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Krebstod. Die von ihm akribisch recherchierte Dokumentation über die antifaschistisch engagierte österreichische Schriftstellervereinigung, die sich 1933 im bewussten Gegensatz zu dem bisherigen Schutzverband neu formierte, hat nichts von ihrem dokumentarischen Wert und ihrer Brisanz verloren und ist gleichzeitig eine bleibende Erinnerung an sein Lebenswerk. Trotz komplizierter Quellenlage gelang ihm ein aussagekräftiger fundierter Überblick. Die VsS verstand sich „als verlässliche Stütze und als Sprachrohr der vom Faschismus unterdrückten und verfolgten Literatur“. (S. 72). Vor allem dem Andenken der ermordeten ehemaligen Mitglieder und deren literarischem Nachlass war diese Anthologie gewidmet. Aber auch wichtige Fakten zur österreichischen Literaturgeschichte in politisch bewegter Zeit werden erinnert. Beeindruckend ist schon allein die detaillierte Auflistung von 17 Veranstaltungen. Hinzu kommen vielfältige Veröffentlichungen der Mitglieder zu tagespolitischen Ereignissen in der sozialdemokratischen Presse und eine große Palette literarischer Arbeiten, die in einer Auswahl die Anthologie prägen. Über namhafte Mitglieder wird berichtet, wie den ersten Obmann Josef Luitpold Stern, der von Rudolf Brunngraber, in der noch am 4. Februar 1934 abgehaltenen Hauptversammlung nach dem statutengemafSen Rotationsprinzip abgelöst wurde; Stellvertreter wurden Oskar Maria Graf und Theodor Kramer, Schriftführer Falk Bersch Heinrich Steinitz. Als Vorstandsmitglieder sind protokollarisch verzeichnet Fritz Bartl, Lili Körber, Schiller Marmorek, Josef Luitpold Stern und Franz Trescher. Hoffnungsvoll und mutig berichtete noch am 10. Februar 1934 die Wiener Arbeiter-Zeitung über die Bilanz des einjährigen Bestehens der Vereinigung und schlussfolgerte angesichts der politischen Ereignisse: „Es wird zu den Aufgaben der Vereinigung gehören, in Zukunft ihre Stimme noch deutlicher gegen die Barbarei zu erheben.“ (S. 28). Doch bekanntlich gewann diese die folgenden blutigen Kämpfe und die Stimmen der Vernunft und Aufklärung gegen Krieg und Faschismus konnten lange Zeit nur aus dem Exil wirken — sofern ihre Protagonisten sich ins Ausland retten konnten. Die Tschechoslowakei unter der Regierung Tomäs Garrigue Masaryk (1850-1937) ermöglichte eine erste Zuflucht. Brünn/Brno, die Hauptstadt des Landesteils Mähren, wurde zu einer Art „Drehscheibe“ des antifaschistischen Exils. Nach den Februarkämpfen fanden hier u.a. Josef Luitpold Stern und Oskar Maria Graf eine neue Bleibe. Das in Brünn gegründete Auslandsbüro österreichischer Sozialdemokraten (ALÖS) unterstützte fortan auch die kulturpolitischen Aktivitäten der emigrierten Schriftsteller, bis der „Anschluss“ Österreichs und des Sudetenlandes an das Deutsche Reich und die nachfolgende Okkupation der’Ischechoslowakei Etwa 18.000 Juden flohen während der Zeit des Nationalsozialismus aus Deutschland, Österreich und anderen europäischen Ländern nach China. Für sie war dies oft die letzte Möglichkeit, dem Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten zu entkommen. Während andere Länder ab 1938 die Einreise von jüdischen Bürgern unterbanden, benötigte man für eine Reise nach Shanghai kein Visum, sondern nur ein Schiffsticket. Die meisten Flüchtlinge konnten dort, trotz Not und extremer klimatischer Bedingungen, den Holocaust überleben. Dem Ihema der Emigration europäischer Juden nach Shanghai wird erst seit ca. 25 Jahren vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Seitdem sind einige grundlegende Studien erschienen. Außerdem liegen inzwischen eine Anzahl biografischer Schriften vor. In Shanghai selbst war die Erinnerung an die Juden, die ab dem Jahr 1946 die Stadt wieder verließen, jahrzehntelang kein "Ihema. Das änderte sich in den 1990er Jahren, als im Stadtteil Hongkou ein Gedenkstein eingeweiht wurde und man in einer Synagoge das „Shanghai Jewish Refugees Museum“ errichtete, einen bemerkenswerten Ort mit sehenswerten 82 ZWISCHENWELT Ausstellungen. Noch sind in Hongkou bauliche Spuren des ehemaligen Ghettos zu finden, wenn auch Abriss und Neubau das ursprüngliche Shanghaier Viertel und damit das Zeugnis eines Stückes besonderer Geschichte nach und nach verschwinden lassen. Es ist jedoch zu begrüßen, dass nicht nur in Shanghai Anstrengungen unternommen wurden und werden, die Geschichte der Shanghaier Juden nicht zu vergessen. Dieses Ziel verfolgt auch das hier vorzu- |} stellende Projekt, = das von der Landes- & zentrale für politische % Bildung Mecklenburg-Vorpommern unterstützt wird. Die Geschichte der jüdischen Bevölkerung während der Zeit des Nazi-Regimes in den Regionen Mecklenburg und Pommern ist teilweise die aus Deutschland und Österreich 1933/1934 Vertriebenen zur erneuten Flucht zwang — die allerdings nicht immer gelang. Viele Jahre sind inzwischen vergangen und Spuren verwehten, was im Interesse der Täter lag. Aktuell geblieben sind die mahnenden Worte Bert Brechts: „Der Schoß ist fruchtbar noch... !“ Zum Nachdenken zwingen regelrecht die überraschend modern wirkenden Gedichte und kleinen Prosatexte, die nichts von der emotionalen Wirkung verloren haben angesichts des tragischen Schicksals dieser damit gewürdigten ehemaligen Mitglieder Adolf Unger, Walter Lindenbaum, Käthe Leichter, Adele Jellinek, Benedikt Fantner, Else Feldmann, Thekla Merwin. Solche Bücher wie die hier erinnerte Anthologie oder die Dokumentation über Brünn/ Brno 1933-1939 dürfen deshalb nicht in den Bücherregalen verstauben. Herbert Exenberger (Hg.): Als stünd’ die Welt in Flammen. Eine Anthologie ermordeter sozialistischer SchriftstellerInnen. Wien: Mandelbaum 2000. 284 S. Dora Müller: Drehscheibe Brünn. Deutsche und österreichische Emigranten 1933-1939. Brünn 1997. 116 S. Beide Biicher sind leider vergriffen! aufgearbeitet. Während für größere Ortschaften wie Rostock, Schwerin und Stettin publizierte Forschungsergebnisse vorliegen, fehlen jedoch für andere Orte wie z.B. für Wismar derartige Arbeiten. Die Forschungen zur Emigration von Juden insbesondere aus der Region Mecklenburg sind ebenfalls noch nicht abgeschlossen. In der regionalgeschichtlichen Literatur wird