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weit entfernt, nicht nur räumlich, sondern auch in der Zeit. Die zionistische Bewegung begann sich erst zu organisieren. Sie hatte weder Grundbesitz noch finanzielle Erträge und auch kein Geld für Investitionen. Und zweifache Loyalitäten gestalten sich nicht so schwierig, selbst heutzutage: Man kann eine schr loyale Irin, Italienerin oder Jüdin sein und gleichzeitig amerikanische oder australische Patriotin. Meine Mutter bekam also wahrscheinlich das Beste aus drei Welten. In ihrer Jugend lebte die Familie mehrere Male über eine längere Zeit in England, einmal sogar ein ganzes Jahr. Sie eignete sich also ohne größere Anstrengung eine dritte Sprache an. Das Leben in Wien zu Beginn des vorigen Jahrhunderts war für das Bürgertum schr angenehm. Meine Mutter immatrikulierte sich an der Universität und setzte ihre Studien fort, bis sie meinen Vater heiratete. Ich vermute, alle lebten damals mehr oder weniger glücklich, bis 1914 der Krieg ausbrach. Es müssen an die zweihundert enferntere Familienmitglieder gewesen sein, die in Österreich lebten — Cousins und Cousinen zweiten und dritten Grades eingeschlossen. Abgesehen von meinem Großvater, kannte ich allerdings niemanden wirklich gut. Eine meiner Großtanten muss ich aber erwähnen, da sie ohne Zweifel mehr für ihre Wahlheimat getan hat als wir anderen zusammen. Sie war auch mit Abstand die meistgehasste Person unserer Familie. Ihr Name war Henrietta Weiss. Sie hatte anscheinend aus Liebe geheiratet und verlor ihren Mann, der an Tuberkulose starb, während der Schwangerschaft. Ihr kleine Tochter starb im Alter von nur einem Jahr an Diphterie — ein halbes Jahr, bevor das Gegenmittel auf den Markt kam. Menschen gehen mit unterschiedlichen Katastrophen unterschiedlich um. Yetty, wie sie genannt wurde, beschloss, etwas dagegen zu unternehmen. Gegen Diphterie musste man nichts mehr unternehmen, das hatte schon Dr. Ehrlich getan, und die Gefahr war gebannt. Lungentuberkulose, die in Österreich gehäuft auftrat und sich während der Hungersnot nach dem Ersten Weltkrieg zur Epidemie entwickelte, stellte allerdings noch immer eine große Gefahr dar, und es war dringend notwendig, etwas dagegen zu tun. Ich habe selbst nie Unternehmungen im großen Stil betrieben, darum weiß ich auch nicht, wie Tante Yetty es anstellte, aber sie war erfolgreich. Sie war nicht arm, aber sie hat schnell verstanden, dass Millionen und Abermilionen sowie die aktive Unterstützung der ÄrtztInnenschaft und der betroffenen Regierungsressorts vonnöten sein würden. Sie bekam, was sie wollte, wurde dafür aber nicht gerade geliebt. Sie wusste, dass nicht nur arme Menschen von Tuberkulose Teddy Arnold Das Haus am Pu-Eck Nein, ich kann dorthin nicht zurück. Niemand kann jemals dorthin zurück. Denn das Leben ist ein Fluss, Kein Überschwemmungsgebiet, Ein Fluss in eine Richtung. In dem Jahre des Herrn 1933 Lebte ich im Haus am Pu-Eck. Eigentlich war's an der Ecke von Auerspergstraße und Schmerlingplatz, betroffen waren. Also errichtete sie das (zu ihrer Zeit) sehr bekannte Sanatorium Breitenstein am Semmering und machte es zum Inbegriff der Medizin und des Luxus. Sie wurde außerordentlich reich, behielt aber nichts davon für sich: Sie ließ die Reichen für die Behandlung der Armen aufkommen. Ich denke nicht, dass sie viel Probleme mit der ÄrtztInnenschaft hatte. Sie alle wussten nur zu gut, dass auf jeden nicht behandelten Kranken weitere folgen würden. Was die Bürokraten betrifft, so waren sie Tante Yetty nicht gewachsen. Sie hassten sie, aber halfen ihr. Ihr Spitzname in Regierungskreisen war „Die Dampfwalze“. Das riesige, von der Regierung gebaute Sanatorium in Alland entstand auf ihre Initiative und wurde teilweise mit ihrem Geld errichtet. Zwei weitere Institutionen dieser Art forcierte sie über Regierungswege. Sie besaß eine unglaubliche Energie und ihr Denken war einzig auf diesen Bereich gerichtet. Ich kann mich nicht an ihr Gesicht erinnern, aber sehr wohl an ihre Stimme: heiser, beinahe krächzend, mit einem Tonfall, der zwischen übertriebener Sentimentalität und Sarkasmus schwebte. Wenn ihr jemand etwas sagte, das ihr nicht gefiel, beendete sie das Gespräch mit einem berühmten Wort: „Bemerkenswert!“ Als solches ein harmloses Wort. Aber durch den besonderen Ion ihrer Stimme klang es wie ein schrilles Trompetensignal: „Du verfluchter Lügner!“ Tante Yetty, sie war nicht beliebt. Tante Yetty linderte die Beschwerden und verlängerte das Leben Zehntausender an dieser gefürchteten Krankheit leidender Menschen. Sie verhinderte, und das ist wahrscheinlich noch wichtiger, die Infektion Hunderttausender durch Einweisung jener Menschen, die schon an Tuberkulose erkrankt waren. Ich glaube, kein lebender Österreicher hat je von ihr gehört. Teddy Arnold Teddy Arnold (1914 — 2002). Er veröffentlichte 1981 den Gedichtband „Design problem and other poems“. Er war Mitglied der „Voices Israel Group of Poets in English“ Dan Arnolds Mutter war die Lehrerin am Chajesgymnasium, Journalistin und Übersetzerin Paula Arnold (1885 — 1968). Paula Arnolds Schwester Dora Sophie (1890 — 1964) war in erster Ehe mit dem Journalisten Max Pollak und ab 1917 mit Walter Benjamin verheiratet. Paula und Dora waren die Töchter des Wiener Anglisten und Wegbegleiters von Theodor Herzl Leon Kellner (1859 Tarnow — 1928 Wien). EA. in Wien, Österreich, Bald schon aufgenommen In ein tausendjähr’ges Unternehmen. Ich war groß, gesund, ein Geck, Wie die Made im Speck und allzu keck. Ein ach so schlauer Brillanter Schüler: Auf alle schwierigen Fragen, Integral, Philosophie, Politik, November 2014 9