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diesem Alter keinen Ehemann mehr finden würde. „Wenn man älter ist, wird man kritischer und wählerischer.“ Das war wirklich ihre Begründung. Es sei doch gut, kritisch und wählerisch zu sein, immerhin sollte man mit der Person, die man heiratet, den Rest des Lebens verbringen, entgegnete ich. Savta Lea konnte meiner Aussage nicht folgen. Ich ging in mein Zimmer, diesmal nicht, um zu weinen, sondern einfach, um nachzudenken. Savta Lea hatte mir auch erzählt, wie sie sich in der Nacht nach der Hochzeit schlafend gestellt hatte, als Zoli zu ihr ins Schlafzimmer kam. Sie erklärte mir, dass solche Dinge Zeit brauchten, man müsse sich erst kennenlernen, bevor man miteinander Sex haben könne. Ich wunderte mich darüber, in was für einer verdrehten Welt Savta Lea lebte. Für eine Hochzeit müsse man sich nicht kennen, es brauche nicht einmal Liebe. Es brauche nur ein Versprechen auf ein besseres Leben und der Rest käme mit der Zeit. Eine Woche nach dem Streit über die Spaghetti mit Fleischsauce verlobte sich meine Cousine Michal. Savta Lea und Saba Zoli diskutierten, was sie über die Eltern von Michals Verlobten Ina Ricarda Kolck-Thudt wussten. Der Vater sei aus Polen, die Mutter aus Litauen. „Ist doch nicht wichtig“, sagte Savta Lea und ich war überrascht, in der Erwartung, sie würde etwas sagen wie: „Hauptsache ist, Michal versteht sich gut mit ihnen.“ Aber Savta Lea sagte: „Ist doch nicht wichtig, Hauptsache ist, sie haben Geld.“ Am selben Tag, an dem sich meine Cousine Michal verlobte, machte meine Freundin mit mir Schluss. Wir hätten sowieso nie geheiratet, dachte ich, und ich weinte, als ich an den Brautmodegeschäften in der Dizengoff-Straße vorbeiging. Maya Rinderer, geb. 1996 in Dornbirn, wuchs zweisprachig auf (Deutsch und Hebräisch) und begann schon früh mit dem Geschichtenerzählen. Erste Gedichte mit sechs Jahren, ein erstes Kinderbuch mit acht. Ihr Roman „Esther“ wurde 2011 im Bucher Verlag, Hohenems, veröffentlicht. Jurypreis des Irseer Pegasus, Preisträgerin des Hildesheimer Lyrik-Wettbewerbs, Arbeitsstipendium des Landes Vorarlberg und Aufenthaltsstipendium in Paliano (Italien) des Landes Vorarlberg. Ihr Lyrikband „An alle Variablen“ erschien im Juni 2013. Zehra Gyrak - ein Porträt Die Dichterin Zehra Cyrak wurde 1960 in Istanbul geboren. Ihre Familie übersiedelte 1963 nach Deutschland, genauer Karlsruhe, wo Cyrak zweisprachig aufwuchs. Sie begann mit etwa fünfzehn Jahren Gedichte in ihr Tagebuch zu schreiben, und zwar vornehmlich auf Deutsch, damit, wie sie einmal gesagt hat, die Eltern diese nicht lesen konnten. Mit siebzehn machte sie eine Lehre als Kosmetikerin. In dieser Zeit lernte sie außerdem den 1940 geborenen Objektkünstler Jürgen Walter kennen und, nach ein paar Jahren, lieben. Er war es auch, der die angehende Dichterin dazu ermutigte, ihr Talent ernst zu nehmen. Die beiden zogen 1982 nach Berlin, wo sie später heirateten und bis zu Jürgen Walters Tod im Sommer dieses Jahres zusammen lebten. Nach anfänglichen Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien erschien 1987 Cyraks erster Gedichtband „Hugfänger“ in der“edition artinform“, dem Verlag der Karlsruher Galerie Hansmann, wo Jürgen Walter regelmäßig ausstellte. Von ihm stammen auch die farbigen Flachdruckgrafiken und die Originalzeichnungen, mit denen das äußerlich schlicht gestaltete, hellblaue Buch im A4-Fomat versehen wurde. Heute ist es leider nur noch schwer erhältlich und wird im Internet als teures Sammlerstück gehandelt. Für „Augfänger“ erhielt Gyrak im selben Jahr (und 1992 ein weiteres Mal) das Arbeitsstipendium vom Senat für kulturelle Angelegenheiten in Berlin. Darauf folgte 1989 der Förderpreis des Adelbert-von-Chamisso-Preises, den die Robert-Bosch-Stiftung, wie es damals noch hieß, an „herausragende, deutsch schreibende Autoren nicht deutscher Muttersprache“ überreichte (heute: „herausragende auf Deutsch schreibende Autoren, deren Werk vom Kulturwechsel geprägt ist“). Damals wurden Gyrak einerseits eine willkommene Auszeichnung und verstärkte Aufmerksamkeit zuteil, andererseits aber auch die Wahrnehmung als Literatin, deren Texte hauptsächlich um Migration und das Leben zwischen zwei Kulturen kreisen, womit man dem Werk dieser bemerkenswerten Autorin jedoch kaum gerecht werden kann. Zehra Cyrak selbst beschreibt diese Irritation so: „Als ich aufwuchs habe ich gar nicht gemerkt, dass ich ein Mensch mit Migrationshintergrund bin. Von mir aus wäre ich nie auf den Gedanken gekommen mich mit diesem Thema zu beschäftigen, weil es für mich persönlich gar kein Thema war.“ Erst als sie Anfragen erreichten, etwa jene, bei einer Anthologie für Türken deutscher Sprache oder bei einer Konferenz zum Thema „Kulturidentität“ mitzuwirken, verfasste sie dazu ein paar Gedichte, die sie heute gewissermaßen als „Pflichtübungen“ sicht. Dass in Zeitschriften meist genau diese zitiert wurden, empfand sie als „eher beschränkt“ von Seiten der Journalisten. Manche dieser Texte wurden noch mit in ihren nächsten Gedichtband „Vogel aufdem Rücken eines Elefanten“ aufgenommen, den sie 1991 ebenso wie ihre zwei folgenden Bücher bei Kiepenheuer und Witsch (damals noch in Köln) veröffentlichte. Mit „BOSPORUS FLIESST IN MIR“ ist darin ein Kapitel Überlegungen zur eigenen Herkunft gewidmet. Das Gedicht „DOPPELTE NATIONALITÄTSMORAL“ etwa beginnt wie folgt: „Die Socken/ rot mit weißem Stern im Sichelmond/ die Schuhe schwarz rot gold/ für viele ist es/ wie ein warmer Fuß/ im kalten Schuhwerk/ für andere/ ein Doppelknoten/ in einem/ nur schniirsenkellangen Leben [...]“. Auf der letzten Seite des Bandes, in einem kurzen Prosatext mit dem Titel „KULTURIDENTITÄT“, räumte die Autorin außerdem mit Fremdzuschreibungen im wahrsten Sinne des Wortes auf: „Ist das etwas, womit ich mich wiedererkenne, oder ist das etwas, womit andere mich November 2014 17