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obgenannten Sprachen wird auch die Intention der Herausgeber deutlich: Einerseits werden die historischen Sprachräume der Bukowina abgedeckt, andererseits wird durch die einleitenden Worte Andrei Corbea-Hoisies klar, dass dieses Buch einen Beitrag zur Aufarbeitung des rumänischen Holocausts in Rumänien selbst leisten soll. Durch die Übersetzung ins Englische sollen die Dokumente auch der international aufgestellten Holocaust-Forschung zugänglich gemacht werden und neue wissenschaftliche Aufarbeitungen in Gang bringen. In seinen einleitenden Worten setzt sich der Historiker Dieter A. Binder mit historischen, demographischen und kulturgeschichtlichen Aspekten der Bukowina auseinander und wirft einen Blick auf historische sowie neuere Publikationen zu Czernowitz und jüdischem Leben in der Bukowina. Der Literaturwissenschafter Corbea-Hoisie hebt in seiner Einleitung unter dem Titel „Es war Erde in ihnen, und sie gruben“ den Sonderfall des rumänischen Holocaust hervor, er verweist darauf, dass ab Mitte des Jahres 1942 über 90.000 Menschen aus der Provinz Czernowitz in die transnistrischen Lager deportiert wurden. In der Zeitspanne zwischen 1941 und 1944 starben 50.000 Bukowiner Juden und Jüdinnen in Transnistrien. Eindringlich betont Corbea-Hoisie, dass wir heute unter dem Begriff Shoah „die ungeheure Summe individueller Schicksale“ verstehen müssen. Archivakt F1061, inventar 1, dosar 1 und dosar 2 Die nachträgliche Herausgabe der gesammelten Briefe in Buchform zeigt an, dass der ursprüngliche Kommunikationszusammenhang zwischen Sender und Empfänger zerstört wurde. Die unüberbrückbare Kluft zwischen Deportierten und Gebliebenen wird durch die Abwesenheit der Antwortbriefe sichtbar, die Briefe erreichten ihre Adressaten nicht, sie landeten in den Händen der Gendarmerie am Bahnhof Czernowitz, so der Herausgeber. Gleichzeitig wird durch die Wiedergabe der Briefe in faksimilierter Form der Entstehungskontext sichtbar. So heißt es in dem Vorwort des Herausgebers: „[...] geschrieben in ängstlicher Hast auf irgendeinem Papierfetzen, der gerade ergattert wurde, sei es der Rand einer Zeitungsseite, sei es Packpapier, sei es die Rückseite einer Rechnung‘. Die Stimmen, die durch die Briefe erhalten geblieben sind, legen Zeugnis davon ab, dass auch unter den extremen Bedingungen in den Lagern keine verallgemeinernden Aussagen über die Erfahrungen des Einzelnen gemacht werden können. Generalisierende Aussagen über Lagererfahrungen erfolgten retrospektiv in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, die Archive hingegen bewahren die Stimmen aus dem unmittelbaren Geschehen selbst. Die Briefe machen deutlich, wie sehr Menschen gerade unter extremen Bedingungen Stabilität in Lebenszusammenhängen und Beziehungsgeflechten suchen und wie wichtig die Vorkriegsvergangenheit für das Überleben wird. In ihren Briefen versuchen die Deportierten an vergangene Zeiten anzuknüpfen, sie verweisen auf ihre gesellschaftliche Stellung, auf ihre berufliche Unentbehrlichkeit und auf militärische Ränge. Wie schon erwähnt, ist die Bandbreite der Briefe groß: Man richtet sich nicht nur an Familienangehörige, sondern auch an ehemalige Kollegen, Nachbarn, Vorgesetzte und andere Vertrauenspersonen. Diese Vielfalt spiegelt sich wider nicht nur in den unterschiedlichen Sprachen, in denen die Texte verfasst wurden, sowie den Registern, die von förmlich bis intim reichen, sondern auch vor allem in den unterschiedlichen sozialen Variationen der Sprachen. Manche Briefe sind schlicht Auflistungen dessen, was dringlich gebraucht wird und gerade deshalb interessant, weil hier klar wird, unter welchen Bedingungen die Menschen in den Lagern lebten: Medikamente gegen Typhus und Husten, Kleidung sowie warme Decken werden besonders oft erbeten. Aus einer großen Zahl der Briefe spricht die Enttäuschung über nicht erhaltene Antwortbriefe und nie angekommene Hilfspakete. Der Glaube an intakte Kommunikationswege ist vorerst noch groß, aber viele der hier versammelten Texte sind auch Zeugnisse der schwindenden Hoffnung und des schwindenden Vertrauens in die Welt außerhalb der Lager. Die Mehrheit der Sender verschwindet durch die Verwendung von Vornamen, Kosenamen und familiären Anreden in der Anonymität. Dass ihre Stimmen nicht ungehört verhallen und der Nachwelt erhalten bleiben, dazu trägt dieses Buch auf beeindruckende Weise bei. Marianne Windsperger Benjamin M. Grilj in Kooperation mit Serhij Osatschuk und Dmytro Zhmundyljak (Ag.): Schwarze Milch. Zurückgehaltene Briefe aus den Todeslagern Transnistriens. Innsbruck: Studienverlag 2013. 1077 S. Euro 62,90 In der seit Jahrzehnten vom Verlag De Gruyter herausgegebenen Reihe Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur ist heuer eine Studie der niederlandischen Literaturwissenschafterin Els Andringa über „Deutsche Exilliteratur im niederländisch-deutschen Beziehungsgeflecht“ erschienen. Andringa ist mit der Universität Utrecht verbunden und hat neben zahlreichen allgemeinen literaturwissenschaftlichen Publikationen auch bereits mehrere kürzere Untersuchungen zu dem nun ausführlich behandelten "Thema vorgelegt. Ihr neues Werk beschränkt sich nicht aufdie Exiljahre im engeren Sinn, sondern behandelt auch die Nachgeschichte und Rezeptionbis in die Gegenwart, was auch im Untertitel („Eine Geschichte der Kommunikation und Rezeption 1933-2013“) angegeben wird. Dadurch erschließt Andringa in überzeugender Weise erstmals Perioden, die zu einer vollständigen Beschreibung der Rolle der deutschsprachigen Exilliteratur in den Niederlanden gehören, die jedoch bisher kaum behandelt wurden. „Auch Briefe waren im Exil“ nennt die Autorin einen Abschnitt, womit sie nicht nur darstellt, 90 ZWISCHENWELT wie sehr die Korrespondenzen der Exilautoren in mehrfacher Hinsicht relevante Quellen darstellen — sie verwendet diese Quellen auch in ausgezeichneter Weise. Sie präsentiert zahlreiche Briefe — etliche davon werden hier zum ersten Mal veröffentlicht oder als Einstieg in einen Abschnitt zitiert. Ihre Darstellung wird dadurch lebendig und überzeugend, gehaltvoll und zugleich angenehm zu lesen. Andringa widmet zurecht auch ausführliche Darstellungen den Literaturvermittlern, v.a. dem niederländischen Kritiker Menno ter Braak, den für die deutschsprachige Exilliteratur so wichtigen Verlagen Querido und Allert de Lange sowie deren bedeutenden Vertretern Fritz Landshoff und Walter Landauer (wobei Landauer vielleicht weniger detailliert behandelt wird, als er es verdiente). Auch wird die niederländische Literaturszene, soweit sie fiir das Thema relevant ist, klar dargelegt, die Rolle von Ubersetzern und Rezensenten erläutert, deutsch-niederländische Verflechtungen der Literaturszene und Netzwerke werden beschrieben. Vor allem aber leiten zahlreiche Fallbeispiele von Schriftstellern durch die Perioden der Vorgeschichte (bis 1933), der Zeit der niederländischen Exilverlage (1933-40), der Periode des Zweiten Weltkrieges in den Niederlanden (1940-45) sowie der Nachkriegsgeschichte bis in „Spuren in der Gegenwart“ (Titel des letzten Abschnittes). Unter den allesamt interessanten Ausführungen über Autoren im behandelten „Beziehungsgeflecht“ befinden sich Joseph Roth, Stefan George, Andreas Latzko, Stefan Zweig, Thomas und Klaus Mann, Alfred Döblin, Leopold Schwarzschild, Gina Kaus und Irmgard Keun, Adrienne Thomas und viele andere. Es gibt auch einige Schwachstellen. Die Autorin bringt bei kürzeren Zitaten ganz bewusst niederländische Texte nur in deutscher Übersetzung, eine Entscheidung, die man bedauerlich finden kann. Dankenswerterweise werden bei längeren Zitaten aber schon die Originaltexte wiedergegeben. Wie sehr jede Übersetzung auch (subjektive) Interpretation sein kann, sieht man an der stellenweise ungewöhnlichen Übersetzung eines Briefes der niederländischen Kritikerin Augusta de Wit (S.160-61 bzw. 168). Els Andringas Deutsch ist makellos, nur an