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Schriftsteller und Wissenschafter. Daß fast alle großen Kunstdenkmäler in den Wirbeln der Revolution, obgleich sie oft genug die Unterdrückung symbolisierten, erhalten geblieben sind, ist ihm zu danken, der den Vergleich wüst hausender Horden mit den Vandalen und das Wort Vandalismus gefunden hat. Inmitten der religiösen Krise, die vor allem durch die Intrigen des Adels und des mit ihm verbündeten hohen Klerus (auch infolge des Verrats des französischen Botschafters vom Vatikan, Kardinals de Bernis) vertieft wurde, suchte der Bischof Gregoire die Trümmer einer gallikanischen, national-französischen Kirche wieder aufzurichten. Zwei nationale Konzile hielt er ab, das erste in Gegenwart von zweiunddreißig Bischöfen und achtundsechzig Priestern, das zweite im Jahre 1801, und erst der Pakt Bonapartes mit dem Papste machte seinen Bemühungen ein Ende. Unter dem neuen Regime wurde er aufgefordert, seine bischöflichen Funktionen niederzulegen. Er folgte dem Befehl ohne Widerstand, aber mit einer Rechtsverwahrung, die die Wahl durch seine Mitbürger als legitim erklärte und in der er sich wenigstens die Ausübung der priesterlichen Funktionen vorbehielt. Napoleon wünschte ihn zu sich herüberzuziehen. Er ließ ihn in den Rat der Fünfhundert wählen, aber hier tat sich Gregoire wenig hervor und bekümmerte sich nur um die Erhaltung der Institutionen, die er geschaffen hatte. Er war auch in der Gesetzgebenden Körperschaft, war sogar mehrere Male ihr Präsident, kam in den Senat, aber er blieb Republikaner, einer der drei Mutigen, die sich der Proklamierung des Kaiserreichs widersetzten. Auch diese winzige Minorität schmolz, und als der Senat — das Rad der Weltgeschichte hatte sich um ein Vierteljahrhundert zurückgedreht — die Schaffung neuer Adelstitel beschließen mußte, kämpfte er ganz allein dagegen an, und er war der einzige, der den Titel eines Grafen, den Napoleon allen Senatoren hingeworfen hatte, niemals, nicht in privaten Schriftstücken und nicht in seinen offiziellen, unter seinen Namen setzte. Diesen Mut konnte Napoleon weder durch Gewalt noch durch Gunstbezeugungen brechen, und Grégoire stimmte gegen die Scheidung des Kaisers von Josefine, er konnte nur dagegen stimmen, denn das Wort wurde ihm verweigert. Im Jahre 1814 sprach er sich als erster dafür aus, daß? Napoleon aufhörte, Kaiser zu sein. Erst die zweite Restauration suchte an ihm Rache zu nehmen. Er wurde aus dem Institut, das er begründet hatte, ausgeschlossen, die Zahlung der Pension, die ihm, schon weil er ehemaliger Senator war, gebührte, suspendiert. Man wählte ihn in die Kammer, aber die Royalisten verlangten unter wütendem Lärm seine AusschlieBung „wegen Unwürdigkeit“. Er wurde auch ausgeschlossen, doch traute sich die Regierung nicht, ein Motiv anzuführen. Seine letzte Schrift enthielt Betrachtungen über die Zivilliste, über die Honorierung der Monarchen und bewies, daß er in dem Meer von Phrasen, das er hatte durchwaten müssen, klar und sich selber treu geblieben war. Er starb unversöhnt mit der Kirche, ein Wort der Liebe für die Neger, die er befreit zu haben glaubte, auf den Lippen, ein Symbol der republikanischen Freiheit, das die Juliregierung nicht zu verunglimpfen wagte, eine der wenigen Persönlichkeiten der Geschichte - und welcher wild stürmender, von den gewaltigsten Ereignissen erfüllten Geschichtsperiode! —, an der man die ungebrochene Lebenslinie der Gesinnung und der Taten bewundern darf. Voila un homme! Er hat sich in keinem Augenblick, weder aus Furcht noch aus Opportunismus, verleugnet! Aus: Arbeiter-Zeitung, 3.6.1931, 7 Dr. Schiller Marmorek (10.11.1880 Wien — 2.12.1943 New York, USA). Pseudonym: Peter Roberts Schillers Eltern waren Josef Marmorek und Friederike, geb. Jakobsohn. Sein Vater war Arzt, Schiller das jüngste von vier Geschwistern. Sein Bruder Oskar war Architekt und ein enger Mitarbeiter Theodor Herzls. Sein Bruder Alexander war Arzt, international bekannter Bakteriologe und führender Zionist. Seine Schwester Henrietta war Erzieherin. Schiller Marmorek wurde am gleichen Tag wie Friedrich Schiller geboren, daher hat ihn sein sehr an Literatur interessierter Vater nach ihm benannt. Nach dem Gymnasium ging er nach Paris, wo sein Bruder Alexander am Institut Pasteur tätig war und begann mit dem Studium der Rechtswissenschaften an der Sorbonne, das er 1914 mit der Erlangung des Dr. jur. beendete. Er widmete sich aber auch den Studien der Französischen Revolution und der Literaturgeschichte. Er heiratete die Mittelschullehrerin Hilde Hoffmann (die nach seinem Tod 1945 den sozialdemokratischen Publizisten Jaques Hannak heiratete). Nach Wien zurückgekehrt, wird Marmorek Journalist und Schriftsteller. Er war einer der wenigen Wiener bürgerlichen Journalisten, die zur Sozialdemokratie gefunden haben. Er wurde Redakteur der Arbeiter-Zeitung, später (1927-34) Redakteur des Kleinen Blattes unter Julius Braunthal. Er veröffentlichte Artikel über geschichtliche und literarische Themen und war als Theaterkritiker tätig. 1925 erschien sein Roman „Der große Mann“ in Fortsetzungen in der Arbeiter-Zeitung. Gemeinsam mit Fritz Brügel, Otto Erich Deutsch und Leopold Liegler gab er 1930/31 die Vierteljahreszeitschrift „Die Freyung“ heraus. 1933 wurde er Vorstandsmitglied der „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller“. Nach dem Februar 1934 war er am Aufbau der Organisation der Revolutionären Sozialisten (RS) beteiligt und Mitglied des „Schattenkomitees“, das sich um ehemalige Redakteure der Arbeiter-Zeitung bildete. Im Spätherbst 1934 emigrierte er nach Brünn. Unter dem Pseudonym Peter Roberts schrieb er für „Der Kampf’, das im Exil weitergeführte theoretische Organ der SDAR 1938 ging er nach Paris. Er war in der „Auslandsvertretung der österreichischen Sozialisten“ (AVÖS) aktiv und publizierte in „Der sozialistische Kampf‘, der Weiterführung von „Der Kampf“ in Paris. 1940 konnte er mit einem von Josef Buttinger vermittelten Visum über Spanien und Portugal nach New York ausreisen, wo er am 12.9.1940 ankam. Ab Februar 1942 war er Mitglied des Austrian Labor Committee und Mitarbeiter der „Austrian Labor Information“. Er starb Anfang Dezember 1943 in New York an einem Herzinfarkt. Bei der Trauerfeier am 5. Dezember in Garlicks Memorial Home in New York City sprachen Fritz Adler und Otto Leichter. (Brigitte Lehmann. Exenberger-Archiv, theodorkramer.at) Bil Spira, Portrait-Zeichnung Schiller Marmorek. Zeichnung in: Das kleine Blatt, 1.3.1932, 9 November 2014 49