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Mahatma. Wenn er eine Versammlung für die Unberührbaren halten will, so stellen wir ihm unseren Gemeindeplatz zu Verfügung — nachher, wenn unsere Versammlung vorüber ist. Gandhi (wendet sich wortlos ab und geht auf die Parias zu, die hinter dem Brunnen stehen. Im Vordergrund bleiben rechts die Führer, links die Bauern). Zweiter Führer. Was wird er tun? Erster Führer. Wissen Sie noch immer nicht, daß er unberechenbar ist? Zweiter Führer. Er wird durch seinen Eigensinn alles vereiteln. Erster Führer. Die Idee zum Massenungehorsam ist von ihm ausgegangen. Zweiter Führer (erregt): Das ist es ja! Er kann das Richtige erkennen, aber er kann es nicht durchführen. Er kann keine Revolution machen! Erster Führer. Ganz richtig. Die Revolution machen wir. Er ist die Revolution. Zweiter Führer. Ein Mann des Friedens, der vor jeder Gewalttat zittert! Erster Führer. Weil er den Frieden braucht, um ruhig wachsen zu können. Und er muß nur ruhig wachsen, um das Alte zu zersprengen. Wir müssen die Sprengmittel von außen zusammentragen. Zweiter Führer. Sein Ziel ist nicht das unsere. Das wissen Sie am besten. Erster Führer: Vielleicht. Zweiter Führer. Und Sie haben vor allem am letzten Nationalkongreß für ihn gestimmt. Erster Führer: Hören Sie, Gopal. Wenn Sie nach Europa kommen wollen und sie haben kein andres Schiff zur Verfiigung als eines, das bis zum Suezkanal fährt, werden Sie nicht jedenfalls dieses Schiff gebrauchen? (Drüben bei den Bauern, die erregt Gandhi und die Parias beobachten.) Erster Bauer: Nein! Er schickt sie nicht nach Hause! Sie wollen! Aber er hält sie zurück! Er bringt sie her! Dorféltester: Still! Was sagt er? Gandhi (hat sich mit Uka dem Brunnen genähert): Hier ist der runde Tisch. (Er zeigt auf die Brunneneinfassung.) Setzt euch! Wir wollen jetzt Gehorsamsverweigerung beraten! Uka: Wir dürfen nicht zu ihren Brunnen; wir dürfen auch nicht Wasser schöpfen. Ja, Uka und die Seinen! Großer Durst! Aber sie haben verboten! Gandhi: Das Verbot ist ungerecht; wir befolgen es nicht. (Er nimmt das Holzgefäß.) Uka (angstwoll): Sie haben verboten. Niemand darf! Auch du nicht! Gandhi (läßt das Gefäß in den Brunnen). Dritter Bauer. Hör einer den Mahatma! Gehorsamsverweigerung gegen uns! Sind wir Engländer? Zweiter Bauer: Engländer ohne Waffen, Engländer ohne Kerker — sie haben es leicht, uns den Gehorsam zu verweigern. Erster Bauer (packt einen Stock): Unsere Bambusstöcke sind so gut wie die der englischen Polizisten. (Zum vierten): Was hast du gesagt? Der Widergekommene? Vielleicht ein wiedergekommener Dämon, daß er auslöscht alle Gesetze, die unseren wie die englischen. (Die beiden Führer sind zu den Bauern getreten.) 46 ZWISCHENWELT Erster Führer. Wir wollen vorausgehen in die Versammlung, der Mahatma wird nachkommen. (Die Bauern starren auf Gandhi wie gebannt.) Zweiter Führer: Eure Leute warten im Dorf, werden ungeduldig, wir werden derweil zu ihnen sprechen. Dorfaltester: Schr weise seid ihr, Pandit. Aber unser Volk ist töricht, versteht nicht jede Sprache. Zweiter Führer. Wir werden sprechen, wie der Mahatma zu ihnen spricht: von Gewalt und Gewaltlosigkeit ... Dritter Bauer (ist hinzugetreten; er wiegt den Kopf): Was von beiden ist Brot? Ist Gewalt Brot? Ist Gewaltlosigkeit Brot? Dorfältester: Anders schaut die Welt aus vor einem üppigen Mann mit vollem Bauch, anders vor einem mageren. Verzeih’ uns, wir verstehen nicht eure Sprache. Gandhi (hat unterdes Wasser geschöpft, füllt es in eine Schale, die er Uka hinhält): Nimm und trink, mein Bruder! Erster Bauer (hat seinen Stock umspannt, stellt sich hinter Uka). Uka (hält die Schale hoch, er steht aufrecht mit freier Stirn, er lächelt und sagt, che er trinkt): Mögen alle Wesen in dieser Stunde frei sein von Schmerz. (Der erste Bauer weicht etwas zurück, während die übrigen Parias Wasser schöpfen und trinken.) Zweiter Bauer: Schau einer Uka an! Ist er noch Uka? Schaut aus wie unsereins. Dritter Bauer: Ah, nicht wie ich, Brüderchen. Ich möchte seine runden Arme haben und seine Zähne und seine Schenkel. Vierter Bauer: Der Wiedergekommene, ja, er löscht aus das Gesetz, weil er die Wurzel des Gesetzes auslöscht. Wo ist das Unberührbare geblieben? Erster Bauer (halbwegs zwischen beiden Gruppen, murmelt zwischen den Zähnen): Ich werde das Gefäß zerbrechen! Ich werde das Gefäß zerbrechen! Gandhi (da der letzte trinkt): Verzeiht mir, meine Guten. Ich habe euch noch immer nicht geholfen. Ich verstehe es diesmal nur schlecht. Aber wenn ich wiedergeboren werde, will ich geboren werden als einer unter euch: auf dem Bauch kriechen müssen, von Abfällen leben, dursten! Die Meinen sehen in derselben Not! Und plötzlich um den Weg wissen und euch hinausführen, wie ich diesmal Indien führen darf zu Swaraj. Erster Bauer (hat die Schale genommen, hält sie Gandhi entgegen und ruft, che er trinkt): Gandhikijai! (Die Bauern wiederholen den Ruf: Gandhikijai! Sie umdrängen die Parias.) Dorfältester (zu Uka): Ja, jetzt wollen wir in die Versammlung gehen. Gehorsamsverweigerung verkünden gegen die Engländer. Mögen sie zu uns sein, wie wir heute zu euch. (Er gibt ihm die Hand.) Aus: Arbeiter-Zeitung, 31.5.1931, S. 17. Dr. Hedwig Rossi (29.5.1891 Wien — 25. 10.1985 Old Tappan, New Jersey, USA) wurde als Tochter des aus Mosocz in Ungarn stammenden Berthold Braun, der in Wien als Ingenieur bei der Nordbahn arbeitete und seiner Frau Hermine, geb. Altmann, geboren. Hermine Braun war Sängerin und trug im Freundeskreis eigene Gedichte und