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Wien, als Praktikantin in einem Kindergarten, zufälligbeobachten können, wie Anna Freud, die Tochter Sigmund Freuds, in einem angrenzenden Garten zusammen mit anderen Frauen eine Gruppe von Kleinkindern sehr liebevoll betreute. Nun erfuhr ich, dass sie in London ein Heim für kriegsgeschädigte Kinder eröffnen wolle. Dort wollte ich gerne arbeiten. Ich suchte sie auf, war von ihrer Persönlichkeit sehr beeindruckt und freute mich schr, als ich tatsächlich aufgenommen wurde. Ich will mich hier nicht über die Arbeit in diesem ungewöhnlichen Heim verbreitern, sondern nur sagen, dass es mir unvergessliche Eindrücke brachte. Ich stand durch viele Jahre geistig unter dem Einfluss von Anna Freud. Ich hatte bei der tschechischen Flüchtlingsbehörde eine Sozialarbeiterin kennengelernt, die mir eines Tages nahelegte, ich solle doch versuchen meine begonnene Ausbildung fortzusetzen. Sie würde sich dafür einsetzen, dass ich ein Stipendium der tschechischen Exilregierung erhielte. Zuerst wollte ich nichts davon hören, denn ich war mit meiner Arbeit in der Hampstead Nursery sehr glücklich und dachte daran, Kinderanalytikerin zu werden. Aber schließlich schickte ich doch Ansuchen um Aufnahme an einige Ausbildungsstätten für Sozialarbeit ab und wurde zu einem Gespräch an die Oxford University eingeladen. Da war die Versuchung doch groß. Nach einem Aufnahmegespräch und einer schriftlichen Prüfung wurde ich aufgenommen und musste mich von Anna Freuds Kinderheim nach einem Jahr verabschieden. Ich hielt aber weiterhin Verbindung, hospitierte dort während der Ferien und nahm an Mitarbeiterbesprechungen teil, so oft ich konnte. In Oxford Die Ausbildungsstätte, die ich in Oxford besuchte, hieß Barnett House und war damals nicht Teil der Universitat, sondern hatte ein eigenes Statut. Siewurde 1913 als extramurale Einrichtung zur Stärkung der sozialen Komponente der Universität geschaffen. Sie war nach dem Gründer der Settlement-Bewegung Samuel Barnett benannt. Nach dem Krieg wurden die Kurse als Department for Social and Administrative Studies dem neu gegründeten Nuffield College einverleibt. Im Herbst 1941, als ich die Ausbildung begann, entschied ich mich für einen fünfsemestrigen Kurs, der zu einem Diplom in Economics and Political Science, with a Concurrent Certificate in Training for Social Work führte. Man kann aus der Bezeichnung bereits ersehen, dass die Inhalte weit von dem entfernt waren, was in den mitteleuropäischen Schulen unterrichtet wurde. Die Unterrichtsgegenstände umfassten in erster Linie Politikwissenschaft, Ökonomie und Sozialphilosophie. In allen Fächern gab es Tutoren von der Universität, die in der Regel jeweils zwei Studierende betreuten. Der Unterricht in Sozialarbeit wirkte etwas aufgesetzt. Es gab dafür zwei hauseigene Tutorinnen, und wir mussten zusätzlich Praktika in sozialen Einrichtungen absolvieren. Daneben besuchte man auch nach freier Wahl Vorlesungen an der Universität. Ich hörte dort Psychologie und besuchte Vorlesungen von damals bekannten Wissenschaftlern wie dem Sozialhistoriker G.D.H Cole, dem sozialistischen Theoretiker Harold Laski und dem aus Polen stammenden Ökonomen Michal Kalecki. Es gab kriegsbedingt am Barnett House nur etwa 30 Studierende, die meisten von ihnen Frauen, weil die Männer in der Armee waren. Eine Kollegin war Cicely Saunders, die später die Hospizbewegung zur Sterbebegleitung gründete. Es war in dieser Zeit, dass ich die Initiative ergriff, zusammen mit einigen österreichischen Emigranten in Oxford eine Art Klub nach dem Muster des Austrian Labour Club in London zu gründen. Eigentlich waren wir nur eine Gruppe von Leuten, die den gleichen Background hatten und miteinander befreundet waren. Unsere Tätigkeit bestand hauptsächlich darin, dass wir verschiedene Persönlichkeiten aus dem österreichischen sozialistischen Umfeld zu Vorträgen einluden und unsere Veranstaltungen auch für ein uns wohlgesinntes englisches Publikum zugänglich machten. Einige Aktivisten, an die ich mich erinnere, waren der Physiker Hans Motz, der an der Universitat forschte, Lisbeth Gombrich, eine sehr gebildete ältere Frau, Schwester des bekannten Kunsthistotikers Ernst Gombrich, und Henriette Werner, eine lang gediente Sozialdemokratin, die später im Londoner Büro arbeitete. Ich glaube, sie hatte nach dem Krieg auch in Wien eine Funktion bei der Sozialistischen Partei. Ein großer Gewinn für die Gruppe war die Ankunft von Walter Wodak. Er wurde als Soldat der britischen Armee in Oxford stationiert. Walter war gut informiert, konnte interessant sprechen und hob ganz allgemein das Niveau. Er wurde nach dem Krieg österreichischer Botschafter in Moskau und November 2014 67