Hinrichtungsstätte der alten Riedmark und der Starhemberger, wo all die armen Teufel — Protestanten, Deserteure und Bauern, die den Zehent nicht zahlen konnten — gehenkt wurden). Tja, auch die von Gratis-Gazetten nicht minder verblédete Provinz hat ihre kulturellen Nahversorgernischen, Kulturgreißler gleichsam: Schon drei Jahrzehnte lang wirken die „Gallnsteine“ als unkonventionelle Veranstalter, hartnäckig, trotzend der Ignoranz der längst auch durch die Globalisierung verunsicherten und gedemütigten Bürger, die hier, einst durch Handel und Kleingewerbe besitzend geworden, als stolze Marktbürger hohes Ansehen genossen. War’s Zufall? - Am Abend vor der Wiederkehr des Todestages — am 16. Februar 1939 verreckte der in Charkow (heute Ukraine) geborene Schriftsteller im KZ Buchenwald an Typhus — traten, eine Auswahl seiner Gedichte und Texte vorzutragen, auf: Rudi Görnet (Kontrabass, Gesang) und Maren Rahmann (Akkordeon, Gesang). Angekündigt war ein politischer Chanson-Abend mit Satiren und Liedern aus Theaterstiicken, doch das vom Duo aufhohem Helga W. Schwarz Niveau Gebotene — Improvisationen nicht ausgeschlossen — ging darüber hinaus. Rahmann kommt ja vom Schauspiel, und die von ihr interpretierten Gedichte von Soyfer verschmolzen unter W\ Einsatz von Gestik und Mimik zu einer leidenschaftlich dargebotenen Aktualisierung. Jedes Lied hatte seine speziellen Arrangements, minimalistisch oft nur von den Instrumenten unterstützt durch das Zupfen einiger Saiten am Bass, durch das Schlagen mit der flachen Hand auf den faltigen Balg der Ziehharmonika. Rahmann spielte zumeist nur die Bass-Knöpfe mit der linken Hand, da sie die rechte für die Gestik benötigte, eine Gestik, die aus einem sehr beweglichen und bewegten Körper kam: Ganzkörpereinsatz inklusive, um den Ausdruck der Worte noch zu steigern. Großartig die Interpretation von „Das Lied von der Erde“ mit den ach wie wahren Versen: „Voll Hunger und voll Brot ist diese Erde,/ Voll Leben und voll Tod ist diese Erde,/ In Armut und in Reichtum grenzenlos.“ — Ganz anders als jene der Schmetterlinge, die man ja kennt (zumindest als ein in den 70er Jahren Sozialisierter), wie überhaupt - und dies lässt sich erfreulicherweise Eine Erinnerung aus aktuellem Anlass Nachdem der mutige Aufstand österreichischer Arbeiter im Februar 1934 blutig niedergeschlagen und überlebende Kämpfer mit Terror verfolgt wurden, wenn sie nicht rechtzeitig über die Grenze entkamen, wurden auch alle sozialistischen Vereine verboten. Wenig überraschend erfolgte somit am 2. März 1934 durch Bescheid des Sicherheitskommissärs des Bundes für Wien die zwangsweise Auflösung der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller (VsS). Als Begründung wurde u.a. angeführt: „Mit Verordnung der Bundesregierung vom 12. Februar 1934, BGBl. Nr. 78 wurde der sozialistischendemokratischen Partei jede Betätigung verboten. Jedermann ist untersagt, sich irgendwie für diese Partei zu betätigen. Es ist amtsbekannt, dass der im Spruche angeführte Verein im Sinn dieser Partei bis zur Einstellung seiner Tätigkeit [...] tätig war. Es ist unstatthaft den organisatorischen Zusammenhang zwischen den Mitgliedern dieses hiermit aufgelösten Vereins weiterhin aufrecht zu erhalten.“ Doch dieser „Anordnung“ handelten die „Vereinsmitglieder“ zuwider — sofern sie trotz anhaltender Verfolgung am Leben blieben mit den ihnen zu Gebote stehenden Waffen des Wortes. auch auf der neuen CD nachhören oder überhaupt anhören — es schwierig gewesen sein muss, eine Qualität zu entwickeln, die den Vergleich mit den Altvorderen standhält. Erschütternd und von ungebrochener Aktualität das Lied „Es regiert die Welt, die Faust, die Phrase und das Geld“. Sehr zu empfehlen jedenfalls die CD in diesen hehren wie harten Zeiten, die, in Abwandlung eines Marx-Zitates, sowohl als Tragédie als auch als „blutige Farce“ erlebt werden können und so unmittelbar an die Entstehungszeit der Texte von Soyfer erinnern... Maren Rahmann/Rudi Görnet: Jura Soyfer — Lieder von der Erde und von den Menschen. CD, 52:11. non food factory 2013. Euro 18,50 Ihnen und der Geschichte dieser nur vom Januar 1933 bis zum zitierten Verbotserlass bestehenden Schriftstellerorganisation widmete der verdienstvolle Bibliothekar des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), Herbert Exenberger (1943 — 2009), eine Anthologie unter dem auch diesem Beitrag gegebenen Titel. Die Redaktion des beim Mandelbaum Verlag Wien (2000) erschienenen Buches oblag der damals noch lebenssprühenden Siglinde Bolbecher, deren überraschender Tod im Juli 2012 eine bis heute schmerzende Lücke hinterließ. Auch Herbert Exenberger ereilte 2009 der August 2014 81