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in dieser verfluchten Stadt, weiß, was er riskiert, in drei Stunden krepiert er am Galgenholz grad und glatt. Fünf Minuten Zeit — dann macht Euch bereit auf schwere Artillerie!“ Und als Anwort der Satz: „Wir halten den Platz! Und wir ergeben uns nie!“ (G 87) Das Ende der drei Widerstandskämpfer steht exemplarisch für das Schicksal der österreichischen Arbeiterbewegung im Februar 1934: „Der eine lag tot von Flammen umloht, / sie bespien seine Leiche mit Hohn, / der zweite hing und der dritte ging in die bittere Emigration.“ (G 88). In den Schicksalen des Heldentodes, der standrechtlichen Hinrichtung und der Emigration, die hier am Beispiel von drei Februarkämpfern vorgeführt werden, zeigt sich für Brügel nicht nur das Schicksal der Arbeiterbewegung insgesamt, sondern darüber hinaus der menschenverachtende Zynismus des österreichischen Faschismus. In den Zyklen 1 bzw. 7 und 8, die als Prolog bzw. Epilog um den Erzählkern der Ballade gruppiert sind, werden die Schicksale der Februarkämpfer (Heldentod, Standtrecht, Emigration) leitmotivisch variiert. Und hier finden sich auch jene Verse, die von Brügels Schicksalsgenossen im Exil, Oskar Maria Graf, als besonders gelungen („unvergänglich“, „tiefstes Wissen um die dichterische Form“ !?) genannt wurden: Wir gehn durch die Welt ohne Liebe und Geld und jeder von uns ist allein, von Hohnschrei umstellt, von Gelächter umbells, und das Herz wird uns langsam zu Stein. In den Augen ist nichts als die Ahnung des Lichts, das strahlend die Schläfen umflog, auf den Schultern die Last und der Druck des Gewichts, das nieder zum Joche uns bog. Wir gehn durch die Stadt von Erinnerung satt, sie ist Nahrung, Rausch uns und Trunk, das Pflaster ist glatt und der Weg macht uns matt, denn keiner von uns ist mehr jung. (G 76) Mit diesen gleich zu Beginn des ersten Zyklus platzierten Versen hat Brügel selbst — inhaltlich und ästhetisch — die Perspektive bestimmt, von der aus seine „Februarballade“ gelesen wurde, nämlich der Emigration. Die Erfahrung der Emigration, des Verlusts der (politischen) Heimat, prägt diesen Text und gibt ihm eine melancholisch-resignative Färbung. Es verwundert daher nicht, wenn sich Oskar Maria Graf und mit ihm die politische Emigration Deutschlands und Österreichs gerade mit diesem Teil der „Februarballade“, der die materielle und seelische Not der Emigranten thematisiert, identifizierte. Daß in der nachfolgenden Rezeption der ausführliche, episch-dramatische Mittelteil, das eigentliche Kernstück der Ballade, sowie die beiden propagandistischen Schlußstrophen, die in der 1946 erschienenen unautorisierten Fassung der „Februarballade“ der Streichung des Herausgebers zum Opfer fielen, meist ausgespart wurden, ist eine Folge dieser Lesart des Exils. Den Reiz der „Februarballade“ macht ihre ästhetische Vielschichtigkeit aus, die neben der bedrückenden Schilderung der Emigration und den holzschnittartigen Bildern des Todes auch die 54 ZWISCHENWELT Sprachwelt der zivilisationskritischen Dichtung des Expressionismus miteinschließt. So greift Brügel vor allem bei der Schilderung des Kampfgeschehens auf Versatzstücke der expressionistischen Dichtung zurück. Die „Stadt“ wird dabei zum obligaten „Tier“, ungezügelte Triebe bestimmen die Atmosphäre: „brüllte wild“, „wie ein Tier“, „aufbäumend und wild“, „in entbrennender Gier“ in der ersten Strophe, „Angst zog am Strang“, „für die Jagd und den Fang“ in der zweiten Strophe des zweiten Zyklus. Die expressionistische Kulisse, die Brügel da vor den Augen des Lesers aufbaut, ist eine, die durch Kontraste ihre wesentliche Wirkung erzielt, wobei Brügel nicht nur mit dem entsprechenden Metaphernmaterial, sondern auch phonetisch an die Klang- und Bildwelt der expressionistischen Dichtung andockt. Brügel bedient sich in der „Februarballade“ eines reichhaltigen Repertoires an gesellschaftskritischen Elementen und Traditionen der Kunst und Literatur, die er bewußt zu einer proletarischen Ästhetik des Widerstands, die sich gegen bürgerliche Normvorstellungen wendet, zusammenfügt. Seine Sprache ist durchdrungen von Wut und Verzweiflung, denen auf der Ebene der Sprache eben auch entsprechend Ausdruck verliehen wird. Nicht der bürgerliche Ästhet dichtet hier, wie es am Beginn des siebten Zyklus heißt, sondern einer, der den Unterdrückten und Ermordeten seine Stimme leiht: „O das ist kein Tod wie ihn golden und rot / ausmalt der noble Poet, / der für billiges Brot der Macht sich anbot / und der ihr zu Füßen steht.“ (G 89). „Flüsterlied“ (1936/37) 1937 wird der Gedichtband „Gedichte aus Europa“ bei Emil Oprecht in Zürich aufgelegt, der vorläufige Höhepunkt von Brügels literarischer Tätigkeit. Darin setzt sich der Autor exemplarisch mit dem Thema Exil auseinander, sowohl in seiner politischen als auch psychosozialen Dimension. Oskar Maria Grafrissen Brügels „Europa“-Gedichte zu Ausrufen der Begeisterung hin, ja, er stellte die Sprachleistung Brügels sogar über jene der deutschen Revolutionsdichter Herwegh und Freiligrath: „Laßt mich begeistert sein, Freunde!“, ruft Graf seinen Genossen zu und setzt fort: „Wir haben einen ganz großen Dichter unter uns, dessen Verse uns über die Bedrückung mancher schweren Tage hinausheben. Er sagt alles, was wir leiden, was wir ersehnen, und er entflammt uns im Kampfe wie keiner. Ich vermesse mich sogar, zu behaupten, daß er sprachgewaltiger als Herwegh und Freiligrath ist.“”° Ähnliche Begeisterung rief der Gedichtband auch im kommunistischen Organ „Weg und Ziel“ hervor, das vor allem Brügels Meisterschaft als Lyriker des Widerstands hervorhob: „[...] mit seinem neuen Gedichtband hat er uns eine neue Waffe in die Hand gegeben, eine blitzende scharfe Waffe, die nicht der einen oder anderen Richtung, sondern der gesamten Arbeiterbewegung dient.“”' Und auch Max Hermann-Neisse betonte in der „Pariser Tageszeitung“ die gelungene Verknüpfung von politischem Bekenntnis und hoher ästhetischer Brillanz.”? Das in diesem Band publizierte Gedicht „Flüsterlied“, das von Alfred Kantorowicz in seinen Erinnerungen als eines der exemplarischen Gedichte des Widerstands angeführt wird,” nimmt die Tradition des Arbeiterliedes unter geänderten Rahmenbedingungen wieder auf. Der Umstand, daß es 1936 in der renommierten Moskauer Exilzeitschrift „Das Wort“ erschienen ist‘ und im Moskauer Kominternsender „sehr oft gesungen“? wurde, hat zu seinem Bekanntheitsgrad nicht unwesentlich beigetragen: