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in jeder öffentlichen Bibliothek die Verfassung ihres Landes steht und schäme mich, wenn ich ihnen nicht dienen kann. Allerdings hat noch nie ein Österreicher hier die Verfassung unseres Landes verlangt.“ Nein, weder die Verfassung, noch das Problem wie die Meinungen von Minderheiten zu bewerten sind - ob man sie untergehen lassen oder vielmehr aufbewahren sollte, weil sie später möglicherweise von Nutzen sein könnten - interessieren die Österreicher. Nach dem Krieggab man in den Sektionen Unterhaltungsabende („Wien der Abende“) und selbst die so notwendige Aufklärung über die Hitlerzeit, die Veröffentlichungen und Symposien über die Geschichte der Arbeiterbewegung, so wertvoll sie sind, sie haben Studien über die Demokratie und Aufklärungsvorträge darüber außer Acht gelassen. Dasselbe ist an unseren Schulen zu bemängeln. Darf es vorkommen, daß junge Leute in einen Genossenschaftsbau einziehen, ohne eine Ahnung vom Wesen einer Genossenschaft zu haben und daher auch nicht bereit sind, als Delegierte, wie es das Gesetz vorsieht, die Interessen ihrer Mitbewohner zu vertreten? Daß Betriebsräte das Betriebsrätegesetz nicht kennen? Fragt man sie, ob sie denn in der Schule nichts davon gehört hätten, so lautet die Antwort „nein“. Weder die Schule, noch die Volksbildung haben sich die Erziehung zur Demokratie angelegen sein lassen. Aber daß auch die Bildungsorganisation der Sozialdemokratischen Partei hierin versagt hat, ist schlimm. Es wäre allerdings eine weit schwierigere Adele Jellinek Die sittlichen Werte des Sozialismus Eine Antwort an Prof. Foerster! In seiner Stellungnahme zu den sozialen und kulturellen Werten des Bolschewismus berührt Fr. W. Foerster eines der wichtigsten psychologischen Probleme des modernen Sozialismus, das weit über seine Bedeutung im Rahmen des Bolschewismus, auf welchen Prof. Foerster es allein bezicht, hinausreicht. Es ist jener begrifflich sich selbst aufhebende Widerspruch zwischen der mehr äußerlichen Statuierung des Sozialismus als gesellschaftstechnische und wirtschaftstechnische Ordnung, — des Sozialismus, der ja Gemeinschaftlichkeit in Arbeit und Leben bedeuten sollte - und den weiterbeharrenden, primitiv-rohen unsozialen Antrieben der Menschen, die seine Träger sind. Diktatur in der konsequentesten Folgerung dieses Begriffs ist jede Einsetzung einer sozialistischen Gesellschaftsform, deren sozialer Charakter sich nicht mit den wirklichen Antrieben im Wesen der Menschen deckt, — in welcher die gesellschaftlichen Akte und Handlungen, nicht aus einer inneren, sittlichen Umwertung, aus dem Gefühle einer wirklichen Solidarität und Mitverantwortlichkeit hervorgehen, sondern gleichsam automatisch aus dem sozialen Charakter der Einrichtungen selbst erfließen sollen. In solchem Falle wäre der Sozialismus nur äußere Vergesellschaftung, ein gesellschaftstechnischer und wirtschaftstechnischer Mechanismus. Jede Einsetzung einer sozialen Gesellschaftsform ohne wirkliches Mitwollen der Massen bleibt ein äußerliches Aufzwingen, aber auch ein solches Mitwollen der Massen kann vorhanden sein, ohne daß man von wirklich freien Antrieben des Sozialismus 36 ZWISCHENWELT Aufgabe gewesen als die Vermittlung einer Ideologie. Wien, 30. September 1992 Henriette Kotlan-Werner, geb. 1910 in Wien, studierte Germanistik und Anglistik. Als sie schon ihr Philosophicum abgelegt hatte und vor den Hauptrigorosen (Prüfungen zur Erlangung des Doktorgrades) stand, wurde sie am 7. Jänner 1937 wegen illegaler politischer Betätigung für die im „Ständestaat“ verbotene Sozialdemokratie verhaftet und verbrachte drei Monate im Polizeigefängnis, sechs Monate als Untersuchunsgshäftling im Wiener Landesgericht. Im Oktober 1937 bedingt aus der Untersuchungshaft entlassen, emigrierte sie nach Prag und dann nach London, wo sie ein Jahr lang Sekretärin des London Büros der österreichischen Sozialisten war. Nach dem Krieg arbeitete sie als „Labor-Editor“ in der Gewerkschaftsabteilung der den MarshallPlan in Österreich abwickelnden ECA-Mission in Wien, dann als Journalistin und Übersetzerin bei der Konsumgenossenschaft. Henriette Kotlan-Werner schrieb Artikel und Feuilletons für „Arbeiter-Zeitung‘, „Die Frau“, „Arbeit und Wirtschaft“ und verschiedene Gefwerkschafis- und Genossenschafisblitter. Buchpublikationen: Triumph der Selbsthilfe. 100 Jahre Konsumgenossenschaft (Wien 1965); Kunst und Volk. David Josef Bach 1874 — 1947 (Wien 1977); Kanitz und der Schönbrunner Kreis. Die Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Erzieher 1923-1934 (Wien 1982). In MdZ 14/4 erschien, kurz nach ihrem Tod am 26.Dezember 1997, die Erzählung „Jiddisch — eine Gefängniserinnerung aus der Dollfußzeit“. Ihre Erinnerungen an die Bildungsorganisationen der SDAP schloss sie 1992 ab. sprechen kann: so, wenn die große Produktivkraft der kollektiven Lebensordnung in ihren individuellen Vorteilen erkannt und aus eben diesen Motiven angestrebt wird; — oder wenn die geistige Sphäre bestimmter Wertungen und Schlagworte eine gewisse geistige Gefolgschaft hervorbringt, ohne vollständiges Identifizieren mit diesen Anschauungen. Auch hier, wo die wirklich sozialen Antriebe fehlen, entsteht ein äußerliches Aufzwingen von sozialen Lebensformen, deren innere Antriebe nichts mit Sozialismus zu tun haben. Der Sozialismus, in seinem wahren Wesen, ist kein gesellschaftstechnischer Mechanismus, in welchem die Akte der sozialen Fürsorge und des sozialen Aufeinanderbezichens in Arbeit, Wirtschaft, Verwaltung, mechanisch aus dem Wesen der Einrichtungen - selbst hervorgehen, sondern sie müssen ihre Resonanz in dem gesellschaftlichen Denken, in dem wirklichen Gemeinschaftsgeist der Massen selbst finden. Sonst würden die alten rohen Mächte der Unsozialitat, der Selbstsucht, des individualistischen Aufsichbeziehens der Dinge, weiterhin zwischen seinen — Mauern wuchern und die alten gewahrten Rechte und Freiheiten wiirden dann gerade von den Unverfrorensten, Selbststichtigsten, von den unsozialsten Individuen zu ihrem Vorteil ausgenutzt werden. Der Sozialismus in solchem Sinne wiirde denn gerade die Vorherrschaft der sozial Minderwertigsten bedeuten; er ware der soziale Rahmen fiir den unsozialen Geist. — Sozialismus ist Vergesellschaftung, ist Eigentümerschaft der Gesamtheit, ist gesellschaftliches Planen, Arbeiten und Wirken für die Zwecke der Gesamtheit, ist die Ausweitung der kleinen