ranghöchster Beamter des Außenamtes.
In Zusammenhang mit dem Club gibt es noch eine absurde Ge¬
schichte. Ich lernte in Oxford ein meiner Meinung nach sehr
sympathisches Ehepaar kennen, Eduard Goldstücker und seine
Frau Marta. Sie waren Tschechen und wohnten gleich um die Ecke
vom Barnett House. Eduard war Germanist und schloss gerade
sein Studium an der Universität ab. Ich war einige Male bei ihnen
zu Gast. Sie waren Kommunisten.
Nachdem ich die Ausbildung am Barnett House abgeschlossen
hatte, wollte ich gerne noch für ein weiteres Jahr einen Kurs für
psychiatrische Sozialarbeit machen. Da ich mittels eines Stipen¬
diums der tschechischen Exilregierung studiert hatte, suchte ich
um Verlängerung an. Dieser Wunsch wurde mir abgeschlagen.
Eduard Goldstücker war inzwischen Unterrichtsminister in der
tschechischen Exilregierung geworden. Ich erfuhr, dass er es war,
der hinter der Verweigerung stand mit der Begründung, ich sei
„Irotzkistin“. Er musste wissen, dass das eine Lüge war — mein
"Trotzkismus bestand offenbar in meinen Aktivitäten für den Aus¬
trian Labour Club in Oxford. Für mich hatte die Verweigerung des
Stipendiums keine bösen Auswirkungen, mein Lebenslaufnahm
einfach eine andere Wendung. Wäre das nicht in Großbritannien,
sondern in einem kommunistischen Land vorgefallen, dann wehe
mir! Goldstücker musste das am eigenen Leib erfahren.
Nach dem Krieg kehrten die Goldstückers in die Tschechoslowa¬
kei zurück. Eduard wurde Botschafter des Landes in Israel. Nach
der Machtübernahme durch die Kommunisten 1948 wurde ihm
1951 ein Hexenprozess gemacht, in dem er zuerst zum Tode, dann
zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Erst unter Chruschtschow
wurde er aus dem Gefängnis entlassen. Im Jahre 1968 flüchtete
er erneut nach England. Er wurde Universitätsprofessor an der
Universität Sussex. Er galt als großer Kafka-Experte und wurde
als Verfechter der Demokratie und Opfer des Stalinismus gefeiert.
Es war ja wirklich schwer zu erklären: War ich nun Tschechin
oder Österreicherin? Ich zerbrach mir nicht den Kopf darüber.
Ich bewegte mich in linken sozialistischen Zirkeln aus Österreich,
Deutschland und der Tschechoslowakei. Wir waren jaallevon den
Nazis Verfolgte aus dem gleichen Kulturkreis.
Als ich mit dem Diplom in der Tasche vor der Frage stand, wie es
weitergehen sollte, kam ich zu dem Entschluss, es sei an der Zeit,
meinen Teil im Krieg gegen Hitler zu leisten. Ich war England
unsäglich dankbar, dass es mir eine neue Heimat gegeben und ein
hervorragendes Studium ermöglicht hatte. Engländer gaben ihr
Leben in einem Kampf, der auch der meine war.
Ich meldete mich also zur Armee. Die Einberufung zur ATS
(Army Territorial Service), dem weiblichen Corps, erfolgte bald.
Die meisten Frauen arbeiteten in der Administration, in Waren¬
lagern, Küchen, chauflierten Dienst- und Rettungsautos und
dergleichen mehr.
Man hatte mich gewarnt, dass Ausländer in der britischen Armee
nur zu untergeordneten Tätigkeiten zugelassen würden, quali¬
fiziertere Aufgaben und Aufstieg in höhere Ränge wären nicht
möglich. Nun hatte ich diesbezüglich keinen Ehrgeiz. Nichts¬
destoweniger hatte ich bereits nach drei Monaten drei Streifen
am Ärmel meiner Uniformjacke und war „Education-Sergeant“.
Die Armee unterhielt ein eigenes Bildungsprogramm, so ähnlich
wie Volkshochschulkurse. Ich war dem Army Education Corps
zugeteilt. Zuerst war ich in einem großen Lager in Wales stationiert,
später wurde ich nach London versetzt.
Während meiner fünfzehnmonatigen Armeezeit hielt ich Kurse
für Soldaten beiderlei Geschlechts.
Meine Ihemen waren Zeitgeschichte, soziale Fragen, Hinter¬
gründe von aktuellen Ereignissen. Es gab zwar Broschüren, in denen
diese Themen aufbereitet waren, es blieb mir aber überlassen, was
ich bringen wollte. Ich möchte betonen, dass es sich tatsächlich um
Volksbildungsaufgaben und nicht um Indoktrinierung handelte.
Damals entdeckte ich meine Freude am Unterrichten.
Ich hatte gleichzeitig noch ein zweites Programm. Nachdem ich
den Kurs in Oxford abgeschlossen hatte, wollte ich gerne darüber
hinaus noch einen akademischen Grad erwerben. Eigentlich hätte
ich ein Psychologiestudium vorgezogen, doch war das unter den
gegebenen Umständen nicht durchführbar. Ich hatte am Barnett
House cher zufällig eine gute Grundlage für Volkswirtschafts- und
Politikwissenschaft erworben. Es war daher der logische Weg in
dieser Richtung weiterzustudieren. Dies ließ sich auch in einem
Fernstudium machen. Ich schrieb mich also an der Londoner
Universität als externe Studentin ein. Das Studium schloss ich
im Juli 1945 mit dem Titel Bachelor of Science in Economics and
Politics mit Honours ab.
Ein Geschehen, für mich wohl das wichtigste, fiel auch in diese Zeit.
Im Oktober 1943 kam Joseph Simon, den ich als Sechzehnjährige
im Harand-Chor kennengelernt hatte, mit der amerikanischen
Armee nach London (bei der Einbürgerung hatte er seinen Vorna¬
men von Josef auf Joseph geändert). Er war unter abenteuerlichen
Umständen aus Dänemark über Schweden, die Sowjetunion und
Japan nach Amerika gekommen. Jetzt gehörte er einer Gruppe von
Soldaten mit deutscher Muttersprache an, die hinter der Linie der
Deutschen mit dem Fallschirm abspringen sollten.
Wir wurden durch gemeinsame Freunde wieder in Verbindung
gebracht. Diesmal funkte es.
Bei einer Silvesterparty bei Mitzi Jahoda beschlossen wir zu
heiraten. Das war knapp bevor ich die Einberufung zur Armee
bekam. Vier Monate später konnte ich einen kurzen Urlaub er¬
wirken, und wir heirateten am 10. April 1944 in Plymouth, beide
in der Uniform unserer jeweiligen Armee.
Für die ganze zivilisierte Welt war es ein großes Glück, als der
Krieg in Europa im Mai 1945 zu Ende ging. Ich war am 8. Mai,
dem Tag der Kapitulation Deutschlands, in London. Eine riesige
Menschenmenge strömte von allen Seiten in das Zentrum der
Stadt, ich mittendrin. Der Jubel war unbeschreiblich. Fremde
fielen einander um den Hals. An dem Tag dachte ich, niemals im
Leben würde ich glücklicher sein.
Joseph brauchte nun nicht mehr mit dem Fallschirm abzu¬
springen, sondern wurde gleich nach dem Waffenstillstand der
amerikanischen Botschaft in Kopenhagen zugeteilt. Ich wurde aus
der Armee entlassen aus, wie es hieß, familiären Gründen, denn
ich erwartete mein erstes Kind.
Ich folgte bald meinem Mann nach Dänemark nach. Es fiel
mir nicht leicht, England zu verlassen, denn in den sieben Jahren
meines Aufenthalts hatte ich in diesem Land Wurzeln geschlagen.
Vom Ausmaß der Katastrophe, die unsere in Wien und Prag verblie¬
benen Angehörigen betroffen hatte, erfuhren wir erst jetzt. Meine
Mutter starb in Travniki, einem Lager der SS im Bezirk Lublin;