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Der Rezensent als musikalisch interessierter Laie äußert sich hier nicht über die bis dato im Rahmen der Gesamtausgabe herausgegebenen musikalischen Werke Eislers, sondern ausschließlich über die bisher erschienenen zwei Bände seiner Briefe. (Die restlichen zwei Briefbände sind für die nächsten beiden Jahre in Aussicht gestellt.) Ausgaben von Briefen bedeutender Persönlichkeiten stoßen in der Regel über die fachlich mit den jeweiligen Personen befassten Menschen hinaus bei Laien auf Interesse, verbunden wohl nicht zuletzt auch mit einem Schuss Voyeurismus. Der im schlimmen Fall auf Klatsch stößt, welcher uns im Grunde nichts Neues erzählt. Aber positiv gewendet handelt es sich dabei auch darum, etwas Neues über die menschliche Natur zu erfahren, wie es Amos Oz kürzlich in einem Interview machte, als er Klatsch und Literatur als „zwei Cousins“ bezeichnete, die sich „auf der Straße begegnen, ohne einander guten Tag zu sagen, weil sie nicht als Verwandte erkannt werden möchten.“ (Der Standard, Album, 3.5.2014) So begegnet man bei der Lektüre der EislerBriefe naturgemäß auch solchem Klatsch und Tratsch, von Honorarstreitigkeiten bis zu den sogenannten Kleinigkeiten des täglichen Lebens. Aber wer jemals das von Eisler verfasste Libretto für seine im politischen Kleinkrieg verhinderte Oper „Johann Faustus“ gelesen hat, weiß, dass sein musikalisches Schaffen in großen Teilen literarisch geprägt ist. Das spiegeln auch seine Briefe wider, von denen im Zeitabschnitt des ersten Bandes leider nur vergleichsweise wenige erhalten sind. Beispielsweise aus dem Jahr 1929 nur zweian den Rechtsanwalt von Karl Kraus, in denen er von Berlin aus dem Fackel-Trager zur Seite steht, einen sozialdemokratischen Parteiangestellten und zugleich Mitarbeiter der Berliner Borsenzeitung zu Recht als ,,Schliaferl“ bezeichnet zu haben. Eisler schreibt, dieser mége sich statt zu klagen besser ,,bei Karl Kraus fiir die so nachsichtige, liebenswiirdig verzeihende Aeusserung ,Schliaferl® ... bedanken“. (Brief Nr.62) Darüber hinaus wäre auch für Nicht-Fachleute die aus beiden Bänden zu entnehmende überschwängliche Verehrung Eislers für seinen Lehrer Arnold Schönberg wohl frappierend, hätte man nicht anderswo schon mannigfache Hinweise darauf gefunden. Aber es hat halt seinen eigenen Reiz, schwarz auf weiß den Telegrammtext vom 13.September 1940 an Schönberg in Los Angeles zu lesen: All the best and heartiest wishes and greetings from your old admirer — Hanns Eisler. (Nr. 181) Natürlich ist es auch der Reiz der berühmten Namen, den solch eine Sammlung ausströmt — von Adorno über Chaplin und Feuchtwanger bis Zweig (Arnold). Aber als Nicht-Experte kann man auch überrascht werden — etwa von einem Zusammentreffen Hanns Eislers mit dem französischen Lyriker und Chansonnier Jacques Prevert im Jahre 1933 auf der slowakischen Seite der Hohen Tatra anlässlich eines dann nicht realisierten Filmprojekts. Oder von der Korrespondenz Eislers aus dem Jahr 1942 88 — ZWISCHENWELT im US-Exil mit dem Musikwissenschaftler und Komponisten Charles Seeger, von dem man dann im Kommentarteil lesen kann: „Vater des späteren Folk- und Protestsängers Pete Seeger“, letzterer gestorben zu Beginn des heurigen Jahres (Where Have All the Flowers Gone, We Shall Overcome, IfI Had a Hammer u.a.m.) Die HerausgeberInnen Maren Köster und Jürgen Schebera schreiben in ihrem Vorwort unter anderem: Die Briefe von Hanns Eisler sind — im Gegensatz zu den mit Blick auf die Nachwelt verfassten Briefen Brechts (dies wohl eine Übertreibung; K.W.) - in erster Linie Dokumente der alltäglichen Kommunikation. In ihnen findet sich nicht nur eine Ansammlung von biographischem Faktenmaterial, sondern sie geben darüber hinaus einen ungeschminkten Einblick in private, berufliche und politische Konflikte. Jeder Leser wird sich das in den beiden Bänden vorliegende Material je nach eigenen Vorlieben und Interessen zu Gemüte führen. Für mich selbst ist damit zumindest zweierlei Nutzen verbunden: Erstens ein Einblick in das Verhältnis eines der interessantesten Geschwister-Trios des 20.Jahrhunderts. Elfriede Eisler (= Ruth Fischer), die Älteste (Parteibuch-Nr.1 der KPÖ!) und innerparteilich (KPD) schon früh in feindseliger Gegnerschaft zu ihrem Bruder Gerhart, dann „Kronzeugin“ gegen die Brüder in den McCarthy-Ausschiissen der Nachkriegs-USA (siehe z.B. Mario Keßler: Fischer. Ein Leben mit und gegen Kommunisten. Wien u.a. 2013); der internationale lebenslange kommunistische Funktionär Gerhart Eisler (siehe Ronald Friedmann: Ulbrichts Rundfunkmann. Berlin 2007); und der Komponist Hanns als Jüngster, der den Bruder beständig Verteidigende und für die Schwester bis zuletzt Verständnis Aufbringende und zumindest laut den bisher publizierten Briefen bis 1943 in freundschaftlichem Kontakt Verbundene - ein Geschwistertrio als Paradigma des Kommunismus im 20. Jahrhundert. 1948 über die Gründe für die schwesterlichen Denunziationen befragt, soll Hanns Eisler geantwortet haben: „Vielleicht waren wir als Kinder nicht immer nett zu ihr.“ — Ich jedenfalls erwarte mit Spannung die restlichen beiden Briefbände 1952-1962. (Ruth starb 1961, Gerhart 1968). Lassen doch schon die jetzt vorliegenden auch außerfamiliär Spannendes erwarten — um nur drei Beispiele zu nennen: Die bisher publizierte Korrespondenz mit Otto Katz (= André Simone, hingerichtet nach Schauprozess in Prag 1952) oder Walter Janka (1956/57 in Berlin-Ost verhaftet und zu mehreren Jahren Zuchthaus verurteilt, 1960 entlassen und bis 1989 geächtet); oder, wie aus einem anderen Brief hervorgeht, die Beziehung zu dem Eisler unter anderem als Kurier und Transporteur zwischen Wien und Berlin dienenden Robert Havemann (Hausarrest ab 1964). Der zweite Aspekt, unter dem ich diese Briefsammlung mit besonderem Interesse gelesen habe, sind die daraus ersichtlichen Verhältnisse des Exils, beginnend mit Schwierigkeiten schon allein der halbwegs „Berühmten“ und erst Recht der angeblich „Unbedeutenden“, überhaupt Aufnahme in irgendeinem Land zu finden. Die häufig nicht nur anfängliche Orientierungslosigkeit in der Fremde, die Sprunghaftigkeit der Entscheidungen - nicht zuletzt auch, was die Rückkehr in die Heimatländer betrifft. So beispielsweise, wenn Hanns Eisler zugleich Vorbereitungen trifft, in den USA eingebürgert zu werden, als auch versucht, Pässe der Ischechoslowakei oder Österreichs zu bekommen. Bestürzend vieles, je nach Interesse und Bezug des Lesers. Zum Beispiel (Mai 1942): Über Brecht kann ich nichts besonderes mitteilen. Er ist unverändert. Wird von einigen Leuten erhalten. Arbeitet nichts, aufer Kleinigkeiten. (Brief Nr. 281 an seine Frau Louise Eisler) Soweit ich dies beurteilen kann, entspricht diese Gesamtausgabe der bis heute ausgeforschten Briefe Hanns Eislers nicht nur allen wissenschaftlichen Ansprüchen, sondern geht über diese oftmals dadurch hinaus, dass die Herausgeber bemüht waren, jeden einzelnen Brief auch für fachlich oder historisch weniger Versierte verständlich in das jeweilige historische Umfeld einzubetten. Der umfangreiche Kommentarteil umfasst in vielen Fällen ausführliche Zitate von Briefen, auf die der jeweilige Eisler-Brief Bezug nimmt, und erläutert diese auch noch gesondert. So entsteht nicht nur ein plastisches Bild des Eislerschen Umfelds, sondern auch einer Vielzahl jener Personen, mit denen er korrespondierte. Am berührendsten — auch im negativen Sinn - erscheint mir das der Korrespondenz zu entnehmende zwiespältige Verhältnis Eislers zu seinem (einzigen) Sohn Georg. Mit seiner Mutter, Eislers erster Ehefrau Charlotte (Demant), verbrachte der später bedeutende österreichische Maler Georg Eisler prägende Jahre seiner Jugend vom achten bis fast zum neunzehnten Lebensjahr im Exil, nach Moskau und Prag (ab 1936) von 1938 bis 1946 im englischen Exil (Näheres siehe z.B. Young Austria, OsterreicherInnen im britischen Exil 1938-1947. Wien: Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft 2014). Der den Vater bewundernde Jugendliche, der seit dem vierzehnten Lebensjahr nichts als Maler werden wollte, schreibt diesem (Briefzitat im Kommentar zu Brief Nr. 388) nicht nur positive und negative Kritiken der kurz zuvor in Hollywood entstandenen Filmmusiken des Vaters, sondern wird vom Vater auch nach Ende des Exils in erster Linie als finanzielle Last betrachtet und auf weite Strecken nur knausrig unterstiitzt. Das fällt in einem völlig anderen Zusammenhang unangenehm auf, nämlich als sich der Komponist bereits in der neu entstandenen DDR aufhält und dort, finanziell privilegiert mit Haus und Auto und kostenlosem Urlaubsdomizil versorgt, arbeiten kann. Da bagatellisiert er diese Annehmlichkeiten gegenüber einem im Schweizer Exil davongekommenen Bekannten und vergleicht sie mit dem US-Exil: Sie sprechen von der Privilegiertheit der Künstler in der DDR. Ich glaube, Sie machen sich Illusionen. Mein Freund Brecht, Anna Seeghers und