OCR
Anmerkungen 1 Georg Knepler: Gedanken über Musik. Berlin/DDR 1980, S. 46f. 2 Werner Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht. Bd. 1. Berlin, Weimar 1986, S. 464f. 3 Gerd Rienäcker: Avantgarde-Debatten in der DDR. In: Musik in Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Hg. v. Michaela G. Grochulski u.a. Mainz 2006, S. 140. 4 Eine reflektierte Betrachtung und aufschlussreiche Analyse von Georg Kneplers Tätigkeit und Lage in der DDR bietet hingegen Lars Fischer in dem Aufsatz: „Positioning Georg Knepler in the musicological discourse of the GDR“, der demnächst in Kyle Frackmans und Larson Powells Sammelband Classical Music in the German Democratic Republic: Production and Reception (Rochester: Camden House) erscheinen wird. Maria Dorothea Simon Zaungast der SPÖ Es scheint mir anmaßend, mich über meine Beziehungen zur Sozialdemokratischen Partei auszulassen, denn ich war nie in ihren inneren Zirkeln. Ich kann bestenfalls einige Schlaglichter aus persönlicher Erfahrung und etwas Hintergrundwissen beitragen. Wie kam ich erstmals mit dem Umfeld der Partei in Verbindung? Das war 1934, als die Sozialdemokratische Arbeiter-Partei, wie sie damals hieß, bereits verboten war. Ich war 16 Jahre alt und Schülerin. Vier Schulfreundinnen und ich suchten für die Weihnachtsferien einen Skikurs. Ich weiß nicht mehr, wieso ich eine Nummer der Zeitschrift „Gerechtigkeit“ in die Hände bekam. Diese Zeitschrift wurde von /rene Harand, einer Gegnerin des Nationalsozialismus und Gründerin der „Weltbewegung gegen Rassenhass und Menschennot“ herausgegeben. In diesem Blatt fand ich eine Notiz, dass der Jugendchor der Harand-Bewegung eine Skiwoche zu Weihnachten abhalten wolle und dass sich noch Interessenten zur Teilnahme melden könnten. Das schien das Richtige zu sein. Wir fünf Mädchen gingen zur Vorbesprechung in Begleitung meiner Mutter. Den Einführungsvortrag hielt ein Student namens Josef Simon, den meine Mutter vertrauenerweckend fand, und wir durften uns daraufhin für die Skiwoche anmelden. Tatsächlich fuhr nicht Josef Simon mit, sondern der Leiter des Kurses war ein anderer Student namens Adolf Kozlik'. Erst viele Jahre später sollte Simon in meinem Leben eine Hauptrolle einnehmen. Was wir damals nicht wussten: Der sogenannte Harand-Chor war eine Tarnorganisation. Er bestand aus chemaligen Mitgliedern des Verbandes Sozialistischer Mittelschüler (VSM), der vom herrschenden Dollfuss-Regime verboten worden war. Andere Teilnehmer an der Skiwoche, die nach dem Krieg in der sozialistischen Partei eine Rolle spielten, waren Peter Strasser und Walter Hacker. Adolf Kozlik war eine charismatische Persönlichkeit: originell, eigenwillig und mutig bis zur Verantwortungslosigkeit. Bereits auf der Hinfahrt nach Obertauern wurden im Bus sozialistische Kampflieder gesungen. Während des Aufenthalts hielt Kozlik politische Schulungen ab. Ich erfuhr zu meiner Verblüffung zum Beispiel, dass die französische Revolution eine bürgerliche Revolution gewesen sei oder dass die Geschichte gesetzmäßigablaufe und das Endprodukt eine kommunistische Weltordnung sein werde, in der jede Köchin den Staat lenken kann. Es wurde auch eine Art 64 ZWISCHENWELT 5 Siehe hierzu seinen Beitrag für den Sammelband Gustav Mahler — Sinfonie und Wirklichkeit. Graz 1977. 6 Gerd Reinäcker: „Haben wir eine marxistische Musiktheorie?“ In: Musikwissenschaft und Kalter Krieg. Das Beispiel DDR. Hg. v. Nina Noeske, Matthias Tischer. Köln, Weimar, Wien 2010, S. 159. 7 In den Gesprächen, die Istvän Eörsi 1969 bis 1971 mit Georg Lukäcs führte, kommt dieser nicht zufällig gerade auf den „Konflikt zwischen Israel und Ägypten“ zu sprechen und wie man dabei „aus reiner Großmachttaktik“ ableite, dass „die Ägypter Sozialisten und die Israelis hingegen keine Sozialisten“ seien, worin Lukäcs das Erbe des Stalinismus erkennen konnte. Georg Lukäcs: Gelebtes Denken. Frankfurt/M. 1980, S. 172. 8 Berlin/DDR 1961. 9 Berlin 1991. Urkommunismus praktiziert, der sich unter anderem darin äußerte, dass man von uns bürgerlichen Mädchen den mitgebrachten Proviant hinterriicks entwendete. Da ich mir sehr unwissend vorkam, versuchte ich meine Bildungslücken zu schließen, indem ich fast jeden Tag in der Bibliothek der Arbeiterkammer alle mir zugängliche Literatur von Theoretikern des Marxismus, deren Vorläufern und Nachfolgern las. Dieses Wissen kam mir Jahre später, als ich in England Politikwissenschaft studierte, sehr zustatten. Ich schloss mich zu dieser Zeit enger an die Leute vom HarandChor an. Hier pflegte man die Formen der Jugendbewegung: Wanderungen, Reigentänze, Abstinenz von Rauchen, Alkohol und Modetänzen. Bei den Heimabenden gab es oft Vorträge von führenden Gesinnungsgenossen und, da die Organisation nominell ein Chor war, auch Singen. Der Chorleiter war der junge Musikwissenschafter Fritz Kurzweil. Er wurde später, durch die Nazis vertrieben, Musikdirektor der Oper von Chicago und Leiter der Philadelphia Choral Society. Ich habe die Begeisterung kennen gelernt, die dieses Gemeinschaftsleben bei jungen Leuten erwecken kann. Nicht ahnen konnte ich damals, wie verführbar es sie macht und wie leicht ihre Autoritätsgläubigkeit in blinden Fanatismus umschlagen kann. Von den Leuten, die ich in diesem Umfeld kennenlernte, wurden einige später international bekannt, wie die Sozialpsychologin Marie (Mitzi) Jahoda, Mitautorin der Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“, oder der Physiker Robert Adler (Sohn des marxistischen Theoretikers Max Adler), der nach seiner Emigration Professor an der Stanford Universitat wurde und der Erfinder der Fernbedienung ist. Viele Sozialisten wandten sich in diesen Jahren von der nunmehr verbotenen sozialdemokratischen Partei ab und gingen zu den Kommunisten. Auch ich absolvierte dort ein Gastspiel. Ich lernte 1936, wieder bei einem Skikurs, eine Medizinstudentin kennen, die einige Jahre älter als ich war und Eva Kolmer hieß. Sie war eine starke Persönlichkeit, und ich war von ihr beeindruckt. Sie gab mir kommunistische Literatur und warb mich für die illegale Arbeit an. Ich sollte regelmäßig am Ufer des Donaukanals einen Verbindungsmann zum Bundesheer treffen und mit illegalen kommunistischen Schriften versorgen. Es war die Zeit der Trotzkistenprozesse. In