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Martha Keil „ein mentsch sein“ Ein paar Worte über Manfred Wieninger In der Jugendstil-Synagoge von St. Pölten wurde am 2. Oktober 2014 Manfred Wieningers Roman in Dokumenten „Die Banalität des Guten. Feldwebel Anton Schmid“ präsentiert. Martha Keil sprach einleitend namens des gastgebenden Instituts für jüdische Geschichte Österreichs. Sie konnte Gemeinderat Kainz in Vertretung von Bürgermeister Stadler, Stadträtin Nesslinger in Vertretung von Vizebürgermeister Adl begrüßen. Maria Harpner las aus dem Buch, Konstantin Kaiser führte ein Gespräch mit Manfred Wieninger. Die Theodor Kramer Gesellschaft, 1984 gegründet, widmet sich seit 1987 dem Schwerpunkt Exilliteratur, wobei ihr der kritische Blick der Exilliteraten auf Österreich besonders wichtig ist. Derzeit hat sie 500 Mitglieder in aller Welt. Seit 2001 verleiht die Gesellschaft den Theodor Kramer-Preis für Schreiben im Widerstand und Exil, 2013 ging er an Manfred Wieninger. Diese Verleihung ist die Verbindung zur heutigen Buchpräsentation von Manfred Wieningers neuem Buch, eben erschienen im Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft. Manfred Wieninger könnte seinen Werdegang viel witziger formulieren, Sie können sich auf seiner einladenden schwarzen Website selbst davon überzeugen. Nach Karrieren als Kaminleger, Verschubarbeiter, Reiseleiter, Lokal- und Sportjournalist schloss er 1998 sein spätberufenes Studium der Deutschen Philologie mit Auszeichnung ab. Ob damit in Zusammenhang steht, dass ein Jahr später sein erster Marek-Miert-Krimi erschien, „Der Dreizehnte Mann“, entzieht sich meiner Kenntnis. Inzwischen sind es sieben in dieser Reihe, wenn ich richtig zähle. Den Theodor Kramer Preis erhält man allerdings nicht für gute Krimis, sondern, ich zitiere die Website der Kramer-Gesellschaft, „für Schreiben im Widerstand und im Exil. Gewürdigt werden soll mit ihm nicht die literarische Qualität allein, sondern darüber hinaus die Haltung und das Schicksal der Preisträgerin oder des Preisträgers“. Manfred Wieninger ist, soweit ich das sche, der erste (ich korrigiere: der zweite) Preisträger, der als Nachgeborener weder im Widerstand noch im Exil schreibt. Der Preis würdigt also nicht sein Schicksal, sondern umso mehr seine Haltung. Er steht in einer Reihe illustrer Preisträger wie Milo Dor, Georg Stefan Troller oder Ruth Klüger, um nur drei der insgesamt 14 zu nennen. Dass Wieninger auch in seinen Krimis mit seiner Haltung nicht hinter den Berg hält, erkennt der werte Leser, die werte Leserin bereits nach wenigen Seiten. Marek Miert zeigt seine politische Gesinnung und seine hinter großem Grant verborgene tiefe Menschlichkeit so klar wie sein Erfinder. Sie äußert sich in kompromisslosem Antifaschismus, im Auftreten gegen NS-Gedankengut, Vorurteile, Diffamierung und gegen die Verherrlichung böser alter Zeiten, wo immer sie ihm begegnen. Manfred Wieninger befindet sich, was seine Recherche betrifft, auf dem fachlichen und methodischen Level eines ausgezeichneten Historikers. Dass er die recherchierten Fakten auch noch gut vermitteln kann, ist in unserer Geschichtszunft schon nicht mehr selbstverständlich. Der dritte Aspekt, die verdrängten Anteile der Geschichte, in diesem Fall von Niederösterreich und St. Pölten, buchstäblich aus dem Grab zu holen, macht ihn für diese Stadt unschätzbar. Es ist nebenbei erwähnt sehr schön, dass er einen Teil dieser Recherchen als Beamter des Magistrats St. Pölten durchführen konnte. Die große und bedeutende Zusammenarbeit mit unserem Institut begann 2004 mit der Entdeckung der bis dahin buchstäblich zugeschütteten Existenz eines Zwangsarbeitslagers in Vichofen, unter den heutigen Paderta-Seen. Ab 22. September 1944 waren dort 122 ungarische Jüdinnen und Juden, darunter Kinder und alte Menschen, als ZwangsarbeiterInnen eingesetzt. Zwischen dem 2. und 5. April 1945 wurden sie Richtung Mauthausen getrieben, ihr weiteres Schicksal ist bis dato unbekannt. Manfred Wieninger hat die Unterlagen des Bauamtes gehoben, aus denen hervorging, dass diese Menschen fiir die Traisenregulierung schuften mussten. 16 jüdische Lagerinsassen konnte er namentlich erfassen, darunter neun noch in Viehofen ums Leben gebrachte. Er publizierte Aufrufe in den niederösterreichischen Zeitungen, interviewte Anrainer und Zeitzeugen, einer legte sogar eine Skizze der Baracken an. Sie können oben auf dem Chor in unserer Dauerausstellung eine Informationstafel zum Lager sehen. 2006 erschien die Ernte dieser detaillierten zeitintensiven Recherchen — Eleonore Lappin, Susanne Uslu-Pauer, Manfred Wieninger, „Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Niederösterreich 1944/45“, erschienen in der Reihe des Instituts für Landeskunde von Niederösterreich, St. Pölten. Weitere Beiträge verfasste Wieninger z.B. für die „Stadtgeschichte St. Pölten 1945 — 1955. Geschichte(n) einer Stadt“ (hg. vom Kulturamt der Stadt St. Pölten, St. Pölten 2005), „Holocaust vor der Haustür. Bisher unbekanntes Zwangsarbeitslager für ungarische Juden in St. Pölten entdeckt“. Tausende ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen sind in den letzten Kriegsmonaten auf den Todesmärschen zugrunde gegangen, die Durchzugsrouten in Niederösterreich und der Steiermark sind noch heute gesäumt von Massengräbern. 223 Leichen der Opfer des Massakers von Hofamt Priel bei Ybbs Persenbeug am 2./3. Mai 1945 wurden auf den Jüdischen Friedhof St. Pölten überführt. Diese Gräuel hat Manfred Wieninger in seinem Buch „Das Dunkle und das Kalte. Reportagen aus den Tiefen Niederösterreichs“ und in „223 oder Das Faustpfand . Ein Kriminalfall“, 2012 im Residenz Verlag erschienen, festgehalten. Eine der bisher umfangreichsten Recherchen von Manfred Wieninger war mir ein ganz besonderes Anliegen, weil ich es nur schwer ertrage, wenn Opfer namenlos verscharrt und somit dem Gedenken ihrer Angehörigen und dem kollektiven Gedächtnis entzogen sind. Durch die Totenscheine der neun in Viehofen zu Tode gebrachten ungarischen Juden stießen wir auf das Massengrab Gruppe VIam Stadtfriedhof St. Pölten. Darin liegen ohne Grabstein, nur unter einer Grasfläche mit einer Reihe von einfachen Betonkreuzen ukrainische, kroatische, serbische Zwangsarbeiter, Juden, sudetendeutsche Flüchtlinge und deutsch-rumänische Aussiedler, italienische und russische Kriegsgefangene, Insassen des hiesigen Altersheims, ein polnischer Stabsfeldwebel, einige Plünderer und andere, die, ich zitiere Manfred Wieninger, „zu November 2014 5