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Erziehung ist nur eine bestimmte Art der allgemeinen Vergesellschaftung des Menschen In der ganzen bisherigen Geschichte der Erziehungspraxis stand im Vordergrund eben nicht der Zögling und auch nicht der Erzieher, sondern die Gesellschaft mit ihren Bedürfnissen und Zwecken. Auf bestimmten Entwicklungsstufen wird dies den Menschen stärker bewußt, auf anderen verschwimmt diese Erkenntnis hinter den Nebeln der Ideologien Immer aber ist in Wirklichkeit der Zögling das Objekt, die Erziehung samt dem Erzieher Mittel der Gesellschaft, um die Menschen in den Rahmen der bestehenden Ordnung einzugliedern, einzubauen. Wehe der Gesellschaftsordnung, die dies nicht tut, oder der es nicht in genügendem Maße gelingt. Bei Strafe des Unterganges muß sie alle verfügbaren Kräfte dafür einsetzen. Denn die Gesellschaft ist ein Gefüge lebendiger Menschen, das nur bestehen kann, wenn die Menschen ihm eingepaßt werden. Und sie müssen so gründlich eingefügt werden, daß sie die Gesellschaftsordnung nicht nur erdulden, sondern auch selbst wollen, sie mit Herz und Hirn, durch Wille und Tat bejahen. So ist die Erziehung nur eine bestimmte Art der allgemeinen Vergesellschaftung des Menschen, und zwar jene Art der Vergesellschaftung, die, neben den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zwangsmitteln, wie etwa Hunger oder Strafe, den Menschen in der Entwicklung seiner inneren Kräfte erfaßt, um diese in die Maschen der bestehenden Ordnung einzuweben. (S. 20 £ ) Gesellschaftsinteresse und Einzelinteresse decken sich Haben wir eine solidarisch lebende, in gemeinschaftlicher Arbeit sich erhaltende und entwickelnde Gesellschaft vor uns, so ist es aus dem Leben dieser Gesellschaft heraus notwendig, daß ihre Mitglieder ohne willkürliche Unterscheidungen, ohne Vorrechte und Benachteiligungen, nur nach ihren verschiedenen natürlichen Anlagen und Fähigkeiten mit vollem Genuß- und Entwicklungsmöglichkeiten vergesellschaftet, also alle mit allen Kräften ihres Lebens dort in die Gesellschaft einbaut, wo sie sich am besten auswirken und damit auch der Gemeinschaft am besten dienen können. Die Erziehung wird auf niedrig organisierter Gesellschaftsstufe unmittelbares Erleben und Bewährenlassen schon der Kinder mitten in der schaffenden Gesamtarbeit sein und so ein organisches Hineinwachsen der Jugendlichen und auch der Älteren in jene Räume der Gesellschaft ermöglichen, in denen sie am meisten leisten können, was für die Zöglinge das subjektive Erlebnis eines hohen Wohlgefühles und Glückes mit sich bringen muß. Auf organisierter Stufe einer höchstentwickelten solidarischen Gesellschaft mit vollendeter Differenzierung und Integrierung, also ausgebildeter Arbeitsteilung und -zusammenfassung, wird dies alles ebenso, nur in vollkommen bewußter Planmäßigkeit, geschehen. In beiden Fällen wird die Menschenbildung nicht ein Zwang, also eine den Lebensdrang hemmende oder gar vergewaltigende Forderung der Gesellschaft, sondern im ersten Fall eine Erfüllung der Fähigkeiten und Lebenswünsche und im zweiten Falle darüber hinaus noch durch die Befreiung von der materiellen Schwere der Lebenserhaltung und ungeahnte Lebenserhöhung der Gesamtheit und damit jedes einzelnen sein. Natürliche und gesellschaftliche Lebensentwicklung, damit Entfaltung des Körpers, des Willens-, Verstandes- und Gefühlslebens verlaufen in harmonischer Einheit. Menschenbildung ist dann die Inanspruchnahme des ganzen Menschen mit allen seinen Fähigkeiten für die Gesellschaft, dabei aber zugleich gesellschaftliche Hilfe für die harmonische Hochentwicklung des einzelnen Menschenlebens. Gesellschaftsinteresse und Einzelinteresse decken sich. Menschenbildung wird von der Herrschaftsklasse nach ihren Bediirfnissen eingerichtet. Ganz anders muß die Menschenbildung in einer Gesellschaft sein, die in Klassen gespalten, innerlich zerklüftet, dadurch in Lebenserhaltung und -entfaltung auseinandergerissen dahinlebt, die die einzelnen Gruppen in gegenseitige Lebensbetätigungen des Geistes oder Körpers, in gelangweiltem Genuß oder leiderfüllte, endlose Arbeitsqualen drängt, die Herrschenden in macht und Luxus degenerieren läßt und die Unterdrückten in Verzweiflung und Revolten treibt. Solche Gesellschaftsordnungen, wie sie die historischen mit Privateigentum, an den Produktionsmitteln sind, werden zwangsläufig, um sich zu erhalten, auch in der Menschenbildung nur das Bild ihrer klassenhaften Gewaltordnung bieten können. Wie alles in der Klassengesellschaft, wird auch die Menschenbildung aller Gesellschaftsangehörigen von der Herrschaftsklasse nach ihren Bedürfnissen gewaltsam eingerichtet. Was sie für ihre Erhaltung und Herrschaft braucht, wird sie für gut erklären, was ihr schaden könnte, was sie fürchtet, wird sie als schlecht verdammen. Das „Gute“ wird sie als Ziel der Menschenbildung, als Bildungsideal aufstellen, das „Schlechte“ wird sie durch bestimmte Methoden der Menschenbildung auszurotten suchen. Die Menschen werden nun gute und schlechte Eigenschaften „von Natur aus“ haben, die außer durch die sonstigen gesellschaftlichen Zwangsmittel auch durch die Menschenbildung entwickelt oder ausgerottet werden müssen. Die Menschen werden zu „Menschenmaterial“ werden, das für die von der Herrschaftsklasse bestimmten Gesellschaftszwecke behauen, bearbeitet werden muß, aber auch dies nicht in einer für alle gleichmäßig gültigen November 2014 41