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Hedwig Rossi Vorspiel zu einem Gandhi-Drama Brunnen am Eingang eines Dorfes. Erster Bauer (er ist der jüngste, beweglichste, zum Dorfältesten): Unberührbare, Bapu! (Auf die Parias zu.) Was sucht ihr hier bei unserem Brunnen? Uka (erhebt sich, aber bleibt gebiickt): Wir haben nicht Wasser geschöpft, Ehrwürdiger. Ja, Uka und die Seinen plagt großer Durst! Aber wir haben nicht Wasser geschöpft. Erster Bauer: Wozu seid ihr hier? Uka: Wir erwarten den Mahatma. Zweiter Bauer (lachend): Hör einer an! Sie erwarten den Mahatma. Uka (kindlich, erwartungsvoll): Ja, der Mahatma! Er kommt hier am Brunnen vorbei, ehe er ins Dorf geht. Erster Bauer: Ebendarum sind wir da. Uka (sich verneigend, wie fast nach jeder Antwort): Und Uka und die Seinen, ja. Erster Bauer: Braucht der Mahatma euch? Uka: Wir brauchen ihn, Ehrwiirdiger. Dorfältester (ruhig, fast belehrend): Der Mahatma kommt heute zu uns. Er will in unserem Dorf die große Versammlung für Bardoli abhalten. Uka: Ja, Gehorsamsverweigerung wird beschlossen gegen die Engländer. Ja, Indien wird Swaraj bekommen. Erster Bauer: Was geht euch unser Swaraj an? Uka: Freiheit auch für uns, Ehrwürdiger. Auch wir werden kämpfen. Dritter Bauer (verhutzelt, mit einem klugen spöttischen Gesicht): Uka wird für uns kämpfen! Uka wird sich gegen die Kanonen der Engländer stellen. Nun kann uns nichts mehr geschehen. Dorfältester. Wie lange schon kämpfen wir gegen die englische Regierung! Gehorsamsverweigerung ist nur das letzte! Und seit uns der Mahatma führt ... Uka: Ja, drei Jahre führt uns der Mahatma. Nun sind wir vorbereitet. Dritter Bauer: Uka hat ein Waffenlager! Ist gerüstet gegen die Engländer! Erster Bauer: Ihr seid vorbereitet? Wozu könnt ihr vorbereitet sein? Uka: Zu leiden, Ehrwürdiger. Dorfaltester. Wie wollt ihr leiden für Swaraj? Habt ihr Grund und Boden wie wir? Müßt ihr dafür Steuern zahlen wie wir? Und könnt ihr diese Steuern der Regierung verweigern, wie wir es tun werden? Wie wollt ihr ungehorsam sein gegen die Gebote der Engländer? Uka: Der Mahatma hat seine Boten zu uns gesandt: Wir sollen kommen in die große Versammlung. Der Mahatma wird wissen ... Erster Bauer: Zu unserer Versammlung? Vierter Bauer (geheimnisvoll): Ich habe ein Bild des Mahatma gesehen. Sie haben es getragen in den Straßen von Bombay. Wie Gott Krishna war er gebildet. Er ist der Wiedergekommene. Wie kann der Wiedergekommene Unberührbare zu sich laden und die heiligen Gesetze brechen? Uka: Die Boten des Mahatma haben gesagt, für ganz Indien soll Freiheit werden. Erster Bauer: Freiheit für die, denen Indien gebührt! Uka: Ehe ihr kamt aus dem Abendland über die fünf Ströme, waren wir die Herren Indiens. Dorfaltester. Wie könntet ihr bestehen, wenn wir nicht wären und euch hinderten, euch gegenseitig zu zerfleischen? Erst müßt ihr reif werden, dann werden wir ... Erster Bauer: Sollen wir mit ihnen verhandeln und uns erklären? Wir befehlen, sie gehorchen. Uka: Der Mahatma ... Dorfältester. Geht heim. (Uka breitet die Arme nach rechts aus. Gandhi kommt von dort mit zwei Nationalistenführen. Gandhi hat die Brille abgenommen, reinigt sie in seinem Khaddar.) Ukea (sehnsiichtig): Mahatma. Gandhi: Ja, mein Kind. (Er gibt ihm die Hand, dann setzt er die Brille auf.) Erster Bauer (flüstert ihm zu): Unberiihrbare, Mahatma! (Die beiden Nationalistenführer haben indes dem Dorfältesten und den Bauern die Hände geschüttelt.) Gandhi (mit traurigem Erstaunen): Unberührbare für die Bauern in Bardoli? Es gibt noch immer Unberührbare in Bardoli? Dorfältester. Wir haben dir gehorcht, Erhabener. Wir erlauben ihnen, in unserer Nähe zu siedeln; wir lassen sie in unsere Erde Brunnen graben. Aber dieses ... Erster Bauer: Sie wollen bei der Versammlung sein! Mit uns Gehorsamsverweigerung beschließen! (Die beiden Nationalistenführer sind hinter Gandhi getreten und flüstern ihm zu.) Erster Führer: Ich bitte Sie ... Zweiter Führer. Mohandas! Geben Sie nach! Gandhi: Gehorsamsverweigerung kann nur mit den Parias beschlossen werden. (Bestürzung unter den Bauern und den Führern. Die Parias sind ängstlich und ziehen sich hinter den Brunnen zurück.) Erster Bauer (will auffahren): Mahatma! Dorfältester (drängt ihn beiseite): Erlaub’ uns, daß wir überlegen. (Er und die Bauern treten links zusammen.) Zweiter Führer: Das Schlimmste, was wir tun können! Wir brauchen die Bauern heute zur Steuerverweigerung. Wir müssen alles tun, um sie günstig zu stimmen. Wer weiß nicht, daß diese Unberührbarkeit ein abscheuliches Vorurteil ist? Sie können mir glauben, ich leide unter dieser Ungerechtigkeit, aber in dieser Stunde ... Erster Führer. Liegt dem Mahatma an der Beseitigung dieser Ungerechtigkeit oder an der Durchführung des Massenungehorsams? Zweiter Führer: Wir dürfen uns nicht mit Kleinigkeiten aufhalten lassen, da wird den politischen Erfolg so nötig haben! Später einmal ... Gandhi (vor sich hin): Immer noch Unberührbare in Bardoli! In meinem Lande Bardoli immer noch Unberührbare ... Dorfältester (tritt auf sie zu): Wir ehren den Wunsch des November 2014 45